Antisemitismus – Stadtrat-Brief #6/2025

Sitzung vom 20. März 2025 – die Themen: Antisemitismus; Workshops in Schulen; Grossküchen; Citysoftnet; Haus der Begegnungen. Mitglied der Woche: Nik Eugster (FDP).

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Einig war man sich im Berner Stadtrat: Antisemitismus ist ein grosses Problem. Auch in Bern. Und er hat zugenommen. Uneinigkeit gab es aber darüber, wie genau dieses Problem angegangen werden sollte. Und ob Antisemitismus als eine Art von Rassismus betrachtet werden kann oder gesondert behandelt werden muss. Darüber diskutierte der Rat am Donnerstagabend über eineinhalb Stunden intensiv und auffallend gesittet – unter Beobachtung von zahlreichen Vertreter*innen der jüdischen Community auf der Zuschauertribüne.

«Antisemitismus wird verwässert, wenn er als Teil von Rassismus begriffen wird», eröffnete Debora Alder-Gasser (EVP) die Debatte. Sie hatte eine interfraktionelle Motion zum Thema miteingereicht. Die Motion fordert drei Dinge: eine Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus an Schulen, einen Antisemitismus-Beauftragten bei der Fachstelle für Rassismus und eine niederschwellige digitale Anlaufstelle für von Antisemitismus Betroffene. Insbesondere der zweite Punkt war umstritten, auch wenn Vertreter*innen von GB bis FDP den Vorstoss eingereicht hatten.

Die SP sprach sich gegen die Schaffung einer spezifischen Stelle für Antisemitismus aus. «Es gibt viele Überschneidungen mit anderen Rassismusformen», sagte Valentina Achermann (SP) in ihrem Fraktionsvotum. Sie wolle damit nichts relativieren, sondern aufzeigen, dass die verschiedenen Diskriminierungsformen zusammengehören. «Das müssen wir aushalten», so Achermann. Ins gleiche Horn stiessen auch die Fraktionen Grünes Bündnis und GFL. Die Bürgerlichen (ohne SVP) unterstützten die Motion mehrheitlich in allen Punkten. 

Da die Motionär*innen beschlossen hatten, über den Vorstoss als Gesamtes abstimmen zu lassen und nicht punktweise, nahm der Rat das Anliegen schliesslich doch mit 66 Ja- zu 4 Nein-Stimmen bei 3 Enthaltungen an. Die Nein-Stimmen kamen aus dem SVP-Lager.

Interessant dabei: In der Budgetdebatte im letzten September hatte eine linke Ratsmehrheit einen Juso-Antrag unterstützt, der Fachstelle für Migrations- und Rassismusfragen zusätzliche 142’000 Franken zuzusprechen. Die Bürgerlichen stimmten dagegen. Dieses Geld solle inbesondere der Bekämpfung von Antisemitismus, Antiziganismus und antimuslimischen Rassismus zugute kommen, der oft auch Menschen betreffe, die keinen Migrationshintergrund hätten.

Zusätzliches Geld für eine Stelle gibt es also schon. Allerdings ist sie nicht auf Antisemitismus begrenzt. «Wir sind froh, haben wir die Mittel, um unsere Arbeit breiter abzustützen», sagte die zuständige Gemeinderätin Ursina Anderegg (GB). Es sei aber «wenig zielführend», wenn es in der Debatte um eine Hierarchisierung der verschiedenen Rassismusformen gehe.

Fazit: Der Stadtrat will Antisemitismus besser bekämpfen. Der Gemeinderat hat die Motion als Richtlinie entgegengenommen. Es liegt in seinem Ermessen, welche konkreten Massnahmen er ergreift. Und da die Fachstelle für Rassismus bereits mehr Geld erhalten hat, ist es wenig wahrscheinlich, dass eine weitere Stelle geschaffen wird.

Nik Eugster, FDP fotografiert am Donnerstag, 13. Februar 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Ratsmitglied der Woche: Nik Eugster

Nik Eugster (47) sitzt seit Anfang 2024 im Stadtrat. Er ist Unternehmer im Bereich Medien, Kommunikation und Innovation. Der leidenschaftliche Läufer und Architekturfan präsidiert seit 2025 die FDP-Fraktion.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Lange konnte ich politische Debatten nur im Privaten führen. Ich war beinahe 20 Jahre bei verschiedenen Lokalradios journalistisch und in leitender Funktion tätig. Da musste ich mich, was meine politische Meinung betrifft, zurückhalten, galt es ja möglichst neutral zu berichten. Als ich mich 2018 selbständig machte, freute ich mich darauf, mich nun endlich auch aktiv politisch beteiligen zu können, zuerst in Parteifunktionen und seit anfangs letztem Jahr auch im Stadtrat. Lokalpolitik interessierte mich als Lokaljournalist sehr, weshalb ich mich nun im Stadtrat genau am richtigen Ort fühle.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Es ist kein Wunder, hat es mich beruflich ins Radio verschlagen. Kommunikation ist mein Ding. Ich äussere mich gerne zu jeglichen Themen und der Inhalt einer Nachricht, Aussage oder Rede ist mir wichtig. Aber genauso wichtig ist es, wie man eine Nachricht, Aussage oder Rede gestaltet, damit das Gegenüber zuhört. Es freut mich jeweils sehr, wenn nach mir in einer Rede auf eine Aussage referenziert wird. Das heisst, man hat mir zugehört, auch wenn man vielleicht nicht derselben Meinung ist. Aber um das geht es ja eigentlich in einer Ratsdebatte. Wäre alles nur fürs Protokoll, wärs echt schade.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Das Verbot für kommerzielle Werbung im Aussenraum war in meiner zweiten Stadtratssitzung traktandiert. Frisch in den Rat nachgerutscht, hatte ich das Thema noch nicht wirklich auf dem Radar und musste einen Schnellstart hinlegen. Ausser einem energischen Votum blieb mir nicht mehr viel übrig. Das ärgerte mich sehr. Würde das heute traktandiert, hätte ich das Thema schon früher auf dem Schirm und könnte noch stärker den Dialog mit den anderen Fraktionen suchen. Aber ich habe zumindest schnell ganz viel gelernt.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Ich sehe mich eher als eine integrative Persönlichkeit und bei meiner politischen Arbeit steht die Sache im Fokus und nicht die Parteipolitik. Es macht mich deshalb stolz, wenn es mir gelingt, parteipolitische Gräben zu überwinden. Und es freut mich, wenn das Gegenüber ebenso keine ideologischen Scheuklappen hat und meine Argumente anhört. Ich habe auch kein Problem damit, gute Ideen anderer Fraktionen zu unterstützen. Und es freut mich auch, wenn ich meine eigene Fraktion für eine gute Sache überzeugen kann.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Mein liebster Stadtteil ist ganz klar Bern-Nord. Ich lebe wahnsinnig gerne hier und finde die Moserstrasse mit den vielen kleinen Geschäften, Kaffees und Restaurants die schönste Strasse Berns. Das Nordquartier gibt dem Kleingewerbe Raum, und dazu müssen wir Sorge halten. Ausserhalb des Zentrums machen diese vielen kleinen Betriebe den Unterschied, dass es eben nicht nur eine «Schlafstadt» ist, sondern ein lebendiges Quartier, das man nie mehr verlassen möchte. So geht es jedenfalls mir.

Und das wurde auch noch diskutiert:

  • Schul-Workshops: Chancenlos waren zwei Vorstösse, die sich für klare Kriterien bei der Vergabe von externen Bildungsaufträgen an Schulen einsetzten. Gefordert wurde etwa, dass keine Relativierung von rassistischer Diskriminierung zugelassen sein solle. Auch wenn nicht namentlich in den Vorstössen genannt, ging es dabei um die umstrittenen Anti-Rassismus-Workshops von Babanews, die nach der Hamas-Attacke auf Israel am 7. Oktober 2023 in Kritik geraten waren. Auch einige Einreichende, so etwa Maurice Lindgren (GLP), distanzierten sich nun von den Vorstössen. Er sagte im Namen seiner Fraktion: «Wir lehnen beide Vorstösse mehrheitlich ab. An Schulen braucht es dafür Sensibilisierung, das ist für uns jetzt schon umgesetzt.» Gemeinderätin Ursina Anderegg dankte für die gute Debatte und betonte: «Antidiskriminierungsarbeit an Schulen liegt in der Kompetenz von Schulen.»   
  • Grossküchen: Normalerweise setzt sich die SP im Stadtrat fast immer durch. Die mit Abstand grösste Partei schafft das mithilfe ihrer linken Bündnispartner. Am Donnerstag aber unterlag sie. Es ging um die Produktion von Mahlzeiten für die städtischen Betreuungseinrichtungen. Ein Vorstoss aus Reihen von SP, GFL und Mitte forderte nur noch drei bis fünf Grossküchen analog zu Biel, wo das schon so gehandhabt wird. Es sei effizienter und man könne besser Einfluss darauf nehmen, was eingekauft werde, sagte Motionär Emanuel Amrein (SP). Furios weibelte Ronja Rennenkampff (JA!) dagegen. «Beim Essen von Kindern zu sparen, wie kommt man auf eine solche Idee?», fragte sie. Das in ein schwächeres Postulat umgewandelte Anliegen wurde schliesslich relativ deutlich abgelehnt mit 40 zu 27 Stimmen. Die Ja-Stimmen kamen aus SP, FDP und Mitte.
  • Haus der Begegnungen: Im zweiten Anlauf hiess der Rat den Prüfungsbericht zu einem Partizipationspostulat gut. Es fordert einen transkulturellen Begegnungsort. Der Vorstoss von 2019 stammt aus den Reihen der Migrant*innen-Sektion der SP. Seither hat sich eine Zusammenarbeit mit dem Verein «Haus der Bewegungen» abgezeichnet, wie aus dem Prüfungsbericht des Gemeinderats hervorgeht. Das Projekt soll im freiwerdenden Kirchgemeindehaus Johannes im Breitenrainquartier umgesetzt werden. Dem Anliegen stimmten alle Parteien ausser der SVP zu. Einen ursprünglichen Prüfungsbericht hat das Parlament letztes Jahr deutlich abgelehnt. Die linke Mehrheit bemängelte, die Bedürfnisse der Migrationsbevölkerung seien nicht aktiv untersucht worden. Als nächstes will der Gemeinderat eine Bedarfsanalyse durchführen und ein Nutzungskonzept erstellen. Der Stadtrat hat dafür bereits letztes Jahr einen Betrag von 25'000 Franken gesprochen. Weil sich der Prozess um das Kirchgemeindehaus Johannes aufgrund einer Beschwerde verzögert, sollen zudem auch weitere Standorte geprüft werden.  
  • Citysoftnet: Zwar wurde der fünfte Nachkredit zu Citysoftnet mit 43 zu 25 Stimmen genehmigt. Doch die Debatte zeigte: der Rückhalt im Parlament für das Fallführungssystem schwindet. Obwohl das Geld schon ausgegeben ist, lehnten die vier Fraktionen GLP/EVP, SVP, FDP und Mitte den Nachkredit für 2024 in der Höhe von rund zwei Millionen Franken ab. Es fehle jegliche Kostentransparenz, kritisierte Janina Aeberhard (GLP). Anders sah es die GB/JA-Fraktion. Es sei wichtig, nun Stabilität zu schaffen, betonte Fraktionssprecherin Seraphine Iseli. Mittlerweile sei Citysoftnet auf Kurs, versicherte Gemeinderätin Ursina Anderegg. Die meisten Einführungsprobleme seien behoben worden. Der Kanton möchte, dass die Stadt Bern Citysoftnet bis Ende 2030 stilllegt und auf das neue kantonale System umsteigt. «Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir zusammen mit dem Kanton eine gute Lösung finden werden, die unserer Investition in Citysoftnet, aber auch dem Bedarf des Kantons an ein einheitliches Fallführungssystem gerecht werden wird», sagte Anderegg.

PS: Es ist ein Novum: In diesem Stadtrat-Brief sind erstmals alle diskutierten Vorlagen zusammengefasst. Das ist möglich, weil die Debatten zu den Traktanden ungewöhnlich lang dauerten. Wobei: Es waren konstruktive und in weiten Teilen faire Voten, was auf eine gute Diskussionskultur in den nächsten vier Jahren hoffen lässt.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Diskussion

Unsere Etikette
Alexander Steiner
22. März 2025 um 16:53

Gute Zusammenfassung der komplexen Debatten. Als Neuleser würde ich mir manchmal mehr Links wünschen, um Bern-spezifische Themen besser zu verstehen.

Zum Beispiel war mir nicht klar, was mit "Citysoftnet" überhaupt gemeint ist. Offenbar wurde das Thema schon mehrfach beleuchtet in der Hauptstadt, aber ich musste selber danach suchen.

Falls jemand dasselbe Problem hat, hier zwei hilfreiche Beiträge:

- September 2023: https://www.hauptstadt.be/a/software-probleme-stadt-bern-citysoftnet

- Juni 2024: https://www.hauptstadt.be/a/wir-haben-die-komplexitaet-unterschaetzt