Zugänglichkeit – Stadtrat-Brief #41

Sitzung vom 5. Dezember 2024 – die Themen: Schlusspunkt von Präsidentin Valentina Achermann; Strassennamen; Parkplätze, grüne Welle, Solardach. Mitglied der Woche: Thomas Hofstetter (FDP)

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Die letzte Sitzung des Jahres ist traditionell kurz, damit genügend Zeit für das Schlussessen bleibt. In diesem Jahr war die Sitzung zusätzlich friedfertig und speditiv. Es ging schwergewichtig um die Umbenennung von Strassennamen und verschiedene Mobilitätsanliegen. Themen, bei denen an anderen Abenden durchaus die Fetzen fliegen können. «Das ist rotgrüne Ideologie» (Oliver Berger, FDP, zur Reduktion der öffentlichen Parkplätze) war an diesem Abend die vielleicht angriffigste Aussage. 

Die Sitzung widerspiegelte das Ratsjahr unter Präsidentin Valentina Achermann (SP). Die 30-Jährige ist im Januar angetreten mit dem erklärten Ziel, mehr Respekt im Ratssaal zu erreichen. «Ich finde es wichtig, dass Debatten emotional geführt werden. Aber ich finde es auch wichtig, dass wir die Debatten mit Respekt führen», betonte sie in ihrer Schlussrede noch einmal. Sie habe das Gefühl, das sei dem Rat in diesem Jahr gelungen. Dazu hat sie Anfang des Jahres Leitlinien mit den jeweiligen Fraktionspräsidien vereinbart.

Tatsächlich hat Valentina Achermann den Rat ein Jahr lang in einer unaufgeregten Art geführt: Mit wenigen Worten, aber einer starken Präsenz, die selbst die eher ungezügelten Ratsmitglieder zu bändigen vermochte.

Politik zugänglicher zu machen, auch das sei ihre Mission während des Ratsjahrs gewesen. «Darauf habe ich immer noch nicht die definitive Antwort», bekannte sie. Verantwortung liege allerdings auch bei den Medien, die die Übersetzungsarbeit machen sollten. «Lokalpolitik bringt nicht die meisten Klicks, aber wir entscheiden über absolut grundlegende Dinge. Die Bevölkerung muss das wissen.»

Um Achermanns Votum als Steilpass aufzunehmen: Die «Hauptstadt» will auch im nächsten Jahr aus jedem Stadtrat berichten. Dazu machen wir ein Crowdfunding. Es ist eine Art Wette: Indem du und weitere Menschen aus der Bevölkerung eine Berichterstattung finanzieren, von der die anderen Medien behaupten, dass sie sich nicht lohnt. Hilfst du mit, den Stadtrat-Brief für ein weiteres Jahr zu finanzieren?

Übrigens: An ihrem Schlussabend führte Präsidentin Achermann ihre Kolleg*innen in die Nachbargemeinde Köniz. Im inklusiven Kulturlokal Heitere Fahne in Wabern betonte sie noch einmal, wie wichtig es ihr sei, auch an die Menschen zu denken, die nicht so viele Privilegien hätten. Bevor sich die Stadträt*innen in einer Fotobox zu lustigen (und fraktionsübergreifenden) Gruppen versammelten und bis spät in die Nacht tanzten.

Portrait von Thomas Hofstetter im Rathaus Bern, aufgenommen am 31.10.2024 für hauptstadt.be
Ratsmitglied der Woche: Thomas Hofstetter

Thomas Hofstetter (63) sitzt seit 2022 für die FDP im Stadtrat, als er für die in den Grossen Rat gewählte Claudine Esseiva nachrutschte. Er war bereits ab März 2020 Stadtrat, wurde aber bei den Wahlen im Herbst desselben Jahres nicht wiedergewählt. Thomas Hofstetter ist Unternehmer und Mitglied des Verwaltungsrats der Alluvia AG, die im Kies-, Beton- und Entsorgungsgeschäft tätig ist.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Weil ich mithelfen möchte, die Gesellschaft und insbesondere die Stadt Bern weiterzuentwickeln. Dies, indem ich durch meine Ratsarbeit mitgestalte und mitentscheide, für was meine Steuern und die meiner Wählerinnen und Wähler ausgegeben werden. Leider hat sich dieser Wunsch faktisch nicht erfüllt.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Der Rat kennt mich als Exot. Erstens: Weil ich zu der Handvoll Ratsmitglieder gehöre, die nicht in der Verwaltung, in staatsnahen Betrieben, in Verbänden oder Stiftungen arbeiten. Ich bin es deshalb – vom Beruf her – gewohnt, nur das auszugeben, was man vorher eingenommen hat. Zweitens: Weil ich als älterer, verheirateter, «unqueerer» Mann, zudem Nichtakademiker und Vater, zu einer schützenswerten Minderheit im Rat gehöre. Ich leiste somit einen wertvollen Beitrag zu Integration, Inklusion und Vielfalt. Ich habe sowohl als Dishwasher wie als Verwaltungsrat gearbeitet, und ich war im Ausland wegen Migrationsproblemen ein paar Wochen im Gefängnis. Deshalb attestieren mir gewisse Ratsmitglieder eine breite Erfahrung und eine gewisse Absenderlegitimation.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Viele meiner Ratskolleginnen und -kollegen sind der Ansicht, dass die Realität falsch ist, wenn ihre Ideale nicht mit ihr übereinstimmen. Leider konnte ich sie nicht davon überzeugen, dass sie mit ihrer Annahme möglicherweise nicht richtig liegen. Weiter sind meine Bemühungen, die Insel Sardinien in die Stadt Bern aufzunehmen, bisher erfolglos geblieben.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Dass ich beim Geschäft «Entwicklung Wifag-Areal/Überbauungsordnung» den Rat davon überzeugen konnte, dieses wunderbare Vorzeigeprojekt nicht wegen ein paar Parkplätzen leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Weiter konnte auf meine Initiative und dank meiner Hartnäckigkeit – und der Unterstützung von Christian Bigler, dem Leiter des Sportamts – auf dem Pausenplatz des Sulgenbach-Schulhauses ein zweiter Basketballkorb installiert werden.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Mein liebster Stadtteil ist der Breitsch und dort der Sportplatz Spitalacker, der weltweit schönste Sportplatz. Auf dem «Spitz» habe ich 40 Jahre lang Fussball gespielt und war während vieler Jahre Finanzchef des FC Breitenrain. Auch habe ich während der Pubertät viele emotionale Momente auf der alten Holztribüne erlebt. Weil für mich Bern einzigartig schön ist, finde ich auch alle anderen Stadtteile liebenswert.

Und das wurde im Stadtrat entschieden:

  • Strassennamen: Zwei Motionen forderten die Umbenennung von Strassen. Einerseits ein Vorstoss von Jemima Fischer (AL) für «geschlechtergerechte Strassennamen». Andererseits ein Vorstoss aus den Reihen der GB/JA!-Fraktion, der Strassen mit militärischen Namen konsequent mit den Namen von Friedensaktivistinnen ersetzen wollte. Beide wurden von einer grossen Ratsmehrheit angenommen. Allerdings hatte die zuständige Gemeinderätin Marieke Kruit (SP) schon zuvor klargemacht, dass eine Annahme nur symbolischen Charakter habe, da das Anliegen in der Zuständigkeit des Gemeinderats liege. Der Gemeinderat hat, ausgelöst von einer anderen Motion, schon zuvor beschlossen, neue Strassen in Zukunft so lange nach Frauen zu benennen, bis es gleich viele Strassen gibt, die nach Frauen benannt sind wie nach Männer. Bestehenden Strassen will der Gemeinderat keine neuen Namen geben. Historische Bezüge und administrativer Aufwand würden grundsätzlich dagegen sprechen.  
  • Öffentliche Parkplätze: Ein bisschen emotional wurde es bei der Behandlung der Interpellation von GB/GFL zur Reduktion der öffentlichen Parkplätze. Die Einreichenden wollten wissen, wie sich die Zahl der Parkplätze entwickelt hat. Ersichtlich in der Auflistung ist, dass die öffentlichen Parkplätze in den letzten zehn Jahren von 17’800 auf gut 16’000 abgenommen haben, die Zahl der privaten Parkplätze aber schon nur zwischen 2019 und 2022 von 86’000 auf 87’200 gestiegen ist. «Die Zahl der Parkplätze nimmt insgesamt zu», betonte Katharina Gallizzi (GB). Daraus schliesse sie, dass der Handlungsbedarf nach wie vor gross sei. Die zuständige Gemeinderätin Marieke Kruit konterte, die Stadt habe ein Interesse daran, dass Autos vor allem in privaten Bereichen abgestellt würden und Pendler*innen mit dem öffentlichen Verkehr fahren. Beim Abbau der öffentlichen Parkplätze müsse man vorsichtig und transparent vorgehen. «Wir haben kein Interesse an langwierigen Prozessen wegen Einsprachen.»
  • Grüne Welle: Ein Postulat aus den Reihen AL/PdA forderte eine grüne Welle für Fussgänger*innen. In seiner Antwort machte der Gemeinderat jedoch klar, dass er das, wo immer möglich, schon verfolge. So gebe es etwa an punktuellen Stellen eine Verlängerung der Grünzeit via Bewegungsmelder, was praktisch für Schulklassen oder Mobilitätseingeschränkte sei. «Der Gemeinderat hat sich zum Ziel gesetzt, den Fussverkehr zu fördern», betonte Gemeinderätin Marieke Kruit in ihrem Votum. Das Postulat wurde vom Rat für erheblich erklärt (nur die SVP stimmte dagegen), der beiliegende Prüfungsbericht, in dem der Gemeinderat seine bisherigen Bemühungen darlegt, genehmigt, allerdings mit Gegenstimmen von GB und AL/PdA, denen die Anstrengungen zu wenig weit gingen.   
  • Photovoltaik: Einstimmig genehmigte der Stadtrat den Projektierungs- und Baukredit für ein städtisches Gebäude an der Schwarztorstrasse 71. Beim Gebäude soll das Steildach saniert und eine Photovoltaik-Anlage erstellt werden. Insgesamt sind Kosten von knapp 1,41 Millionen Franken veranschlagt. Die abtretende Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) nutzte das Traktandum, um ein letztes Mal ans Rednerpult zu treten: «Ich hoffe, das Dach an der Schwarztorstrasse kann eine Ansage sein, dass in der Stadt Bern aus jedem Dach, bei dem es möglich ist, ein Solardach gemacht wird», sagte sie.

PS: Auf der Publikumstribüne sass Matthias Aebischer (SP) und verfolgte aufmerksam die Debatte. Es sei das erste Mal, dass er im Stadtrat sei, sagte der Gemeinderat in spe der «Hauptstadt». «Ich bin beeindruckt, wie effizient die Debatten ablaufen.» Bereits an der nächsten Sitzung am 23. Januar 2025 könnte er selbst am Rednerpult stehen und die gemeinderätlichen Positionen erläutern.

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