«Wir können gar keine Pläne haben»

Fotograf Viktor Holikov ist Soldat im Ukraine-Krieg. Für eine Ausstellung seiner Fotos konnte er kurz nach Bern reisen, wo er viele Freund*innen hat. Jetzt ist er auf dem Weg zurück in den Krieg.

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Viktor Holikov wurde Soldat, auch wenn er nie Soldat werden wollte. (Bild: Claudio Dino Zingarello)

Sein Leben fühle sich an wie auf dem Beifahrersitz, sagt Viktor Holikov, der von allen nur Vitja genannt wird. Er sagt es an diesem Tag mehr als einmal. «Ich kann nicht wählen, wohin es geht und wann wir anhalten.» Viktor Holikov hat die Kontrolle über sein Leben abgegeben, als er zur Armee ging. Oder vielleicht auch schon, als Russland die Ukraine vor gut drei Jahren angriff.

Jetzt steht der 40-Jährige im Ausstellungsraum im Werkhof am Egelsee in Bern. Im Raum ist es düster. Es gibt nur ein paar Spotlights. Man hört Hammerschläge. Ein paar Berner Freundinnen hängen schwarzweisse Fotoprints auf. Die Prints sind Teil seiner Fotoausstellung «Konsequenzen», die hier am nächsten Tag eröffnen wird.

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Holikovs Bilder dokumentieren die flüchtigen Augenblicke. (Bild: Claudio Dino Zingarello)

Holikovs Fotos zeigen Momentaufnahmen aus der Ukraine. Aus dem Krieg, aber auch immer wieder aus dem Leben. Sowieso, wie lässt sich das noch unterscheiden? Der Ukrainer dient seit eineinhalb Jahren in der Armee. Erst als Soldat an der Front, nun als Fotograf in seiner Einheit. In dieser Funktion dokumentiert er den Krieg, die Bilder fliessen in die Social-Media-Kanäle der ukrainischen Armee ein.

Er zeigt sie auf seinem Handy: Fotos aus einem Spital für Kriegsverwundete, farbige Porträtaufnahmen der Männer aus seiner Einheit. «Ich zeichne das Leben meiner Brigade auf», sagt er. Natürlich gebe es klare Richtlinien, was er dürfe und was nicht. So könne er etwa nur über das Positive berichten.

Persönliches Tagebuch

Die in Bern ausgestellten Fotos sind anders. Sie sind alle schwarzweiss. Wenn er auf dem Beifahrersitz an der Frontlinie unterwegs sei, sehe er viel, manches wolle er festhalten. Diese Bilder seien quasi sein persönliches Tagebuch. Momente, die unmittelbar danach für immer vorbei seien. Nicht nur zeitlich, sondern auch, weil Landzüge oder Städte an den Feind fallen oder zerstört werden.

Die Flüchtigkeit wird noch dadurch betont, dass die Bilder oftmals aus einem fahrenden Auto aufgenommen sind, den Fensterausschnitt zeigen, leicht verschwimmen. Es sind Strassen, Landschaften, attackierte Häuser zu sehen.

Und manchmal auch kleine, schöne Momente in der ganzen Grausamkeit des Kriegs. Holikovs Lieblingsbild ist die Aufnahme einer Herde von Kühen, die friedlich grast. «Das ist 15 Meter von der Frontlinie entfernt», sagt er. Diese Gleichzeitigkeit sei manchmal kaum auszuhalten. «Da sitzt ein Soldat im Busch, bereit zu schiessen – und nebendran fährt ein Bauer auf dem Traktor vorbei.»

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Auf dem Handy zeigt der Fotograf, wie ein Ort, den er fotografiert hat, jetzt aussieht. (Bild: Claudio Dino Zingarello)

Vor dem Krieg hat Holikov als kommerzieller Fotograf gearbeitet. Er hat Aktfotografie gemacht, aber auch Hochzeiten abgelichtet. «Mit den Hochzeiten habe ich aufgehört, als der Krieg anfing. Es fühlte sich nicht mehr richtig an.» Zuerst half er seinem Heimatland als Freiwilliger, indem er gespendete Autos in anderen Ländern abholte und sie in die Ukraine fuhr. «Ich fühlte mich damals noch nicht bereit, der Armee beizutreten, wollte aber trotzdem etwas Sinnvolles tun», sagt er. Er habe sich schrittweise an diese Aufgabe herangetastet: In den Krieg zu ziehen, auch wenn er das eigentlich nie gewollt habe. «Es fällt mir immer noch schwer zu akzeptieren, dass ich jetzt Soldat bin.»

«Vitja hat sich verändert»

Ursina Töndury kommt aus dem anderen Ausstellungsraum zu Holikov und fragt ihn etwas wegen der Hängung der Bilder. Die Bernerin ist seit fast 20 Jahren mit dem Ukrainer befreundet, sie kennen sich aus internationalen Cevi-Lagern. 2015 reisten Töndury und 15 weitere Freund*innen an Holikovs Hochzeit im westukrainischen Luzk. In den letzten 20 Jahren war Holikov oft in Bern, hat auch hier fotografiert und bereits vor gut drei Jahren eine Ausstellung gemacht. Damals mit Fotos aus den Strassen Berns.

Jetzt hat Töndury gemeinsam mit Katrin Kaufmann und Rebecka Domig die Ausstellung in Bern organisiert. Alle drei haben einen kunsthistorischen Hintergrund und kennen Viktor Holikov seit vielen Jahren.

«Vitja hat sich verändert», sagt Töndury. Sie steht neben ihm und spricht Englisch, damit er alles versteht. «Ich würde sagen, du bist fatalistischer geworden.» Zum Beispiel erzähle er fast beiläufig, dass er bei einem Bombenangriff im März nur knapp dem Tod entronnen sei. Ein Freund von ihm starb, ein weiterer wurde verletzt.

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Am 2. Juni muss Viktor Holikov zurück bei seiner Einheit in der Ukraine sein. (Bild: Claudio Dino Zingarello)

Viktor Holikov nickt. «Ich habe eine dickere Haut bekommen und manchmal fällt es mir schwer, über meine Gefühle zu reden.» Das passiere vor allem gegenüber seiner Familie, die in Luzk lebe. «Ich kann ihnen nicht alles erzählen, manches lässt sich nicht erzählen», sagt er. Es gebe Sachen, die verstehe man nur, wenn man im Krieg gewesen sei.

Holikov hat eine fünf Monate alte Tochter. «Meine Frau besuchte mich vier Tage an der Front und wir machten ein Baby», sagt er. Er lacht kurz, um gleich darauf wieder ernst zu werden. «Die Stadt, in der wir uns trafen, ist mittlerweile zerstört.» Für die Geburt konnte er ein paar Tage nach Hause fahren. Und jetzt, bevor er in die Schweiz kam, sah er die kleine Tochter zum zweiten Mal. «Gemeinsame Pläne zu machen, ist das, was ich vielleicht am meisten vermisse», sagt er dann. «Wir können gar keine Pläne haben.»

Viele Zigaretten

Im Krieg sei jeder Tag gleich. Es passiere viel, und trotzdem eben nichts. «Die Tage sind lang, vor allem im Schützengraben.» Viktor Holikov nimmt grosse Schritte, während er die Treppe hinuntersteigt, um nach draussen zu gelangen. Die Sonne klatscht einem ins Gesicht, an den Gartentischchen sitzen Menschen und trinken Aperol Spritz.

Viktor Holikov zündet sich eine Zigarette an, zieht an ihr. «Seit ich in den Schützengräben lag, rauche ich so viel», sagt er entschuldigend, und legt dann beide Arme hinter den Rücken. Er nimmt eine militärische Haltung ein, ohne es zu merken.

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Der «kleine Urlaub» in Bern fühlt sich für Holikov gar nicht so leicht an, wie er gedacht hatte. (Bild: Claudio Dino Zingarello)

Hier in Bern zu sein, fühle sich gerade unwirklich an. «Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass ich noch vor ein paar Tagen zwischen russischen Drohnen und Raketen war.» Und doch sei dieser «kleine Urlaub», wie er es nennt, nicht so leicht, wie er gedacht hatte: «Kaum war ich in Bern angekommen, hörte ich einen Helikopter, der wohl im Inselspital landen wollte. Aber bei mir weckte er sofort Kriegsassoziationen.»

Der Bombenanschlag im März habe bei ihm Spuren hinterlassen, sagt er. Er sei schreckhaft geworden. Wahrscheinlich leide er an einem posttraumatischen Syndrom. «Aber mir geht es im Vergleich zu anderen noch sehr gut», sagt er dann. «Ich will meine Tochter wiedersehen, also bleibe ich stark. Die Familie gibt mir Kraft.»

Bald kehrt Viktor Holikov zurück in den Krieg. Am 2. Juni muss er wieder bei seiner Einheit sein. Er hat keine Wahl.

Die Ausstellung ist noch bis Freitag, 6. Juni geöffnet (Dienstag bis Sonntag, je 14 bis 19 Uhr), Werkhof Egelsee.

Filmabend: Mi, 28.5., 19.30 Uhr: «Don’t Close your Eyes – Gemeinsam Frieden finden» von Rahel Grunder.

Finissage: Fr, 6.6., 19 Uhr: Konzert Trummer.

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Diskussion

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Christoph Klopfenstein
28. Mai 2025 um 20:23

Es ist unvorstellbar, was die Menschen in der Ukraine weiterhin durchstehen müssen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass der Westen Putin endlich in die Schranken weist!