Wie weiter mit der Berner Kulturagenda?

Die Mehrheit der 265 Veranstalter*innen möchte die Berner Kulturagenda BKA in ihrer bisherigen gedruckten Form weiterführen. Das dürfte wirtschaftlich schwierig werden, weil es das bisherige Trägermedium, den Anzeiger Region Bern, ab 2024 wohl nicht mehr geben wird.

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Erscheint seit 15 Jahren als Beilage des Anzeigers Region Bern: Berner Kulturagenda. (Bild: Danielle Liniger)

Die Berner Veranstalter*innen stehen unter Druck. Sie müssen bis Ende 2023 eine Lösung haben, wenn sie die gedruckte Kulturagenda auch in Zukunft in die Berner Haushalte liefern möchten. Das Problem: Der gedruckte Anzeiger Region Bern, dem sie seit 2007 beiliegt, hat eine äusserst unsichere Zukunft. 

Wegen einer Änderung der kantonalen Gesetzgebung ist es Gemeinden künftig erlaubt, ihre amtlichen Mitteilungen (wie etwa Baupublikationen) nur noch digital zu veröffentlichen. Viele Gemeinden wollen deshalb aus dem defizitären gedruckten Anzeiger aussteigen. Auf Anfrage bestätigen etwa die Stadt Bern und die Gemeinde Zollikofen, dies per Anfang 2024 anzustreben. Köniz hat als erste Gemeinde der Region ihren Austritt bereits gegeben und wird ab 2023 nicht mehr Teil des Anzeigers Region Bern sein. 

Köniz steigt als erste Gemeinde aus dem Anzeiger aus

Im März 2021 hat das Könizer Parlament beschlossen, dass Köniz per Ende 2022 aus dem Gemeindeverband Anzeiger Region Bern (ARB) aussteigt. Köniz ist die erste Gemeinde, die diesen Schritt vollzieht und dazu übergeht, die amtlichen Mitteilungen per Anfang 2023 nur noch digital zu publizieren. Weil dafür eine Änderung der Gemeindeordnung nötig ist, braucht es eine Volksabstimmung, die auf den 25. September terminiert ist. Am 20. Juni wird das Parlament die entsprechende Vorlage beraten.

Laut Vize-Gemeindeschreiberin Cornelia Rauch will die Gemeinde Köniz ihre amtlichen Mitteilungen künftig im Digitalen Amtsblatt Schweiz publizieren. Nicht internetaffine Menschen sollen die Bekanntmachungen im Gemeindehaus einsehen können. Sollte die Änderung der Gemeindeordnung in der Volksabstimmung scheitern, müsste Köniz eine alternative Print-Lösung zum heutigen Anzeiger suchen. In einer Antwort auf einen früheren Vorstoss aus dem Parlament hielt die Könizer Regierung fest, dass man die Mitteilungen in Form eines eigenständigen gedruckten Anzeigers publizieren müsste oder in Zusammenarbeit mit einem Verlag, der in der Region eine Zeitung herausgibt. 

Für die Kulturagenda hat das absehbare Ende des gedruckten Anzeigers gravierende Konsequenzen: Ihr kommt das Trägermedium abhanden, mit dem sie bisher kostengünstig in 150’000 Haushalte der Region Bern geliefert wurde. Wie weiter?

Um die Zukunftsoptionen auszuloten, haben die 265 Berner Veranstalter*innen, die seit 15 Jahren in einem Verein organisiert sind, der die Berner Kulturagenda (BKA) herausgibt, nun eine Kommission gebildet. In ihr sitzen neben Vereinsmitgliedern im Turnus auch Stadträtinnen des Grünen Bündnisses (Franziska Geiser, Ursina Anderegg und Lea Bill), sowie die beiden Kulturschaffenden Matthias Kunz und Sibylle Heiniger (beide Verband Theaterschaffen Bern T-Punkt).

In erster Linie geht es darum zu versuchen, dasselbe Angebot weiterzuführen. Das heisst: Eine gedruckte Kulturagenda mit einem redaktionellen Teil und eine Online-Agenda herauszugeben. Die Hauptschwierigkeit dabei: Die Berner Kulturagenda ist Teil eines schwer durchschaubaren Geflechts sich teilweise widersprechender wirtschaftlicher, politischer und institutioneller Interessen, die die «Hauptstadt» hier transparent zu machen versucht.

Die Rolle der SR Medien Group

Mit der Herausgabe und Erstellung der analogen und digitalen Kulturagenda ist bisher die SR Medien Group AG in Belp betraut. Es ist dieselbe Gruppe, die seit 2021 den Anzeiger für die Region Bern herstellt. 

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BKA und Anzeiger sind finanziell und organisatorisch eng verflochten. (Bild: Danielle Liniger)

Die SR Medien Group AG entstand im Herbst 2020. Bis dahin gab der Gemeindeverband Anzeiger Region Bern (ARB) den Anzeiger inklusive Kulturagenda heraus. Weil das Inserategeschäft eingebrochen war, rutschte der ARB in Millionen-Defizite, die von den Mitgliedergemeinden beglichen werden mussten.

Als Rettungsmassnahme beschloss der ARB 2020 eine Exit-Strategie: Das ARB-Management um Geschäftsführer Christof Ramseier kaufte die meisten Unternehmensteile des ARB zu einem symbolischen Preis heraus und führte sie in die neue SR Medien Group über. Diese wurde vom Anzeigerverband damit betraut, den Anzeiger – inklusive Kulturagenda – im Auftragsverhältnis zu produzieren. Seit 2021 entschädigen die 17 Trägergemeinden diesen Auftrag mit einer Defizitdeckungsgarantie von einer Million Franken pro Jahr. 

Mit diesem Handel wird im Moment das bisherige Geschäftsmodell der Kulturagenda weitergeführt. Einerseits hat der Verein, dessen Vorstand ehrenamtlich arbeitet, auf diese Weise wenig zu tun mit dem operativen Geschäft und kann sich darauf verlassen, dass die wöchentliche Kulturagenda an 150’000 Haushalte geliefert wird. Die Veranstalter*innen finanzieren die Kulturagenda mit Beiträgen abhängig von ihrer Grösse. Insgesamt kommen pro Jahr so rund 350’000 Franken zusammen. Zudem steuert die Stadt Bern aus dem Kulturbudget pro Jahr 105’000 Franken bei.

Wer die Defizite zahlt

Grundsätzlich interessant aus der Sicht der Kulturagenda: Für sie fallen keine zusätzlichen Kosten für den Vertrieb an. Und: Gewinne und Verluste fliessen in die allgemeine Rechnung für die Anzeiger-Produktion ein. Gemäss Unterlagen, die der «Hauptstadt» vorliegen, trug die Kulturagenda etwa 2019 mit einem Gewinn von 19’000 Franken zum Ergebnis des Anzeigers bei. Im Corona-Krisenjahr 2020 schrieb die Kulturagenda jedoch einen Verlust von gut 120’000 Franken, der im Rahmen des gesamten Anzeiger-Defizits von 2,3 Millionen Franken von den ARB-Gemeinden ausgeglichen wurde. 

Als grösste Partnerin im ARB kommt die Stadt Bern für die Hälfte der entstehenden Defizite auf. Das bedeutet auch, dass in defizitären Jahren, so wie 2020, aus der Stadtkasse weit mehr als 105’000 Franken an die Kulturagenda fliessen.

Der Relaunch der BKA-Website

«Wir haben bisher eine sehr gute Partnerschaft mit der SR Medien Group», sagt Carmen Inniger, Co-Präsidentin des Vereins Berner Kulturagenda, auf Anfrage. An der BKA-Mitgliederversammlung von vergangener Woche war auch Christof Ramseier anwesend. Der Chef der SR Medien Group präsentierte für die Mitglieder etwas überraschend einen Relaunch des digitalen Auftritts der veralteten BKA-Website. Der Relaunch soll nach den Worten von Inniger bereits auf Anfang 2023 und auf Kosten der SR Medien Group umgesetzt werden.

« Die BKA in der heutigen Form zu erhalten ohne gedruckten Anzeiger wäre sicher eine riesige Herausforderung.»

Christof Ramseier, SR Medien Group

Auf die Frage, ob er an der BKA-Versammlung ein Projekt zur Überarbeitung des Online-Auftritts vorgestellt und ob die SR Medien Group die Kosten für diese Erneuerung übernehmen werde, hält Christof Ramseier gegenüber der «Hauptstadt» schriftlich fest: «Der Veranstaltungskalender wurde bereits in der Vergangenheit durch den Anzeiger Region Bern erstellt. Ein Release ist seit längerem in Diskussion und wird nun umgesetzt. Die Kulturveranstalter, welche im Trägerverein Berner Kulturagenda zusammengeschlossen sind, tragen einen wichtigen und wesentlichen Teil der Kosten für die jährliche Produktion. Dazu hat sich der Anzeiger 2007 ebenfalls verpflichtet und diese Verpflichtung bis heute erfüllt. Es gibt keinen Grund, daran nicht weiter festzuhalten. Dies ist das Grundprinzip einer langjährigen Partnerschaft.»

Die Überarbeitung der Website ist seit langem ein Anliegen des Vereins, bisher war in der Sache aber nicht viel gegangen. So wenig, dass die Stadt an einer Versammlung im März einen eigenen Vorschlag präsentiert hatte und die Website eines Zürcher Anbieters für Bern übernehmen wollte. Dieser Vorschlag scheiterte damals hochkant. 

Zukunft im Print?

Nun soll also gemäss Inniger Anfang 2023 die erneuerte Online-Agenda vorliegen. Daneben baut der Verein BKA weiterhin auf eine Zukunft im Print. «Neben dem Online-Angebot möchten wir vorerst auch den Print erhalten, dabei muss beides Hand in Hand gehen», sagt Carmen Inniger, «in welcher Form und mit welchem Partner das möglich sein wird, evaluieren wir nun.» Zwingend sei die Redaktion, «das zeichnet uns aus und unterscheidet uns von anderen Agenden», sagt Inniger. Vertraglich ist der Verein nur ein halbes Jahr an die SR Medien Group gebunden: Sechs Monate beträgt die Kündigungsfrist. 

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Die BKA soll mindestens vorerst auch weiterhin im Printformat erscheinen. (Bild: Danielle Liniger)

Auf die Frage, ob er eine Möglichkeit sehe, dass die BKA als Printprodukt überleben könnte ohne die Stützung durch den gedruckten Anzeiger Region Bern in irgendeiner Form, schreibt Christof Ramseier: «Mit dem Anzeiger Region Bern gibt es die seit vielen Jahren etablierte Berner Kulturagenda. Diese bereichert den amtlichen und den Inserateteil des Anzeigers Region Bern. Es ist eine gewollte Abhängigkeit, aus der beide einen zentralen Nutzen ziehen. Die BKA in der heutigen Form zu erhalten ohne gedruckten Anzeiger wäre sicher eine riesige Herausforderung.»

«Wir strecken die Fühler nach allen Seiten aus», sagt Christoph Hoigné, Leiter der Cappella, ebenfalls Mitglied der Kommission und schon seit den Anfängen bei der BKA dabei. 

Wer könnte zahlen?

In einem Meinungsbeitrag auf dem Online-Portal Journal B forderte der Publizist Christoph Reichenau kürzlich, dass sich SR Medien Group, die Stadt Bern, der Anzeigerverband Region Bern und sogar der Kanton gemeinsam an einen Tisch setzen müssten, um die Kulturagenda im Printformat in die Ära nach dem gedruckten Anzeiger hinüberzuretten. Es liegt auf der Hand, dass das finanzielle Engagement der Stadt für die Kulturagenda über den heutigen Beitrag aus dem Kulturbudget hinausgehen müsste. Finanzdirektor Michael Aebersold (SP), der angesichts der roten Budgetzahlen damit beschäftigt ist, ein weiteres Sparpaket anzudenken, hält dazu auf Anfrage allerdings fest: «Die Stadt Bern ist bereit, über das Kulturbudget weiterhin an eine von den Kulturveranstalter*innen betriebene Kulturagenda rund 100’000 Franken beizutragen.»  

Mehr scheint seitens der Stadt nicht drinzuliegen. Die entscheidende Frage für die Zukunft der BKA lautet deshalb ungefähr so: Wer ist bereit, das unternehmerische Risiko und die zusätzlichen Kosten zu übernehmen, die entstehen, wenn der Anzeiger als gedrucktes Trägermedium der Kulturagenda und die Gemeinden als finanzielle Rückversicherung wegfallen? Wenn sich nicht rasch neue Finanzquellen erschliessen lassen, dürfte die gedruckte BKA ab 2024 ein vager Traum bleiben. 

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Diskussion

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Christoph Staub
04. Juni 2022 um 19:43

Die Printausgabe der BKA ist ziemlich unbrauchbar, da sie nach Gemeinden geordnet ist. Ein Konzert in Bümpliz erscheint also unter "Bern", eines in Ostermundigen oder Köniz unter der entsprechenden Gemeinde. Wenn ich ein Konzert suche, interessieren mich die aktuellen Gemeindegrenzen aber nicht, es ist ein mühsames Zusammenklauben. Zudem möchte ich allgemein wissen, was läuft und nicht nur das, was die 265 Institutionen anbieten. Eine zentrale, für alle Anbieter offen stehende Online-Datenbank wäre zielführender und wohl günstiger als ein Printprodukt, das erst noch nach dem Bundeskriminalamt benannt ist.

Rolf Helbling
29. Mai 2022 um 20:32

Eine gute App, die einen an Veranstaltungen erinnert usw., wäre zeitgemäss (er). Eventuell sogar günstiger?