Wi geits? – «Hauptstadt»-Brief #165
Donnerstag, 27. April 2023 - die Themen: «Hauptsachen»-Talk Mental Health; integrative Schule; grünste Gasse; Plastikabfall; Berner Spitallandschaft; Hirschengraben; nationalsozialistische Gedenkstätte; sportliche Showdowns.
Wenn ich dich jetzt frage, wie es dir geht, antwortest du mir ehrlich? Oder sagst du doch nur «gut», so wie die meisten?
«Gut» ist die erwartete Antwort. Den meisten Menschen will oder kann man es nicht zeigen, wenn es einem nicht gut geht. Weil es in unserer Gesellschaft immer noch ein Stigma ist, ein Tabu auch. Wobei Ricarda Eijer, Medizinstudentin und Gründerin des «Irrsinnig Mental Health-Podcast» findet, sie antworte oft mit «mittel». Zu dieser ehrlichen Antwort sei sie aber nur «durch viel Übung» gekommen.
Um mentale Gesundheit ging es in unserem gestrigen «Hauptsachen»-Talk. Und darum, was helfen kann, damit wir als Gesellschaft psychisch gesünder werden. Es ist ein Thema, das auch viele Junge bewegt, wie sich an den vollen Stuhlreihen im Berner Progr zeigte. Neben Eijer nahmen Pflegefachfrau Nora Ambord und GLP-Grossrat Tobias Vögeli am Talk teil, geleitet wurde er von «Hauptstadt»-Journalistin Flavia von Gunten.
Die drei Teilnehmer*innen waren sich einig, dass psychische Erkrankungen das Stigma loswerden müssen, und dass darüber mehr in Schulen und in der medizinischen Ausbildung gelehrt werden müsse. Grossrat Vögeli hat einen überparteilichen Vorstoss im Kantonsparlament eingereicht, er will psychische Gesundheit analog zur Schulzahnpflege bereits ab der ersten Klasse in den Schulalltag integrieren. «Das ist auch ökonomisch sehr, sehr sinnvoll, weil man später spart, wenn weniger Menschen psychische Krankheiten bekommen», argumentierte er.
Was ich aus diesem Talk mitnehme, kann nicht oft genug betont werden: Nicht nur ehrliche Antworten auf floskelhafte Fragen helfen. Was noch mehr hilft, ist darüber reden. Dann merkt man schnell, dass es andere gibt, denen es gleich geht. Oder, wie Nora Ambord, die Kurse am Recovery College leitet, sagte: «Wenn wir dort zusammen sprechen, erleben wir immer wieder schöne Momente, weil wir merken, wir sind doch alle ähnlich.»
Und das möchte ich dir sonst noch mit in den Tag geben:
- Inklusive Schule: Im Wankdorf gibt es neben der Regelschule eine Heilpädagogische Schule. Alle Schüler*innen befinden sich auf demselben Gelände. So ist eine Durchmischung möglich. Das soll das gegenseitige Verständnis und die Toleranz aller Kinder und Jugendlichen fördern. Doch wie integrativ sind die Schulen in Bern – und wie sehr wollen sie das überhaupt sein? Meine Kollegin Andrea von Däniken hat mit Lehrpersonen und Schulleiterinnen von drei verschiedenen Unterrichtsmodellen gesprochen und sich mit den Grenzen der Inklusion auseinandergesetzt: Die Frage sei, betonten alle Gesprächspartnerinnen, ob unsere Gesellschaft bereit sei für Inklusion. Dieser Artikel ist der letzte unseres Schwerpunkts zur Inklusion, nicht aber der letzte Beitrag zu diesem Themenbereich.
- Grünste Gasse der Schweiz: Die Begrünung der Städte, die in Zeiten des Klimawandels einen positiven Effekt auf das Stadtklima haben kann, soll in Bern mehr Aufmerksamkeit erhalten. Dazu lanciert die Universität Bern ein Projekt in der Postgasse in der Berner Altstadt. Sie soll zur grünsten Gasse der Schweiz werden. Am 6. Mai startet die Aktion, indem die Anwohner*innen dabei unterstützt werden, ihre eigenen Fenstersimse und Aussenflächen zu bepflanzen. Die Begrünung soll dank Partner*innen aus der Wirtschaft, etwa dem Start-up Boum, weitgehend kostenfrei für die Bewohner*innen sein. Die Effekte der Begrünung auf Temperatur, Biodiversität, Wasserhaushalt und Lebensqualität werden anschliessend vom Institut für Pflanzenwissenschaften erforscht.
- Plastik-Abfall: Der Kanton Bern will laut dem zuständigen Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) Pionier beim Sammeln von Plastikabfall in Privathaushalten werden – jedoch ohne dass er sich finanziell engagiert. Die Entsorgungsfirma Avag und das spezialisierte Ostschweizer Unternehmen Innorecycling testen in einem dreijährigen Pilotversuch das System «Bring Plastic back» in Berner Haushalten. Kunststoffe werden zu Hause in kostenpflichtigen Säcken (1.90 Franken pro 35-Liter-Sack) entsorgt. Das Projekt startet ab 1. Mai, vorerst haben sich gut 50 Gemeinden (von 337) für eine Teilnahme entschieden. Die grossen Städte Bern und Biel etwa sind nicht dabei, weil sie eigene Entsorgungsprojekte verfolgen. Recycling von Plastik, das aus Erdöl hergestellt wird, ist umstritten, weil ineffizient. Grössere Sammelmengen, wie jetzt in Bern angestrebt, könnten die Recycling-Technologie vorantreiben. Ökologischer wäre jedoch die Vermeidung von Plastik.
- Berner Spitallandschaft: Fachkräftemangel und Spardruck gibt es auch im Gesundheitsbereich. Die Berner Insel-Gruppe gerät nun vor einem wichtigen Grundsatzentscheid unter Druck, nachdem ein als vertraulich klassifiziertes Papier via Bund/BZ (Abo) öffentlich gemacht worden ist. Gemäss diesem Papier soll die Insel mehr Einfluss in der Spitallandschaft im Kanton Bern erhalten. So etwa, indem die Regionalspitäler in ein Netzwerk integriert würden und es Fusionen von Spitalunternehmen im Oberland und Emmental/Oberaargau geben würde. Dabei handelt es sich um eine Studie des Beratungsunternehmens PwC, die zum nächsten Mal an einer Sitzung am 13. Mai diskutiert werden soll.
- Hirschengraben-Umgestaltung: 20 der 25 Kastanienbäume am Berner Hirschengraben bleiben an ihren jetzigen Standorten erhalten, lediglich fünf Bäume müssen wegen der Bauarbeiten entfernt und später ersetzt werden. Das hat die Stadt Bern am Dienstag mitgeteilt. Im Zentrum der Umgestaltung steht eine Personenunterführung, die den neuen Bahnhofzugang Bubenberg mit dem Hirschengraben verbindet. Diese soll nun aber etwas schmaler werden als ursprünglich angedacht. Auch die Versetzung des Bubenberg-Denkmals soll entgegen den ursprünglichen Plänen nicht dauerhaft, sondern nur temporär während der Bauarbeiten sein. Die Massnahmen sind seit gestern öffentlich aufgelegt. Das Stimmvolk hatte im März 2021 einen Kredit von 112 Millionen Franken für die Umgestaltung gesprochen.
- Nationalsozialismus-Gedenkstätte: In Bern soll ein Erinnerungsort für die Opfer des Nationalsozialismus entstehen. Der Bundesrat hat gestern 2,5 Millionen Franken für die Einrichtung dieses öffentlich zugänglichen Gedenkortes bewilligt, wie die Nachrichtenagentur sda schreibt. Bis im Sommer soll eine Zusammenarbeit mit der Stadt Bern vereinbart werden, die für den Unterhalt der Gedenkstätte verantwortlich sein wird. Die Forderung nach einem Erinnerungsort für Opfer des Völkermords im Nationalsozialismus war aus dem Parlament gekommen.
- Sportliche Showdowns: Diese Woche könnten gleich zwei Berner Clubs Meister werden. Im Eishockey geht es beim EHC Biel im letzten Spiel gegen Servette um alles: Gewinnt Biel heute in Genf das Entscheidungsspiel, ist der Club erstmals nach 40 Jahren wieder Meister. Biel hat es selbst in der Hand. YB hingegen muss nach der verpassten Chance am Dienstag warten, was die Gegner machen. Und könnte am Samstag theoretisch schon Sofa-Meister werden, also als Sieger der Meisterschaft feststehen, ohne selbst gespielt zu haben. Lieber wäre den Berner Fans wohl das Szenario, dass YB erst das Heimspiel am Sonntag gegen Luzern gewinnt – und so einer ausgelassenen Meisterfeier nichts mehr im Weg steht.
PS: Früher war die Tour de Lorraine ein Fixpunkt im eher trostlosen Januar. Nach der Pandemie findet sie in diesem Jahr im April statt. Bereits seit letztem Wochenende gibt es Workshops und Diskussionen, diesen Samstag findet die grosse Soli-Party statt, an der sich 15 Lokale in Lorraine und Innenstadt beteiligen (und für die es wie immer keinen Vorverkauf gibt). Diesen und weitere Tipps findest du in unserem Bärner Nachtläbe.