Ein Hoch auf den Coiffeur – Hauptstadt-Brief #104

Dienstag, 29. November – Die Themen: SP-Bundesratskandidatur, Budget-Abstimmungen, SVP-Stadt, unbekanntes Gümligen, Wintersessionen, Zibelemärit, Autobahn-Talk.

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(Bild: Marc Brunner, Buro Destruct)

Ich sass beim Coiffeur meines Vertrauens. Ich freute mich nicht nur auf eine neue Frisur, sondern auch auf neue Einsichten.

Der Coiffeur ist ja so etwas wie die letzte Bastion des analogen Austauschs. Seine Arbeit kann nicht digitalisiert werden – und hier kann man sich auch nicht hinter dem Handy verstecken. Schliesslich sind die Hände gut versorgt unter dem Schutzmantel. Es gilt deshalb das gesprochene Wort, während man sich durch den Spiegel tief in die Augen schaut.

Ich habe hier erfahren, warum es nach dem ersten Pandemiejahr schwierig war, Grippe-Impfstoffe zu entwickeln. Ich habe viel über Freud und Leid von Gastfamilien für ukrainische Geflüchtete gehört. Und diesen Samstag habe ich schon Stunden vor der offiziellen Nomination für den frei werdenden SP-Bundesratssitz gewusst, warum die Bernerin Evi Allemann nicht auf das Ticket kommen würde. Genau so ist es eingetroffen.

Die Anekdote des Tages war aber folgende: Vor wenigen Wochen sei eine Frau aufgetaucht, die sich notfallmässig die Haare waschen lassen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war nur eine Lernende frei. Sie habe der Frau die Haare gewaschen und sie zu föhnen begonnen, wobei offensichtlich gewesen sei, dass die Frau immer nervöser wurde. Schliesslich sei eine zweite Frau mit einer grossen PKZ-Tasche voller Kleider erschienen. Als nächstes musste mein Coiffeur eine Schere auftreiben, um die Preisetiketten abzuschneiden. Die Frau habe sich geschminkt, umgezogen und ein grosszügiges Trinkgeld hinterlassen.

Abends im Tram sah mein Coiffeur in den Nachrichten die Frau wieder. Es war Elisabeth Baume-Schneider, die grosse Unbekannte, die an jenem Tag an einer Medienkonferenz ihre Kandidatur bekannt gab. Die Jurassierin Baume-Schneider steht jetzt zusammen mit Eva Herzog aus Basel auf dem offiziellen Ticket der SP für die Bundesrats-Ersatzwahl am 7. Dezember.

Als ich hinausging, dachte ich, ja, Coiffeusen und Coiffeure leisten einen Knochenjob. Und irgendwie sind sie auch näher am Leben.

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(Bild: Stephen Nthusi)

Und das möchte ich dir heute mit in den Tag geben:

  • Budget-Debatten: Das Stadtberner Budget ist nach heftigem Abstimmungskampf unter Dach und Fach. 56 Prozent der Abstimmenden sagten schliesslich Ja zum Budget, das ein Defizit von 35 Millionen Franken veranschlagt hat. Ist das nun eine klare Annahme oder ein Warnzettel? Darüber sinniert mein Kollege Jürg Steiner in seiner Kurzanalyse. Fest steht: Würde eine Steuererhöhung anstehen, wie sie bei der aktuellen Defizitentwicklung in künftigen Jahren möglich scheint, sähe das Resultat vermutlich anders aus. Bestes Anschauungsbeispiel ist Biel, wo die Stimmberechtigten am Sonntag zwei Abstimmungsvarianten mit einer höheren Steueranlage wuchtig mit je rund 69 Prozent Nein-Stimmen verwarfen. Damit steht die Stadt ohne gültiges Budget fürs kommende Jahr da und kann vorerst nur noch die allernötigsten Ausgaben tätigen.
  • SVP-Stadt: Manchmal lohnt sich ein Blick etwas weiter weg. Am Sonntag fanden in Thun Wahlen statt. Und die SVP erlangte im Gemeinderat drei der fünf Sitze, sie wird also in der kommenden Legislatur eine absolute Mehrheit in der Stadtregierung haben – auch wenn sie knapp 30 Prozent Wähler*innenanteil aufweist. Das Kunststück gelang ihr, weil ihre beiden Kandidat*innen die frei werdenden Sitze von SP und Mitte erobert haben. Damit ist auch die seit einem Jahr herrschende rot-grüne Mehrheit in der Stadtregierung Geschichte. Dass eine SVP-Mehrheit eine Stadt regiert, ist schweizweit ziemlich einzigartig. Im Thuner Parlament hingegen sind die Mehrheiten weniger klar, dort besetzen die SVP 9 von 40 Sitzen, die Grünen 8 und die SP 7, wie die Nachrichtenagentur sda berichtet.
  • Safari in Gümligen: Die «Hauptstadt» war eine Woche in Muri-Gümligen zu Gast. Doch während die Villen von Muri weitherum bekannt sind, weiss man von Gümligen gemeinhin weniger. Was ist dort überhaupt los? Mein Kollege Jürg Steiner ist mit dem unkonventionellen SP-Co-Präsidenten Angelo Zaccaria – einem waschechten Gümliger – auf Velo-Safari im anderen Teil des Steuerparadieses gegangen. Und traf bei strömendem Regen auf für immer geschlossene Läden und untypisch anmutende Hochhäuser.
  • Wintersession: Gestern hat die Wintersession sowohl im Grossen Rat wie auch in den Nationalen Räten begonnen. Im Nationalrat wurde der Thuner EVP-Mann Marc Jost neu vereidigt. Im Grossen Rat wurde eine Änderung der Kantonsverfassung in zweiter Lesung verabschiedet, wie die sda berichtet. Die Schuldenbremse in der Investitionsrechnung soll gelockert werden, damit die hohen Investitionen, die der Kanton Bern in den kommenden Jahren tätigen will, finanziert werden können, auch wenn die Rechnung ein Defizit aufweist. Dazu gehören beispielsweise die Campusse der Berner Fachhochschulen in Biel und Bern. Weil es eine Verfassungsänderung ist, hat das Berner Stimmvolk das letzte Wort an der Urne.
  • Zibelemärit: Warst du auch? Falls du jetzt noch am Konfetti staubsaugen bist, musst du gar nichts sagen. Gestern fand erstmals seit drei Jahren wieder der Zibelemärit mit allem – Konfetti und Glühwein und natürlich Zwiebeln – statt. Zehntausende Besucher*innen waren es laut Behörden. 30 Tonnen Zwiebeln wurden an 111 Ständen verkauft. Den Bäredräck Preis gewann dieses Jahr die Rapperin und Beatboxerin Steff la Cheffe. Mit dem Preis ehrt der Bärentrust Personen, welche im kulturellen und gesellschaftlichen Leben Berns Aussergewöhnliches leisteten. Nichts Aussergewöhnliches musste jedoch die Polizei leisten, der Zibelemärit sei ruhig verlaufen, meldet sie.

PS. Der geplante Ausbau der Autobahn A1 beim Grauholz erregt die Gemüter. Braucht es wirklich 8 Spuren? Und warum sind Kanton und Bund dafür, Gemeinden und Verbände aber dagegen? Darum geht es im dritten «Hauptsachen»-Talk. Diesen Donnerstag, 19.30 Uhr, in der Aula des Progr. Kommst du auch?

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Diskussion

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Sandra Widmer
29. November 2022 um 13:21

Leider liest sich auch dieser Beitrag eher wie ein Schüleraufsatz und lässt mich etwas ratlos zurück. Ist das wirklich Zukunfts-Journalismus ? Ich bin enttäuscht.