R wie Rassismus ins M wie Museum

Das Wandbild im Schulhaus Wylergut, das koloniale Stereotypen enthält, soll im nächsten Frühjahr im Bernischen Historischen Museum ausgestellt werden. Sofern alles nach Plan läuft.

Ein Wand-Alphabet im Schulhaus Wylergut enthält Darstellungen von Menschen, die heute als koloniale Stereotypen wahrgenommen werden. Im Rahmen eines Projektwettbewerbs hat die Stadt Bern nach Vorschlägen gesucht, wie mit dem Kunstwerk umgegangen werden soll. Sie informiert an der Medienkonferenz vor Ort über den Stand des Projektes und das weitere Vorgehen. Vlnr: Christel Meyer-Wilmes, Dozentin Hochschule der Künste Bern, Fachbereich Restaurierung und Konservierung, Franziska Burkhardt, Kulturbeauftragte Stadt Bern, Dr. Thomas Pauli-Gabi, Direktor Bernisches Historisches Museum, Vera Ryser und Fatima Moumouni, Verein «Das Wandbild muss weg». Aufgenommen für die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Wird wohl bald abmontiert und gezügelt: Das Wandbild im Schulhaus Wylergut. (Bild: Christine Strub)

Bei den Buchstaben P und U des gemalten Alphabets, aus dem das Wandbild im Schulhaus Wylergut besteht, klafft eine Lücke. Die Kacheln mitsamt Feinputz sind fein säuberlich herausgeschnitten. Sie sind der Grund, weshalb die Stadt Bern die Medien am Dienstagmorgen in das Schulhaus eingeladen hat.

Das seit dem Frühjahr 2019 vieldiskutierte Wandbild (siehe Kasten unten) soll bis Ende Jahr entfernt werden. Die Stadt übergibt es dem Bernischen Historischen Museum (BHM) per Schenkungsvertrag. Im Frühjahr 2024 plant das BHM zum Wandbild eine Ausstellung mit dem Ziel, «Räume für einen offenen und mehrstimmigen Diskurs über die komplexen Entstehungs- und Wirkungsgeschichten zu ermöglichen». Das verkünden Vertreter*innen von Kultur Stadt Bern, des BHM, des Vereins «Das Wandbild muss weg!» und der Hochschule der Künste Bern (HKB) im Gang des Schulhauses gleich neben dem Wandbild, um das sich alles dreht.

Ein Wand-Alphabet im Schulhaus Wylergut enthält Darstellungen von Menschen, die heute als koloniale Stereotypen wahrgenommen werden. Im Rahmen eines Projektwettbewerbs hat die Stadt Bern nach Vorschlägen gesucht, wie mit dem Kunstwerk umgegangen werden soll. Sie informiert an der Medienkonferenz vor Ort über den Stand des Projektes und das weitere Vorgehen. Vlnr: Christel Meyer-Wilmes, Dozentin Hochschule der Künste Bern, Fachbereich Restaurierung und Konservierung, Franziska Burkhardt, Kulturbeauftragte Stadt Bern, Dr. Thomas Pauli-Gabi, Direktor Bernisches Historisches Museum, Vera Ryser und Fatima Moumouni, Verein «Das Wandbild muss weg». Aufgenommen für die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Warum ist ein Wandbild von 1949 in einer Schule so wichtig geworden? 

Die beiden sozial engagierten Künstler Eugen Jordi (1894-1983) und Emil Zbinden (1908-1991) haben 1949 im Auftrag der Stadt und im Rahmen von zwei weiteren Wandbildern im Schulhaus Wylergut das Alphabet gemalt.

Heute sind auf dem Wandbild die Buchstaben C, I und N jeweils mit einer Zeichnung überklebt, die nur die Buchstaben abbilden und ohne eine Assoziierung, wie sie bei allen anderen Buchstaben (Affe bei A, oder Ziege bei Z) gemalt ist. Diese Buchstaben haben seit 2019 für viel Lesestoff gesorgt. Bei C war eine stereotype Darstellung eines nicht-weissen Menschen zu sehen, beim Buchstaben I eine indigene Person Amerikas und bei N einen schwarzen Menschen. Das Wort, das man damit verbindet, gilt heute als rassistisch. Diese Bilder wurden im Sommer 2020 von Unbekannten übermalt. 

Die Stadt Bern reagierte 2019 auf eine Beschwerde aus der Zivilgesellschaft und schrieb im August des gleichen Jahres einen Wettbewerb aus, mit der Frage, wie heute mit dem Wandbild im Schulzusammenhang umzugehen ist. Es gab ein zweistufiges Verfahren: 27 Teams reichten Projektskizzen ein, davon wurden fünf eingeladen, ihr Projekt auszuarbeiten und der Jury vorzulegen.  

Entgegen der ursprünglichen Wettbewerbsausschreibung der Stadt erteilte die Jury 2021 dem der Verein «Das Wandbild muss weg!» den Zuschlag: Das Wandbild soll nicht im Schulhaus bleiben, sondern ins Museum transferiert werden, wo es besser kontextualisiert werden könne. Die Ausschreibung hingegen verlangte eine «auf Dauer angelegte künstlerische Arbeit vor Ort», und «einen konkreten Input für die zeitgemässe Verhandlung des Wandbildes im Schulalltag.» Das Budget, das die Stadt dafür zur Verfügung stellt: 55’000 Franken.

Ein Wandbild zu entfernen und unbeschädigt ins Museum zu dislozieren ist aber teurer. Das Projekt kostet laut den Initiant*innen insgesamt 250'000 Franken. Diese Zusatzkosten muss der Verein selbst tragen, respektive durch Fundraising decken. Durch Beiträge unter anderem der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen (EKM), der Burgergemeinde Bern, der Stiftung Pro Helvetia und der Fachstelle für Rassismusbekämpfung soll das laut dem Verein möglich sein.

Das Bild sei ein Zeugnis einer aktuellen Debatte zum kolonialen Erbe, es solle ins kollektive Gedächtnis der Gesellschaft aufgenommen werden und gehöre deshalb ins Historische Museum, sagt BHM-Direktor Thomas Pauli-Gabi. Dem Verein «Das Wandbild muss weg!» wird hierfür ein Gastkuratorium gewährt, weil, so Pauli-Gabi, «das BHM nicht von Haus aus sprechen will. Es sollen verschiedene Stimmen zu Wort kommen». Eine Veranstaltungsreihe werde die Ausstellung begleiten und den Diskurs fördern.

Es sei ein mutiger Schritt für das Bernische Historische Museum, sagt Pauli-Gabi: «Mit diesem Projekt wollen wir Deutungshoheit abgeben und Menschen eine Stimme geben, die bisher keine Stimme hatten, und ihnen Teilhabe gewähren.»

Die Slam-Poetin Fatima Moumouni, Mitglied des Vereins «Das Wandbild muss weg!»,  hielt vor den Medien fest: «Wir standen vor dem Wandbild und fanden: Das geht irgendwie nicht.» Es sei nicht möglich, eine Kontextualisierung am jetzigen Standort des Bilds innerhalb der Schule zu machen. «Die Verschiebung ins Museum ist notwendig, weil das Wandbild stereotype Darstellungen nicht-weisser Menschen in eine Reihe mit Tieren, Pflanzen und Gegenständen einordnet», fügt Vera Ryser, ebenfalls Mitglied des Vereins, an.

Lange Planungszeit, unklarer Zeitplan

Seit dem Juryentscheid vom Frühjahr 2021 steht fest, dass der siegreiche Verein das Wandbild zügeln wird. Jetzt, zwei Jahre später, soll das Projekt starten. Bis Ende Jahr sollte das Wandbild im sogenannten Staccoverfahren, einer möglichst substanzerhaltenden Abnahmetechnik, von der Wand entfernt worden sein. 

Ein Wand-Alphabet im Schulhaus Wylergut enthält Darstellungen von Menschen, die heute als koloniale Stereotypen wahrgenommen werden. Im Rahmen eines Projektwettbewerbs hat die Stadt Bern nach Vorschlägen gesucht, wie mit dem Kunstwerk umgegangen werden soll. Sie informiert an der Medienkonferenz vor Ort über den Stand des Projektes und das weitere Vorgehen. Vlnr: Christel Meyer-Wilmes, Dozentin Hochschule der Künste Bern, Fachbereich Restaurierung und Konservierung, Franziska Burkhardt, Kulturbeauftragte Stadt Bern, Dr. Thomas Pauli-Gabi, Direktor Bernisches Historisches Museum, Vera Ryser und Fatima Moumouni, Verein «Das Wandbild muss weg». Aufgenommen für die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Die Züglete des Wandbilds werde sich verzögern, bestätigt Franziska Burkhardt. (Bild: Christine Strub)

Allerdings sind die Abnahmearbeiten unterbrochen worden, bevor sie richtig begonnen haben. Ein Berner Anwalt hat mit einer baupolizeilichen Anzeige erwirkt, so das Onlinemagazin Journal B, «dass die Vorarbeiten zur Entfernung des ‹Illustrierten Wandalphabets› im Schulhaus Wylergut eingestellt werden.» Er fordert ein ordentliches Baubewilligungsverfahren. 

Die Züglete des Wandbilds werde sich verzögern, bestätigt Franziska Burkhardt, Kulturbeauftragte der Stadt Bern. Mit den baupolizeilichen Gegebenheiten und der Denkmalpflege habe sich die Stadt auseinandergesetzt. Die Dauer des Verfahrens könne Burkhardt nun schlecht abschätzen, denn die Anzeige kann weitergezogen werden «Es ist zu bedauern, dass die Einsprache nicht in den letzten Jahren gemacht wurde», sagt Burkhardt . 

Der Direktor des BHM, Thomas Pauli-Gabi, reagiert allerdings flexibel: Wenn das Wandbild nicht rechtzeitig bis zum Ausstellungsstart im April 2024 im Museum sei, «finden wir schon eine Lösung». Man könne auch den ganzen Prozess thematisieren, schlägt er vor. Eine  Ausstellung werde so oder so stattfinden, sagt Pauli-Gabi. 

Ein Wand-Alphabet im Schulhaus Wylergut enthält Darstellungen von Menschen, die heute als koloniale Stereotypen wahrgenommen werden. Im Rahmen eines Projektwettbewerbs hat die Stadt Bern nach Vorschlägen gesucht, wie mit dem Kunstwerk umgegangen werden soll. Sie informiert an der Medienkonferenz vor Ort über den Stand des Projektes und das weitere Vorgehen. Vlnr: Christel Meyer-Wilmes, Dozentin Hochschule der Künste Bern, Fachbereich Restaurierung und Konservierung, Franziska Burkhardt, Kulturbeauftragte Stadt Bern, Dr. Thomas Pauli-Gabi, Direktor Bernisches Historisches Museum, Vera Ryser und Fatima Moumouni, Verein «Das Wandbild muss weg». Aufgenommen für die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
«Es soll nicht wieder ein Werk für immer hier platziert werden», sagt Fatima Moumouni (rechts). (Bild: Christine Strub)

Die Entfernung von zwei Kacheln nehme eine Woche Arbeit in Anspruch, so Christel Meyer-Wilmes von der HKB. Noch ist es also nicht unmöglich, dass die Ausstellung wie geplant stattfinden kann

Verlernprozess durch Leerstelle

Die Leerstelle an der Wand soll vorerst so bleiben, um den Verlernprozess zu thematisieren. Die Lehrer*innenschaft sei involviert, es werde Workshops geben, sagt Ryser. 

Der Verein sei mit einer Künstlerin in Kontakt, die temporär etwas aus der Wand machen solle, so Fatima Moumouni: «Es soll nicht wieder ein Werk für immer hier platziert werden.» Dies habe sich ja nicht bewährt.

In einer ersten Version des Textes wurden die Angaben von Franziska Burkhardt zum Zeitplan der Wandbild-Verschiebung nicht korrekt wiedergegeben. Die Textpassage ist nun präzisiert. Wir entschuldigen uns für den Fehler.

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Diskussion

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Madleina Zilaba
13. April 2023 um 08:42

Als Mutter bin ich froh ist Bewegung in dieser Sache. Es überrascht mich aber auch nicht dass es immer wieder neue Hürden zu überwinden gibt. Das ist das typische am Rassismus. Nicht Betroffene erkennen nur offensichtliche Gewalttaten als Rassismus an, aber was die ganzen Mikro-Aggressionen mit der Entwicklung des Selbstbildes von Kindern und später Erwachsenen machen interessiert sie nicht - sie wehren sich gar dagegen damit aufzuhören! Dabei sind die Auswirkungen davon längst wissenschaftlich erwiesen, schlechtere Bildungsstatistik, erhöhte Zahl an psychischen Erkrankungen usw. Gerade deswegen muss man auch weiterhin an Schulen erst recht noch viel genauer hinschauen welche Menschenbilder transportiert werden.