Bernerbär brummt neu bei Nau
Die nächste Fusion auf dem Medienplatz Bern: Das Onlineportal Nau kauft den Berner Gratisanzeiger Bärnerbär – und will ihn weiterhin auch gedruckt herausgeben.
Der Bärnerbär ist eines der zähesten Berner Medienprodukte. Seit 1983 tappt er auf stets dünnem ökonomischem Eis unentwegt durch die Berner Medienlandschaft. Im Laufe der gut vier Jahrzehnte seit seinem Auftauchen hat er sich bei fast jedem Verlagshaus in Bern vorübergehend seine Höhle gegraben.
Jetzt zieht er erneut weiter. Das Online-Newsportal Nau übernimmt per 1. Juni die Aktienmehrheit an der Berner Medienhaus AG, die den Gratisanzeiger seit Anfang 2024 herausgibt. Das teilten die beiden Unternehmen am Montag mit.
Traumpaar
Unterschiedlicher als das schnelle, reichweitenstarke Onlineportal Nau und das behäbige, einmal wöchentlich erscheinende Printprodukt Bärnerbär können zwei Medien fast nicht sein. Und doch findet Yves Kilchenmann, CEO der Nau Medien AG, dass der gemütliche Bär und das quecksilbrige Nau zusammenpassen, als wären sie ein Traumpaar: «Es ist ein Match, wir ergänzen uns optimal», sagt Kilchenmann zur «Hauptstadt». Durch die digitale Zusammenführung von Nau Bern und dem Bärnerbär entstehe im Web «ein hochattraktives und kostenloses Regionalangebot».
Und dann gibt Kilchenmann als Onlinemedien-Unternehmer sogar noch ein Plädoyer für den gedruckten Bärnerbär ab. Die kleine Redaktion des Gratisanzeigers bleibe erhalten und unabhängig. Es tönt, als gäbe es weit und breit weder Medienfinanzierungskrise noch steigende Druckkosten: «Der Print wird gestärkt, weil wir in den Journalismus investieren werden.»
Was das konkret heisst, lässt Kilchenmann allerdings offen. Fest steht jedoch, dass der Deal mit dem Bärnerbär in die Strategie von Nau passt. Yves Kilchenmann und sein publizistischer Leiter, Micha Zbinden, sehen im Lokalen Wachstumspotenzial. Das legten sie dar, als die «Hauptstadt» vor drei Monaten die Nau-Redaktion im Liebefeld für eine Reportage besuchte.
«Im Lokaljournalismus ist ein Vakuum entstanden», sagte Kilchenmann damals. Gerade auch nach der Schliessung der lokalen «Today»-Plattformen des Medienkonzerns CH-Media vom letzten November will Nau.ch in die Bresche springen. Die Übernahme des Bärnerbär kann auch als Zeichen der Entschlossenheit gedeutet werden, mit dem Nau das erklärte Ziel ansteuert: «Wir wollen in der Region Bern im digitalen Bereich die Nummer 1 werden.»
Ein Schnäppchen?
Eine andere Frage ist, woher Nau die finanziellen Mittel hat, um in raschem Tempo Medienmarken zuzukaufen. Vor neun Monaten übernahm Nau das Reiseportal Travelnews, jetzt krallt sich das Onlinemedium den Bärnerbär. Hat Nau Investoren im Rücken, die das rasche Übernahmetempo absichern? CEO Yves Kilchenmann lässt sich nicht in die Karten blicken: «Wir investieren im Rahmen unserer Möglichkeiten jeweils in Produkte, welche sich mit unserem bestehenden Portfolio gut etablieren können», hält er bloss fest.
Und dass es sich beim Bärnerbär, der notorisch ums wirtschaftliche Überleben kämpft, um ein Schnäppchen handelt, will Kilchenmann auch nicht bestätigen: Nau beteilige sich aus strategischen Gründen am Bär, um einen Zugang zu «den Disziplinen Print und Briefkasten-Distribution» zu finden. Aktuell hat der Bär eine Auflage von gut 95’000 Exemplaren.
Über den Verkaufspreis des Bärnerbär haben beide Parteien Stillschweigen vereinbart. Trotzdem liegt die Überlegung nahe, dass die Übernahme von Nau den Bärnerbär vor dem Konkurs gerettet hat.
Lorenz Feller, der aktuelle Geschäftsführer der Berner Medienhaus AG, die den Bärnerbär seit anderthalb Jahren herausgibt, widerspricht energisch: «Nein! Mit einer in der Online-Welt etablierten Partnerin kann der Bärnerbär in die digitale Zukunft geführt werden», sagt er zur «Hauptstadt». Gleichzeitig werde das Print-Produkt weiter gestärkt: «Der Zusammenschluss ist die logische Konsequenz.» Lorenz Feller selber wechselt per 1. Juni ebenfalls zu Nau, er werde dort eine neue Rolle übernehmen, aber weiterhin nah am Produkt Bärnerbär und dessen Weiterentwicklung bleiben.
Der aggressive Bär
Wenn man kurz in die Berner Mediengeschichte zurückblickt, könnte der Bärnerbär bei Nau sogar echte Heimatgefühle entwickeln.
Im April 1983 erschien der Gratisanzeiger erstmals, herausgegeben von der neu gegründeten Berner Bär Verlags AG. Beratend stand dem Gratisanzeiger der grosse Zürcher Ringier-Verlag zur Seite. Der Berner Bär, wie er sich damals noch schrieb, bezog das Kapital «aus Kreisen der Berner Wirtschaft» – etwa den vereinigten Berner Innenstadt-Geschäften. Offiziell wollte der Bär die noch eigenständigen Berner Tageszeitungen Bund und Berner Zeitung «ergänzen».
Was im Klartext hiess: Bund und BZ waren den Initianten des Berner Bär zu links.
Es waren die 80er-Jahre, die Jugend war heftig in Bewegung, Bern hatte gerade die erste Besetzung der Reitschule erlebt. Zudem erbebte der Kanton unter der Finanzaffäre, während der überrissene Spesenbezüge von Regierungsräten aufflogen Die politisch in Bern dominierenden Bürgerlichen fühlten sich nicht mehr ganz so behaglich.
Im Berner Bär etablierte der damalige FDP-Stadtrat Werner C. Hug eine rechtsbürgerliche, wirtschaftsliberale Publizistik. Vor den Regierungsratswahlen 1986 attackierte der Gratisanzeiger etwa die abtrünnige Freisinnige Leni Robert, die für die grün angehauchte Freie Liste kandidierte, frontal. Gewählt wurde Robert trotzdem.
Finanziell bewegte sich der aggressive Berner Bär stets nahe am Abgrund. Ab 1993 setzte der Berner Bär ein für Berner Verhältnisse radikales Boulevard-Konzept um, das der lokalen Wirtschaftselite teilweise zu grell war. Der Unterhaltungselektronik-Unternehmer Klaus Kilchenmann, eine der treibenden Kräfte hinter dem Berner Bär und in dieser Zeit Verwaltungsratspräsident der Berner Bär Verlags AG, hatte ziemlich zu tun, um dem Bären den Rücken zu stärken.
Berner Bärenhöhlen
1996 sagte sich der Berner Bär vom Zürcher Ringier-Verlag los und liess den Gratisanzeiger fortan im Druckzentrum der Berner Zeitung herstellen. 1999 schlüpfte der Bär sogar ganz beim Verlag der Berner Zeitung (heute: Tamedia) unter. Und journalistisch begann die prägende Ära von Chefredaktor Matthias Mast, der mit «Manis Flüstertüte» im Bär ein Gossip-Format erfand, das Bern aufwühlte. Mast arbeitete bis vor kurzem* in Bern bei der Plattform J (vormals Jungfrau-Zeitung) des Brienzer Verlegers Urs Gossweiler.
2017 zog der Berner Bär in seine nächste Höhle. Tamedia verkaufte den Gratisanzeiger dem auf Sportpublikationen spezialisierten Verlag IMS Medien AG in Köniz. IMS wurde einst von SCB-Boss Marc Lüthi mitgegründet und ist bis heute eng mit Eishockey und dem SC Bern verbunden. In der IMS-Höhle wurde aus dem Berner Bär der Bärnerbär – doch zur Ruhe kam er nicht.
Per Anfang 2024 kaufte Lorenz Feller den gut 40-jährigen Bären der IMS ab und richtete ihm in seiner Berner Medienhaus AG eine Höhle ein. Daraus wurde nicht mehr als eine Übergangslösung. Eineinhalb Jahre später bricht der Bär auf zu Nau.
Dort könnte ihm warm ums Herz werden. Vor mehr als 30 Jahren war es Verwaltungsratspräsident Klaus Kilchenmann, der den Berner Bär standhaft gegen Kritik aus den eigenen Reihen verteidigte. Kilchenmann ist vor wenigen Wochen verstorben. Und nun nistet sich der Bärnerbär bei Nau ein, dessen CEO Yves der Enkel von Klaus Kilchenmann ist.
* In der ursprünglichen Version dieses Textes wurde die Tatsache nicht erwähnt, dass Matthias Mast Plattform J per Ende April verlassen hat.