Bunker – Stadtrat-Brief #16
Sitzung vom Donnerstag, 26. Oktober 2023 – die Themen: Unterirdische Asylunterkünfte; Gaskessel & Co; Leichte Sprache; Open Government; Reitschule; Ratsmitglied der Woche: Chandru Somasundaram (SP).
Sind unterirdische Asylunterkünfte wirklich nötig? Warum kann die Containersiedlung im Viererfeld nicht stärker ausgelastet werden? Und was ist mit dem Tiefenauspital, das die Stadt als Asylunterkunft in Aussicht gestellt hat?
Darüber diskutierte am Donnerstag der Stadtrat, auch wenn die Unterbringung von Asylsuchenden Aufgabe des Kantons ist. In einem überparteilichen Postulat forderte die Ratslinke Anstrengungen der Stadt, um unterirdische Asylunterkünfte wie an der Effingerstrasse und in Bern-Brünnen zu verhindern.
«Unmotiviert» zeige sich die Stadtregierung, «halbherzig», «enttäuschend», «inakzeptabel»: Anna Leissing (GB), Tanja Miljanović (GFL) und Barbara Keller (SP) liessen kein gutes Wort an der Antwort des Gemeinderates. Er hatte sich zur Frage, ob das Tiefenauspital ab Januar 2024 als Asylunterkunft bereitstehen wird, gar nicht erst geäussert.
Thomas Glauser von der SVP erzählte, wie er selbst im Militär über 500 Nächte unter der Erde verbracht habe. Im Sommer sei das manchmal noch ganz angenehm gewesen. Man solle nicht dramatisieren.
Gabriela Blatter (GLP) sah hingegen ein strukturelles Problem: «Die Verwaltung gibt sich Mühe, Lösungen zu finden», sagte sie, die selbst in der Bundesverwaltung arbeitet. Deshalb solle man sie nicht zusätzlich belasten. «Unsere Vorstösse landen auf dem gleichen Tisch, bei den gleichen Leuten, die eigentlich Zeit brauchen, um geeignete Unterkünfte zu finden.» Man könne, statt ein Postulat einzureichen, auch einfach die Verwaltung anrufen, um den Stand der Dinge zu erfahren. Das habe sie gemacht, und herausgefunden, dass das Tiefenauspital wahrscheinlich im Sommer 2024 in Betrieb genommen werde.
Sie sprach damit Gemeinderat Michael Aebersold (SP), der Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) an der Sitzung vertrat, offenbar aus dem Herzen: «Löt üs doch la schaffe», sagte er. Die Stadt wolle das Tiefenauspital so schnell wie möglich bereitstellen. Aber dieser Vorstoss könne daran überhaupt nichts beschleunigen.
Die rot-grüne Mehrheit im Stadtrat sah das anders: Sie akzeptierte die Antwort des Gemeinderates nicht und nahm das Postulat an. Der Gemeinderat muss damit die Fragen nach geeigneten Asylunterkünften, die er ohnehin prüft, vertieft prüfen.
Diese Themen waren ebenfalls wichtig:
- Gaskessel & Co: Der Stadtrat genehmigte für die Jahre 2024-2025 Leistungsverträge für drei kulturelle und soziale Institutionen: das Jugendzentrum Gaskessel, das Mütterzentrum Bern West und die Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit (VBG). Die Verträge waren unbestritten. Eine bürgerliche Minderheit kämpfte dagegen, den Betrieben einen rückwirkenden Teuerungsausgleich für die vergangenen zwei Jahre zu bezahlen. Der Vorschlag wurde abgelehnt.
- Leichte Sprache: Der Stadtrat verlangt, dass Abstimmungsbotschaften und die Website der Stadt Bern auch in leichter Sprache veröffentlicht werden. Er nahm zwei Motionen der AL an. Der Gemeinderat unterstützte die Anliegen: Er sei ein «absoluter Fan» von leichter Sprache, sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL). Er wollte die Motionen jedoch als Prüfungsaufträge entgegennehmen, weil sie «zu apodiktisch formuliert» seien. Der Auftrag, die ganze Website in leichte Sprache zu übersetzen, beinhalte zum Beispiel auch die Rechtssammlung. Das sei übertrieben. Der Rat ging aber aufs Ganze und überwies die Richtlinienmotionen.
- Open Government: Darüber waren sich alle einig: Die Stadt Bern soll «Open Government Data» vorantreiben. Sie soll zum Beispiel alle in Auftrag gegebenen Gutachten, Analysen und Studien veröffentlichen, auch Gemeinderatsbeschlüsse und Stadtratsunterlagen. Der Rat nahm das 2019 eingereichte Anliegen als Richtlinienmotion an. Bestritten waren nur Detailfragen. So fand etwa die FDP/JF-Fraktion, es sei ganz sicher nicht Aufgabe der Stadt, «Hackathons» oder «Hackdays» zu veranstalten, wie in der Motion der Fraktionen AL/GaP/PdA und GFL/EVP verlangt wird.
- Reitschule: Zum Schluss der Sitzung befeuerte das beliebteste Berner Reizthema den Stadtrat. Gleich fünf Vorstösse zur Reitschule wurden debattiert – zusammen, wie es SP/JUSO zu Beginn der Sitzung verlangt hatten. Alle Vorstösse sind zwischen drei und sechs Jahre alt, vier kommen von der SVP, einer von der FDP. Es geht um Handelsregistereinträge und Mehrwertsteuerpflicht der Reitschulbetriebe, Polizeikontrollen, den internen Sicherheitsdienst, eine «zeitgemässe Organisationsform» für die Reitschule und schliesslich: deren Schliessung. Obwohl sich Alexander Feuz (SVP) in seinem Vortrag betont kurz hielt, reichte die Zeit nicht mehr für die Abstimmung. Die Sitzung endete mit dem Votum von David Böhner (AL), seines Zeichens Mitarbeiter in der Reitschule-Druckerei, der der SVP Nachhilfeunterricht anbot. Und abschliessend Werbung machte für das Reitschulfest von diesem Wochenende.
Ratsmitglied der Woche: Chandru Somasundaram
Chandru Somasundaram, 31 Jahre alt, sitzt seit Oktober 2022 für die SP im Stadtrat. Der Historiker arbeitet als Geschäftsführer beim WWF Bern.
Warum sind Sie im Stadtrat?
In der Stadt Bern leben viele eingebürgerte Schweizer*innen oder Menschen ohne roten Pass. Im Stadtrat und allgemein in der institutionellen Politik sind diese Menschen untervertreten, obwohl diese Communities mit ihren Vereinen und ihrer Arbeit zu einer sozialen und wohlhabenden Stadt beitragen. Ihre Anliegen, wie günstiger Wohnraum oder ein starker Service Public, bringe ich in den Stadtrat ein.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Neben dem Migrationsthema liegt mir ein konsequenter und in erster Linie sozialer Klimaschutz am Herzen. Als Geschäftsführer des WWF Bern bin ich tagtäglich mit den Folgen der Klimakrise konfrontiert. Ich sehe aber auch, dass die Förderung der Biodiversität ein günstiges und effizientes Mittel ist, um die Stadt klimaresistenter zu machen. Ich werde innerhalb und ausserhalb der SP nicht müde, die Bedeutung einer intakten Natur zu betonen und politisch einzufordern.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Da ich noch nicht lange Ratsmitglied bin, kann ich noch keinen Misserfolg nennen. Doch Misserfolge gehören zum politischen Geschäft dazu. Nur wer wagt und mal scheitert, hat auch Erfolge zu feiern.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Für Stolz ist es noch zu früh. Ich habe mich aber gut im Rat und in der Finanzkommission eingearbeitet, ich bin überparteilich vernetzt und habe mit weiteren Kolleg*innen einen Vorstoss zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Zugangs für Migrant*innen zum städtischen Angebot für Berufseinsteiger*innen eingereicht.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Ganz klar der Stadtteil VI mit meiner Heimat Bümpliz. Hier habe ich eine schöne Kindheit und Jugend erfahren und erlebte hautnah mit, wie sich der Stadtteil während RGM positiv weiterentwickelt hat. Das Zusammenleben verschiedener Communities, das starke Vereinsleben und die Nähe zum Land und zu den Wäldern stehen in Berns Westen für sich.
PS: Der Stadtrat wollte nicht über die versenkte Fusion mit Ostermundigen reden. Er lehnte einen Antrag von Mitte-Rechts ab. Bern habe ein Imageproblem, hiess es darin. Die linke Mehrheit sei nicht mehr fähig, andersdenkende Menschen von einer Idee zu überzeugen. Die Mehrheit sah keinen Diskussionsbedarf.