Juergen Strauss fotografiert am Freitag, 11. August 2023 im Musiclab Wabern. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Das «Lab» im SE Musiclab sieht ein bisschen aus wie das Raumschiff in «A Space Odyssey» (Bild: Simon Boschi)
Wabern Spezial

Auf der Suche nach dem perfekten Klang

Im SE Musiclab in Wabern wird kein Geräusch dem Zufall überlassen. Wie das funktioniert und was die Akustik der Zukunft mit der Vergangenheit zu tun hat.

«Have a seat», Jürgen Strauss sitzt im weissen Anzug auf einem von vier Designer-Stühlen, die im SE Musiclab auf einem Teppich stehen. Er raucht lässig eine Zigarette und erzählt ausführlich von seinen Visionen und den Vorzügen des SE Musiclab.

Das SE Musiclab befindet sich in der ehemaligen Gurtenbrauerei in Wabern. Strauss hat es vor etwas mehr als einem Jahr gegründet und, mithilfe anderer Interessent*innen, privat finanziert. Mit seiner Firma Strauss Elektroakustik stellt er eigene Lautsprecher her und konzipiert die akustische Einrichtung von Räumen, damit es dort perfekt klingt. In Museen, Konzertsälen und Aufnahmestudios hat Strauss schon für die Akustik gesorgt. Elektroakustik nennt man den Bereich, in dem er tätig ist. Es geht dabei sowohl um Physik als auch um Musik.

Games und Psychoakustik

Mit dem SE Musiclab will Strauss ein internationales Zentrum für Elektroakustik schaffen. Musikproduzent*innen wie auch Forscher*innen im Bereich Raum- und Elektroakustik können die Räumlichkeiten des SE Musiclab für ihre Projekte nutzen. Hier kann die Wahrnehmung von Musik erforscht oder Musik für Videogames konzipiert werden.

Juergen Strauss fotografiert am Freitag, 11. August 2023 im Musiclab Wabern. (haupstadt.be / Simon Boschi)
In dieser kleinen Werkstatt werden die Lautsprecher hergestellt (Bild: © Copyright 2023 Simon Boschi, all rights reserved)

Wer das SE Musiclab nutzen will, muss aber auch zahlungskräftig sein: «Will man die Räume für einen Tag mieten», meint Strauss, «kostet das rund 3600 Franken.»

Auch Strauss nutzt die Räume für Forschungsprojekte, manchmal hört er aber auch einfach Musik hier. 

32 000 Lehmkugeln

Im Musiclab ist es ruhig und kühl. Ein Gang führt zu einer grossen, gewölbten Lehmwand. Die hellbraunen Lehmkugeln ragen in den Raum. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der ETH zu neuer Bautechnik wurden die Kugeln von einem Roboter angefertigt und zu einer Wand zusammengefügt. Sie wiegt 60 Tonnen und soll jegliche Störgeräusche von aussen absorbieren. Innen ist der Raum zusätzlich mit Holzwänden verkleidet.

Im Innern des Raums ist es deshalb ganz ruhig. Und es sieht ein bisschen aus wie in einem Raumschiff. Der Raum hat die Form einer Kuppel und ist von oben bis unten mit Lautsprechern ausgestattet. «The Lab», wie der Raum heisst, ist ein Mastering-Studio: Soundproduzent*innen können hier überprüfen, ob es noch Unstimmigkeiten in den Aufnahmen gibt. Die Musik wird in bester Qualität wiedergegeben.

Dolby-Surround war gestern

Im «Lab» hat Strauss 3D-Audio installiert. Gemeint ist damit eine Beschallung, die sowohl horizontal (von allen Seiten) als auch vertikal (von unten und oben) funktioniert. Laut Strauss sei die Akustik in diesem Raum international herausragend. Was den Raum so besonders macht, sind nicht nur die 3D- Audioanlage und die dichten Wände. Es ist auch die weitgehende Abwesenheit von Schallreflexionen im Raum. Wird hier Musik abgespielt, interagieren die Schallwellen kaum mit den physischen Dingen im Raum. Im Vergleich zu vielen Studios ist der Klang im «Lab» deshalb viel unverfälschter.

Und tatsächlich, das Hörerlebnis ist ein anderes. Mit geschlossenen Augen meint man, inmitten einer Band oder einem Orchester zu sitzen. So Musik zu hören macht euphorisch.

Juergen Strauss fotografiert am Freitag, 11. August 2023 im Musiclab Wabern. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Die Wand sollte auch gut aussehen, findet Strauss. (Bild: © Copyright 2023 Simon Boschi, all rights reserved)

Neben dem «Lab» gibt es auch noch das «Studio». Es ist ein Aufnahmeraum und auch dieser sticht durch eine besondere Akustik hervor. Der Hall ist hier extrem variabel. In 8 Meter Entfernung hört man einander, als stünde man gleich nebeneinander. Was beim Musizieren für einen klaren und transparenten Klang sorgt. Wird der Hall verändert, klingen die Instrumente wie in einem grossen Saal. Teilweise mieten Musiker*innen den Raum, um gute Aufnahmen zu machen. «Hauptsächlich verwenden wir die Räume aber für Forschungsprojekte», betont Strauss.

Vergangenheit hören

Ein Forschungsbereich, in dem Strauss arbeitet, ist die Simulation von Raumakustik. Das Hörbarmachen von Räumen nennt man Auralisation. Eine Software berechnet die Geometrie und Akustik eines Raumes, um zu wissen, wie es darin klingt. So können etwa Räume, die es nicht mehr gibt, akustisch wieder erlebt werden. Strauss und sein Team haben selbst eine solche Software entwickelt, um diverse Räume, darunter auch historische, hörbar zu machen. Es sei ein aufwendiges Verfahren, das viel Zeit und Geld in Anspruch nehme.

Ein Beispiel für ein solches Projekt ist die Hörbarmachung des abgebrannten Opernhauses der ungarischen Adelsfamilie Esterházy. Haydn war dort Kapellmeister und hat passend zur Akustik im Opernhaus Stücke komponiert.

Anhand eines 3D Modells des Opernhauses kann die Software berechnen, wie sich der Schall und die Akustik im Opernhaus verhalten haben. Das Ergebnis wird eine klangliche Simulation des Haydn Konzerts im Opernhaus sein. Hört man dann das Konzert im «Lab» an, wird es dank der wenigen Störgeräusche klingen wie seinerzeit im Opernhaus der Esterházys. Es sei sogar möglich, den Klang so zu simulieren, wie wenn man am Platz des Fürsten sitzen würde. «Wir können dann sagen, hier stand die Sängerin und hier sass der Fürst. So hat sich das für ihn angehört», meint Strauss.

Juergen Strauss fotografiert am Freitag, 11. August 2023 im Musiclab Wabern. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Jürgen Strauss will wissen, wie die Räume geklungen haben. (Bild: © Copyright 2023 Simon Boschi, all rights reserved)

Auch mit dem Musikarchäologen Conrad Steinmann arbeitet Strauss zusammen. «Ich kann das SE Musiclab nicht von seinem Initiant Jürgen Strauss trennen», so Steinmann. «Er ist der Kopf mit ganz bestimmten Ideen zu akustischen Phänomenen. Er will wissen, wie es in den bestimmten Räumen klang.» Steinmann nimmt im Studio antike Musik auf. Strauss bearbeitet die Musik dann mithilfe der Software. Damit sie klingt wie an den Originalschauplätzen. 

Die laufenden Projekte ermöglichen es, dass man Musik auf dieselbe Weise hören kann, wie es Menschen lange vor unserer Zeit getan haben. 

Virtuelle Akustik

Auralisation dient aber nicht nur der Simulation von historischen Räumen. Sie kann ebenso für Räume verwendet werden, die es gar nicht gibt. Oder die es erst noch geben soll. Bereits im Vorhinein kann Strauss mithilfe der Software berechnen, wie ein Raum klingen wird.

Die Forschung im SE Musiclab hilft bei der Herstellung und Bearbeitung von Musik, bei der Konzipierung von neuen Räumen oder macht historische Momente auf neue Weise erfahrbar. Das Hauptmotiv für Strauss ist aber ein anderes: «Hörlust», sagt er. Und raucht noch ein bisschen in den Raum hinein.

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