Und das Wohl der Patient*innen?

UPD und Kanton haben eine Beziehungskrise. Und doch machen sie keine Therapie. Eine Auslegeordnung.

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Von allen Seiten lastet Druck auf der UPD: Vom Kanton, der Eigner ist; von der Öffentlichkeit, die Ansprüche hat; vom Budget, das nirgends ausreicht. (Bild: Manuel Lopez)

Waldau heissen die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) im Volksmund bis heute. Das Klinikareal befindet sich am Rande der Stadt, in zum Teil denkmalgeschützten Gebäuden. Seit längerer Zeit ist die Psychiatrie chronisch überlastet – und kaum einmal wird positiv über die Klinik berichtet.

Stattdessen wird über Sparmassnahmen debattiert, wie zuletzt bei der Schliessung von präventiven Angeboten wie dem Metro und dem Holzplatz. Es gibt Schlagzeilen, wenn ein Patient randaliert, wie im vorletzten Sommer, als es einen Axtangriff gab. Das Personal schreibt öffentlichkeitswirksam Briefe, in denen es auf den Personalnotstand aufmerksam macht.

Seit die psychiatrischen Kliniken 2017 vom Kanton in gemeinnützige Aktiengesellschaften (die dem Kanton gehören) ausgelagert und so in die Schein-Selbstständigkeit entlassen wurden, haben sich die finanziellen Probleme der Kliniken verschärft. Sie müssen wirtschaftlich arbeiten, sind aber eigentlich immer noch in allen Belangen vom Kanton abhängig. Die UPD hat in den letzten Jahren Defizite geschrieben, die sich jährlich vergrössert haben.

Die Psychiatrie hat es schwer.

Die UPD ist zwar mit über 1'700 Mitarbeitenden an mehr als 25 Standorten und über 12’000 Patient*innen pro Jahr ein wichtiger Bereich des Gesundheitssektors. Aber auch einer, bei dem in der Öffentlichkeit nicht mit grossen Erfolgsergebnissen aufgetrumpft werden kann. Stattdessen gibt es Druck von allen Seiten: Vom Kanton, der Eigner ist; von der Öffentlichkeit, die Ansprüche hat; vom Budget, das nirgends ausreicht.

Plötzlich geht etwas

Unter diesen Vorzeichen teilten die Verwaltungsräte von UPD und Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) im Februar 2023 mit, dass sie eine Fusion prüfen. Es brauche diese Zusammenlegung, um die Versorgung im Kanton sicherzustellen. Probleme wie Fachkräftemangel, nicht kostendeckende Tarife und Investitionen in Infrastruktur stehen einer steigenden Zahl von Patient*innen gegenüber.

Kurz zuvor hatte der Regierungsrat eine interessante Personalie vermeldet: Alexandre Schmidt wurde zum neuen Generalsekretär der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) gewählt, deren Vorsteher Pierre Alain Schnegg (SVP) ist.

Schmidt war von August 2021 bis Februar 2022 sieben Monate lang Vorsitzender der Geschäftsleitung der UPD. Bis diese am 24. Februar 2022 in einer dünnen Medienmitteilung seinen Rücktritt verkündete: Alexandre Schmidt habe sich entschieden, die Zusammenarbeit mit der UPD zu beenden. Aufgrund «unterschiedlicher Vorstellungen über die Entwicklung der UPD und das Tempo der Reformen».

Verschärfter Ton

In der Zeit nach Verkündigung der Fusionsabsicht beobachtete UPD-Verwaltungsratspräsidentin Patricia Kellerhals eine Veränderung: «Der Ton aus dem GSI verschärfte sich.»

Dann traf eine Einladung des Regierungsrates ein: Die UPD-Leitung solle ihm ihre Strategie präsentieren. Solche Treffen gibt es jedes Jahr mit dem Inselspital und der Berner Kantonalbank BEKB. Sie sind von langer Hand geplant, die Unternehmen können sich ausreichend vorbereiten. Für die UPD war es eine Premiere. «Für uns kam die Einladung überraschend. Wir mussten uns innerhalb kürzester Zeit vorbereiten», so Kellerhals.

Laut Kellerhals hat die UPD-Leitung den Regierungsrat, der in corpore erschien, auf die finanziellen Schwierigkeiten hingewiesen und eine Ansprechperson im GSI gefordert. Die Regierungsrät*innen ihrerseits hätten sich interessiert und sinnvolle Fragen gestellt.

Nach dem Treffen hatte Patricia Kellerhals ein gutes Gefühl.

Im November stimmten die Verwaltungsräte von PZM und UPD einer Fusion zu. Sie sei «der einzig richtige Weg», um die Versorgung und die wirtschaftliche Stabilität sicherzustellen.

Da der Kanton sämtliche Aktien von UPD und PZM hält, muss der Regierungsrat einer Fusion zustimmen. So schreibt es das Gesetz vor. Die beiden Verwaltungsräte rechneten mit einem Entscheid des Kantons bis Ende Jahr. Doch der traf nicht ein.

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Die jüngste Sparrunde spülte die Dissonanzen zwischen UPD und Kanton an die Öffentlichkeit. (Bild: Manuel Lopez)

Mitte Januar 2024 präsentierte Pierre Alain Schnegg den Rückblick seiner Direktion aufs vergangene und den Ausblick aufs kommende Jahr. Oberstes Thema: der «hohe Migrationsdruck». Es ging auch um die Umsetzung der Pflegeinitiative und des Behindertenleistungsgesetzes.

Die Herausforderungen der Psychiatrie wurden mit keinem Wort erwähnt. Offenbar überragen andere Themen auf der Prioritätenliste von Regierungsrat Schnegg die Psychiatrie.

Auch wenn der Kanton auf Nachfrage der «Hauptstadt» betont: «Der Stellenwert der Gesundheitsversorgung ist für die GSI sehr hoch, dies gilt auch für die Psychiatrieversorgung.»

Kanton vs. UPD

Nur drei Tage nach der GSI-Jahresmedienkonferenz verkündete die UPD eigenhändig beschlossene Sparmassnahmen. Betroffen sind vor allem Präventionsangebote.

Das hat einen Grund: Im Bereich der Grundversorgung hat die UPD einen Leistungsauftrag vom Kanton. Diese Angebote muss sie zur Verfügung stellen. Die Prävention hingegen ist nicht Teil der Grundversorgung.

Seit einigen Jahren schreibt die UPD selbst im Bereich der Grundversorgung Verluste. «Wir können nicht aus unterfinanzierten Angeboten andere Angebote quersubventionieren», erklärt Patricia Kellerhals.

Der Kanton seinerseits distanziert sich gegenüber der «Hauptstadt» von den Sparmassnahmen: «Die Angebote wurden von der UPD ohne vorgängige Diskussion mit und Information an uns eingestellt», schreibt GSI-Sprecher Gundekar Giebel.

Die Sparrunde spült somit die Dissonanzen zwischen UPD und Kanton an die Öffentlichkeit.

In einem «Schweiz aktuell»-Beitrag verlangt UPD-CEO Oliver Grossen öffentlich von der GSI, dass beide gemeinsam über sämtliche Angebote sprechen und die GSI sagt, welche Leistungen sie von der UPD will – und diese kostendeckend bezahlt.

Gesundheitsdirektor Schnegg zeigt sich im gleichen Beitrag nicht besonders gesprächsbereit in dieser Sache: Was die UPD anbiete, liege in ihrem Entscheidungsbereich. Das Gesundheitssystem sei komplex. Wer sich aufrege, dem würden Elemente fehlen, um zu verstehen, worum es genau gehe.

Patricia Kellerhals bewegt sich seit 35 Jahren im Gesundheitswesen. «Es ist hochkomplex. Selbst ich lerne jeden Tag Neues dazu», gibt sie zu. Nach dem Medizinstudium arbeitete sie kurz als Assistenzärztin, bevor sie auf die Managementseite wechselte.

Alle wüssten, was das Beste wäre

Die Krux ist: Eigentlich wüssten alle Seiten, was gut wäre. Gut für die Patient*innen und die Finanzen. Wenn mehr ambulante Behandlungen – also solche, bei denen die Patient*innen daheim übernachten – durchgeführt würden und mehr in die Prävention investiert würde. So sagt Patricia Kellerhals: «Ambulantisierung wäre an vielen Orten möglich, so etwa bei Borderline-Patient*innen oder mit Tagesklinik-Angeboten für Junge.» An Ideen fehle es nicht. Wohl aber an Geld.

Wobei der Kanton laut eigenen Angaben der Finanzierung dieser ambulanten Angebote Gewicht beimisst: «Die kantonale Versorgungsplanung verfolgt den Ansatz ambulant vor stationär», teilt Sprecher Gundekar Giebel mit. Aus diesem Grund unterstütze die GSI die ambulanten Spitalleistungen der Psychiatrieversorgung seit Jahren zusätzlich finanziell. Die ambulanten Kantonsbeiträge seien in den letzten Jahren stetig gestiegen. Aktuell lägen sie bei etwa 37,5 Millionen Franken pro Jahr, 2022 hätten sie noch 31,5 Millionen betragen.

Das klingt nach viel. Ist aber offensichtlich immer noch zu wenig, denn die Kosten des ambulanten Angebots steigen schneller als die Kantonsbeiträge. So sagt die Grossrätin Manuela Kocher (SP): «Ambulante Angebote sind unterfinanziert.» Ausserdem kranke das Gesundheitssystem daran, dass man zu wenig in der Prävention mache. Gerade bei jungen Menschen wäre in diesem Bereich sehr viel möglich, ergänzt die Gesundheitspolitikerin.

Laut Kocher liegt das auch am System. Krankenkassen und Kantone zahlen fix aufgeteilte Tarife für stationäre Patient*innen. Deshalb sind stationäre Plätze in Psychiatrien in aller Regel bezahlt.

Überspitzt gesagt: Je kränker ein Patient oder eine Patientin, desto besser für die Finanzen.

Bei ambulanten Behandlungen ausserhalb des Leistungskatalogs der Krankenversicherungen und präventiven Angeboten ist aber die Klinik, allenfalls unterstützt vom Kanton, allein für deren Finanzierung zuständig. Der Kanton hat dabei viele Freiheiten zu bestimmen, welche Leistungen er finanzieren will. Angebote, die nicht direkt zur Grundversorgung gehören, sind für die Klinik schwierig zu finanzieren.

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«Notstand in der Psychiatrie» lautete bereits 2001 eine Zeitungs-Schlagzeile. (Bild: Manuel Lopez)

Denn ein Präventionsgesetz gibt es nicht, obwohl ein solches vor etwas mehr als zehn Jahren auf Bundesebene zur Diskussion gestanden habe, erklärt Gesundheitsrechtsexperte Dario Picecchi. Der Rechtswissenschaftler hat eine Dissertation über das Wirtschaftlichkeitsgebot im Krankenversicherungsrecht geschrieben.

Er beobachtet, dass viele Akteur*innen auf die kurzfristigen Kosten, statt den langfristigen Nutzen fokussieren – und deswegen die Prävention eher hinten ansteht: «Ganz nach dem Motto: sparen, um gespart zu haben. Dabei wird zu wenig darüber nachgedacht, wie sich das auf die betroffenen Personen und die Gesundheit auswirkt», so Picecchi. «Wie viel Geld für die Prävention eingesetzt werden soll, ist aber letztlich eine politische Frage. Das muss die Gesellschaft aushandeln.»

Die Geschichte wiederholt sich

So fest die jüngsten Ereignisse in der Berner Psychiatrie die Öffentlichkeit und den Kanton umtreiben – neu sind sie nicht. Wer alte Zeitungsberichte liest, wähnt sich in der Gegenwart. 2001 zum Beispiel schloss die UPD je eine Station in der Rehabilitation und der Alterspsychiatrie und stellte ein Drogen-Nachbetreuungsprogramm ein, weil sie das Budget um fünf Millionen Franken überschritten hatte. Damit wollte man die Sparvorgaben des Kantons erfüllen und «den Grundstein für eine zeitgemässe Versorgung legen», wie der damalige UPD-Verwaltungsdirektor Bruno Guggisberg dem «Bund» erklärte. Das Personal wehrte sich in einem offenen Brief gegen den Abbau. Im gleichen Jahr titelte die Zeitschrift «Puls-Tip»: «Notstand in der Psychiatrie», weil sich die Zahl der Patient*innen in den Berner Psychiatrien innert zehn Jahren mehr als verdoppelt hatte, während gleichzeitig Sparmassnahmen ergriffen wurden.

2015 reduzierte der damalige Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP) das Budget der Psychiatrie um 34,5 Millionen Franken bis 2017. Dem Jahr, in dem die drei psychiatrischen Kliniken Münsingen, Bern und Bellelay aus der Kantonsverwaltung ausgelagert und in Aktiengesellschaften umgewandelt wurden. Daraufhin baute die UPD 57 Stellen ab und das PZM schloss zwei Stationen. Von dieser Sparrunde war das ganze Gesundheitswesen betroffen; rund 20’000 Menschen protestierten dagegen auf dem Bundesplatz.

Was nun?

Auf die geforderte offizielle Ansprechperson beim Kanton warten die UPD bisher vergeblich. Klar ist nur, dass sie nicht Alexandre Schmidt heissen wird. Auf detaillierte Fragen der «Hauptstadt» zu seiner Rolle als Generalsekretär im Bezug auf die UPD antwortet der Kanton nur mit einem dürren Satz: «Herr Generalsekretär Alexandre Schmidt ist nicht an den Gesprächen beteiligt.»

Trotzdem gibt es leise Zeichen, dass sich die psychiatrischen Kliniken und der Kanton annähern. Anfang Februar haben UPD, PZM und Kanton eine Absichtserklärung unterzeichnet. Ihr Ziel: Die Fusion der beiden Unternehmen. Der Regierungsrat unterstütze das «Zielbild dieses Zusammenschlusses», heisst es in der Medienmitteilung.

Vorgesehen ist die Fusion per Anfang 2025, spätestens aber per 2027. Bevor der Regierungsrat über die Fusion beschliesst, müssen UPD und PZM detailliertere Angaben zum Geschäftsmodell und zur Bauplanung machen und einen Businessplan liefern. Im Auftrag der GSI unterstützt die Beratungsfirma KPMG die beiden Unternehmen dabei.

Wie fest der Problemberg der Berner Psychiatrie mit einer Fusion schrumpfen würde, lässt sich schwer abschätzen. Doppelspurigkeiten könnten abgebaut und dadurch Kosten gespart werden, meint Rechtsexperte Dario Picecchi. Er warnt aber vor überrissenen Erwartungen: «Der medizinische Bedarf der Patient*innen verändert sich nicht. Es braucht weiterhin Personal, um sie ausreichend zu betreuen. Dort lässt sich kaum sparen.»

SP-Gesundheitspolitikerin Manuela Kocher ist da zuversichtlicher. «Mit einer Fusion kann man Skaleneffekte erzielen, ohne dass die Leistungserbringung für die Patient*innen geschmälert wird», sagt sie. Sie denke da etwa an Administration oder IT. Eine Fusion bedeute immer eine Anfangsinvestition, bevor sich der Mehrwert zeige.

Auch Patricia Kellerhals ist optimistisch – ganz wie es ihre Rolle erwarten lässt. Wenn es statt zwei nur noch eine Notfallstation gebe, könne dort Personal gespart werden. Und durch eine modernere Infrastruktur würde das fusionierte Unternehmen attraktiver als Arbeitgeberin – was angesichts des Fachkräftemangels nicht zu unterschätzen sei.

Aber auch Kellerhals sieht in der Fusion nicht das Allheilmittel für die Probleme in der Berner Psychiatrie. Wie CEO Oliver Grossen im «Schweiz aktuell»-Interview fordert auch sie Gespräche mit dem Kanton über die gegenseitigen Erwartungen und den Ausbau des ambulanten Angebotes.

Unterstützung könnte es vom Grossen Rat geben. Grossrätin Manuela Kocher bereitet momentan einen Vorstoss vor. Er fordert, dass die präventiven Angebote, die von der UPD in Eigenregie abgebaut wurden, in Zukunft vom Kanton unterstützt werden sollen.

Und es gäbe Möglichkeiten, noch weiter zu gehen. Denn das Parlament kann dem Regierungsrat die Richtung vorgeben, in die er sich in Psychiatriefragen bewegen soll.

Einschränkend dabei wirken die Finanzen. Aber wenn sich alle einig sind, dass Investitionen in Prävention und ambulante Psychiatrie Folgekosten verhindern, sollten sich dafür Mehrheiten finden lassen.

Zum Wohle der Patient*innen und damit zum Wohle der ganzen Gesellschaft.

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Diskussion

Unsere Etikette
Maja Balmer
24. Februar 2024 um 09:43

Vielleicht sind die Probleme "in der Psychiatrie" in Wirklichkeit "Probleme unserer Gesellschaft und Lebensweise"? Ich denke, uns allen würde ein bisschen mehr "Bewusstsein fürs Miteinander" helfen, ein bisschen weniger "Fagen nach dem: wer ist schuld" stellen zu müssen. Nahrung für die Seele und das Herz können wir alle gratis weitergeben, die beste "Prävention" für unsere Gesundheit.