Autonummern – «Hauptstadt»-Brief #168
Donnerstag, 27. April 2023 - die Themen: Fahrzeugerkennung; Zehendermätteli; bärnTV; Verkehrs-Initative; Sommer-Camp; Demokratiebar.
Der Berner Regierungsrat will künftig an mehreren Stellen im Kanton automatisiert die Kontrollschilder vorbeifahrender Fahrzeuge erfassen und die Daten bei der Fahndung nach Straftäter*innen einsetzen. Eigentlich müsste mich dieser Entscheid nicht kümmern, da ich kaum je mit dem Auto unterwegs bin. Dennoch gibt er mir zu denken, seit ich die Medienmitteilung dazu gelesen habe.
Bei neuen Überwachungsmassnahmen bin ich immer im Zwiespalt: Es ist einerseits sicher richtig, wenn die Polizei die technischen Möglichkeiten auszuschöpfen versucht, um Verbrechen aufzuklären. Andererseits sind flächendeckende Überwachungsmassnahmen auch ein Eingriff in die Privatsphäre der unbescholtenen Bürger*innen, die im Kanton unterwegs sind. Das Bundesgericht hat darum im letzten Herbst die Regelung zur automatisierten Fahrzeugfahndung des Kantons Solothurn aufgehoben und eine Beschränkung auf spezifische Fahndungskategorien sowie Nachbesserungen beim Datenschutz verlangt.
Die Berner Regelung berücksichtige den Bundesgerichtsentscheid, schreibt der Regierungsrat. Konkret sollen die erhobenen Fahrzeugdaten bis zu 30 Tage aufbewahrt und nur für Ermittlungen bei schwerer Kriminalität verwendet werden. Der Abgleich der erhobenen Daten werde auf ausgewählte Fahndungssysteme eingegrenzt und die Standorte der Überwachung würden befristet. Zudem ist eine unabhängige Kontrollinstanz vorgesehen.
Ob die automatisierte Fahndung mit diesen Einschränkungen verhältnismässig ist, finde ich sehr schwierig zu beurteilen. Es gibt wohl kein eindeutiges Richtig und Falsch. Darum ist es wichtig, dass das Kantonsparlament intensiv darüber debattiert. Und falls die Regelung eingeführt wird, sollten Medien und Behörden die Wirksamkeit solcher Überwachungsmassnahmen immer wieder überprüfen und hinterfragen.
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- Zehendermätteli: Die neuen Betreiber*innen des Restaurants Zehendermätteli, die seit zwei Jahren am Werk sind, haben eine Vision: Auf der Engehalbinsel an der Aare bei Bremgarten soll eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft entstehen, mit Landwirtschaft, Gastronomie, Kultur – und sozialen Arbeitsplätze. Meine Kollegin Marina Bolzli hat die Pächter*innen besucht und mit ihnen über essbaren Wald, die Ausgabe von Aktien und den möglichen Ganzjahresbetrieb gesprochen.
- TV-Sender: In den lokalen Medienmarkt kommt Bewegung. Der Verleger des «Bärnerbär» greift mit Basler Hilfe den Platzhirsch «Telebärn» an und bewirbt sich für 2025 um die regionale TV-Konzession. Die IMS Marketing AG in Köniz und die Betreiber*innen des Balser Lokalsenders Telebasel haben dazu ein Joint-Venture gegründet und wollen mit einem Fokus auf regionale Berichterstattung das Bundesamt für Kommunikation von ihrem Konzept überzeugen. Ein Medienexperte räumt dem Projekt gute Chancen ein, wie er meinem Kollegen Nicolai Morawitz erklärt hat.
- Verkehr: Der autobahnkritische Verein Spurwechsel hat gestern Abend an seiner Mitgliederversammlung im Burgfeld einstimmig beschlossen, mit einer städtischen Volksinitiative zu versuchen, die Umgestaltung des Autobahnknotens Wankdorf zu verhindern. Der Umbau der sogenannten Spaghetti-Kreuzung ist ein Projekt des Bundesamts für Strassen (Astra), das der rot-grüne Gemeinderat befürwortet. Pikant: Die offizielle Kosten-Nutzen-Analyse, die von der «Hauptstadt» publik gemacht wurde, zeigt, dass der Umbau des Knotens Mehrverkehr erzeugt. Hier hakt Spurwechsel ein: Die Initiative soll den Gemeinderat zwingen, Autobahnprojekte zu bekämpfen, wenn sie zu Mehrverkehr führen. Nötig für das Zustandekommen der Initiative sind 5000 Unterschriften
- Lehrer*innenmangel: Der Berner Regierungsrat hat wegen des Fachkräftemangels gemeinsam mit den Pädagogischen Hochschulen neue Angebote für Lehrpersonen ohne Diplom geschaffen. In den Sommerferien findet etwa ein zweiwöchiges Camp statt, in dem sich Quereinsteigende mit dem Lehrer*innenberuf vertraut machen können. Mit dieser Massnahme sollen die Unterrichtsqualität erhöht sowie das Kollegium entlastet werden, schreibt die Bildungsdirektion in einer Mitteilung. Langfristig sei es das Ziel, dass diese Personen eine adäquate Ausbildung nachholen.
PS: Die Redaktion der «Hauptstadt» verlässt nächsten Montag mal wieder für eine Woche ihr Büro. Diesmal ziehen wir ins Polit-Forum Käfigturm, in dem derzeit eine Ausstellung zu Medien und Demokratie zu sehen ist. Und weil wir gerne Neues ausprobieren, wollen wir unsere Leser*innen und den Stadtrat näher zusammenbringen. Dazu laden wir am Donnerstag, 11. Mai, um 19 Uhr im Käfigturm zur Demokratie-Bar. Anwesend sind Stadträt*innen aus allen Fraktionen, um mit Hauptstädter*innen über Politik und über Bern zu diskutieren. Kommst du auch? Wir würden uns freuen.