«Es ist wichtig, dass wir Bauern ein Umdenken in der Gesellschaft anstossen»
Warum ist es als Bäuer*in so schwer, sich öffentlich für die Massentierhaltungsinitiative einzusetzen? Wir haben mit zwei Bauern gesprochen.
Demeter-Bauer Fritz Sahli in Schüpfenried bei Wohlen fährt an diesem sonnigen Nachmittag einige hundert Meter weit zum mobilen Legehennenstall. Die automatischen Türen des Wintergartens hätten sich nicht geöffnet, hat ein Mitarbeiter gemeldet. Jetzt drückt er einen kleinen Knopf, und noch während das Tor aufschwingt, zwängen sich die braunen und weissen Hühner nach draussen. Zwei solcher Ställe hat er, je 1000 Tiere finden darin Platz. Einen grossen Teil des Futters produziert er selber, so baut er zum Beispiel Mais für die Tiere an.
«Ich kämpfe für die Massentierhaltungsinitiative», sagt er. «Es ist nicht nur wegen der Tiere, es ist grundsätzlicher.» Es gehe darum, wieder zurück zu kleineren Strukturen zu finden. Fritz Sahli ist einer der wenigen Bauern, die sich dezidiert für die Massentierhaltungsinitiative einsetzen. Er sitzt im Initiativkomitee. Dabei muss er Gegenwind aushalten. «Ich bin auch schon bedroht worden», sagt er.
Eine Handvoll Telefonanrufe habe er erhalten, manchmal anonym, manchmal gaben sich die Anrufer – es waren immer Männer – auch zu erkennen. «Damit muss ich leben können», sagt er achselzuckend.
Polizeischutz vor Abstimmung
Auch Kilian Baumann hat solche Bedrohungen erlebt. Nicht jetzt, aber im Frühling vor einem Jahr, als die Abstimmungen zur Trinkwasser-Initiative und zur Pestizid-Initiative anstanden. Die Situation war aufgeheizt und gehässig. Der Biobauer und Nationalrat (Grüne) aus Suberg bekam viele Aggressionen ab, weil er als Bauer und Politiker dezidiert für die beiden Agrarvorlagen einstand. Andere Bauern bezeichneten ihn als Nestbeschmutzer. Das ging soweit, dass nicht nur er, sondern auch seine Familie bedroht wurde, so dass das Fedpol schliesslich Polizeischutz anordnete.
Ist die Situation im Vorfeld der nun anstehenden Abstimmung immer noch so aufgeheizt? Und unter welchen Bedingungen sind Landwirt*innen überhaupt noch bereit, sich öffentlich anders zu äussern als der mächtige Bauernverband (SBV)?
An diesem Morgen steht Kilian Baumann bei seinen Rindern; sie sind auf der Weide, die gesäumt ist von Bäumen und einem Bach. Wohl darum ist das Gras auch in diesem trockenen Sommer immer noch grün hier. Die Rinder sind Tag und Nacht draussen, tagsüber suchen sie unter den Bäumen Schatten. Die nächsten eineinhalb Jahre werden sie bei ihm weiden, bevor er sie metzgen lässt und direkt vermarktet.
Baumann ist ein Kleinbauer, er ist auch der Präsident der gleichnamigen Vereinigung. Diese hat wie Bio Suisse und Demeter die Ja-Parole gefasst, vertritt sie aber nicht offensiv. Auch Baumann selber sagt, er sei für die jetzige Initiative, wolle sich aber nicht zu sehr exponieren. Darum habe ihn auch seine Partnerin gebeten.
Baumann trägt dabei seine Geschichte mit sich. Bereits seine Eltern waren politisch tätig, Mutter Stephanie war im Nationalrat (SP), Vater Ruedi Baumann (Grüne) ebenfalls. Auch er setzte sich vor gut 20 Jahren für ökologischere Agrarvorlagen ein, auch er musste Hass und Häme aushalten. So wurde der Hof der Baumanns mal versprayt. Schon damals verkörperten die Baumanns nicht die offizielle Meinung der Bäuer*innen.
Nein-Plakate stehen auf den Feldern
Offiziell sind die Schweizer Bäuer*innen gegen die Initiative. Nein heisst jedenfalls die Parole des SBV. Und Nein-Plakate stehen auch seit Wochen schon auf vielen Weiden oder hängen an Ställen. Das Hauptargument: Die Konsument*innen seien nicht bereit, mehr für tierische Produkte zu zahlen. Werde die Initiative angenommen, würden die Konsument*innen vermehrt im Ausland einkaufen.
Die Bäuer*innen haben Angst, auf ihrem Fleisch sitzen zu bleiben. Auch Bio-Bäuer*innen, die bei der Annahme der Initiative keine Anpassungen in ihren Betrieben machen müssten, sind aus diesem Grund häufig dagegen.
Umtriebiger, gelassener Geschäftsmann
Demeter-Bauer Sahli in Schüpfenried ist mit diesem Argument nicht einverstanden. «Fleisch wird nicht automatisch teurer, wenn es tierwohlfreundlicher produziert wird», sagt er. Er verweist auf den Trend, dass immer öfter ausgediente Legehennen geschlachtet werden. Diese wurden früher nach einem Jahr – bevor sie ihr Federkleid wechselten und nicht mehr täglich ein Ei legten –, ausgestallt, das heisst, getötet und meist in die Biogas-Anlage gebracht. Heute werden aus ihnen Bratwürste, Hamburger und Suppenhühner gemacht. Während es bis vor kurzem nur einen Metzger im Emmental gab, der alte Legehennen schlachtete, gibt es mittlerweile mehrere Schlachtbetriebe in der ganzen Schweiz. «Dieses Fleisch ist nicht teuer», sagt er. Und sowieso: Lieber konsumiere man weniger Fleisch, dafür bewusster.
Er sitzt nun im luftigen Innenhof seines Betriebs, der auch als Café genutzt wird. Hier finden kulturelle Veranstaltungen statt, er vermietet Seminarräume, weiter hinten gibt es einen Schaugarten. Vorne an der Strasse ist die Postautostation, was den Hof mit Hofladen aus Richtung Stadt gut erreichbar macht.
Fritz Sahli ist Bauer aus Leidenschaft, aber auch ein umtriebiger Geschäftsmann. «Letzthin hat mir eine Bäuerin gesagt, ich würde auch aus einer Glungge noch Geld machen», witzelt er. Selbst im ernsthaften Gespräch hat er Schalk in den Augen. So schnell scheint ihn nichts aus der Bahn zu werfen.
Drohanrufe nicht – und auch nicht der Gedanke daran, dass er sich mit seiner Meinung exponiert. Aber warum nicht? Fritz Sahli zuckt mit den Schultern. Dann sagt er ein Wort: «Gelassenheit.» Er sei gelassen, er habe keine Angst, er stehe zu seiner Meinung und könne sich mit Worten wehren. Und: Ihm sei es wichtig, sich zu äussern. Das habe er letztes Jahr bei den beiden Agrarinitiativen gemerkt, als er sich noch zurückgehalten habe. «Es ist wichtig, dass in der Gesellschaft ein Umdenken stattfindet», sagt er. «Und es ist wichtig, dass auch wir Bauern dieses Umdenken anstossen.» Hin zu einer ökologischeren und nachhaltigeren Landwirtschaft und weniger nationalen und globalen Abhängigkeiten. Denn je grösser die Höfe seien, je industrialisierter, desto mehr seien die Landwirt*innen abhängig von Futter aus dem Ausland.
Überall Abhängigkeiten
Auch Kilian Baumann plädiert für dieses Umdenken. Und er findet, dass sich in den letzten Jahren diesbezüglich in der Gesellschaft viel verändert habe – auch wenn politische Anstrengungen an der Urne oder im Parlament immer wieder abgelehnt wurden. So sei es zum Beispiel heute bis weit in die politische Mitte hinein akzeptiert, dass man weniger Fleisch konsumieren sollte. «Gesellschaftlich ist viel gegangen, aber die Politik hinkt noch hinterher», sagt er. Das Wissen, dass es in kleinen Schritten vorwärtsgehe, motiviere ihn schliesslich auch, sich politisch weiterhin für eine andere Landwirtschaft einzusetzen.
Dann führt er von der Weide weg. Er will sein zwei Hektar grosses Bohnenfeld zeigen, wo er grüne Bohnen fürs Tiefkühlregal produziert. Das Feld wirkt riesig und entspricht so gar nicht dem Bild, das die Werbung von der biologischen Landwirtschaft vermittelt. Kilian Baumann pflückt eine Bohne und bricht sie in der Mitte, sie ist reif und saftig. Das ist gut. Denn er liefert sie an einen grossen Verteiler, der den Zeitplan bestimmt, wann gesät und geernet wird und ihm die Ernte nur abnimmt, wenn sie den Qualitätskriterien entspricht.
Das sind die bäuerlichen Realitäten für die meisten Produzent*innen. Nur wer direkt vermarktet, bleibt davon verschont. Und zu diesen Produzent*innen gehört nur ein kleiner Prozentsatz.
Es sind Abhängigkeiten, die verletzlich machen. Denn sie beschränken sich nicht auf die Zwischenhändler*innen, sondern existieren zum Beispiel auch bei Lohnunternehmer*innen. So brauchen die Bäuer*innen zum Ernten der Feldfrüchte und des Getreides einen Drescher. Ab und zu muss ein Traktor von einem anderen Bauern ausgeliehen werden. Da ist man auf gute, konstante Beziehungen angewiesen. «Ich kann und will es mir nicht mit allen verspielen», sagt Kilian Baumann, «das kann ich mir auch rein wirtschaftlich nicht leisten». Er lebe in dörflichen Strukturen, in die er sich ein Stück weit auch einfügen müsse.
«Ich kann mir Konfrontation leisten, weil ich so frei bin.»
Demeter-Bauer Fritz Sahli
Zurück zu Fritz Sahli. Auch er lässt sein Getreide dreschen. 15 Hektaren baut er davon an. Das ist viel, Sahli ist dadurch ein interessanter Kunde, für den Lohnunternehmer*innen gerne arbeiten. Den grössten Teil des Getreides nimmt ihm der Ängelibeck ab, der seine Backstube in Köniz hat. Sahli ist fast gar nicht von Zwischenhändler*innen abhängig. Und je unabhängiger, desto weniger Angst vor Konsequenzen müsse jemand haben. «Ich mag die Konfrontation», sagt er, «und ich kann sie mir leisten, weil ich so frei bin.»
Schnure und Probleme lösen
Und ausserdem: «Mit Schnure kann man viele Probleme lösen», sagt Sahli. Er arbeitet auch mit konventionellen Bauern zusammen, er sitzt mit ihnen am Tisch, hört ihre gegenteiligen Argumente, kontert mit einem Lächeln. «Sie sehen ja, wie ich wirtschafte. Ich bin erfolgreich, darum nehmen sie mich auch ernst», sagt er.
Vieles auf seinem Hof hat er automatisiert, so schliessen etwa die Türen zu den Hühnergehegen automatisch – ausser sie fallen aus, so wie heute. Die Nester, in die die Hühner die Eier legen, werden nachts abgedeckt, damit die Hühner nicht darin schlafen und sie verschmutzen. «Früher mussten die Bäuer*innen stundenlang Eier putzen», sagt Sahli, «mein Vater zum Beispiel war immer im Stress». Die Automatisierung bringe mehr Entspannung. «Dadurch habe ich mehr Zeit für die Tiere selber.»
Fritz Sahli will sich weiterhin für die Initiative einsetzen, wird in nächster Zeit an viele Podien reisen. «Sie lassen mich ja weiterleben», sagt er augenzwinkernd. Und meint dann: «Ich bin überzeugt, dass es noch manchen Bauer gibt, der jetzt schweigt und dann doch ein Ja einlegt.»