Flut – «Hauptstadt»-Brief #46
Samstag, 25. Juni – die Themen: Regen, Züglete, Bremgarten, Migration, Leichtathletik, LGBTI, Lukas Hupfer und Harry Potter.
Diese Woche sind Wassermassen vom Himmel gefallen, die in Kombination mit dem Wind den Regenschirm seiner Kernfunktion beraubt und die Eigenschaft der Berner Lauben als Trockenheitsgarantinnen in Frage gestellt haben. Der Starkregen hatte die Hitzewelle weggespült. Willkommen in der Klimakrise.
Dass Starkregen wegen des menschengemachten Klimawandels häufiger auftreten und intensiver ausfallen, ist erwiesen. Und zubetonierte Flächen, wie sie in Städten häufig vorkommen, begünstigen die Entstehung von Überschwemmungen – das Wasser kann nicht in den Boden versickern.
Auf diese Gefahr will ein neues Kunstprojekt in Bern aufmerksam machen: Zwei zerquetschte Autos lagen in den letzten Wochen neben dem Meret-Oppenheim-Brunnen beim Waisenhausplatz. Die Botschaft: Nicht nur aus Kollisionen können Unfälle resultieren, auch Überschwemmungen sind eine Gefahr für den Strassenverkehr.
Hinter der Aktion steckt das Projekt «motile» vom Geographischen Institut der Universität Bern. Mit den Mitteln der Kunst sollen die abstrakten klimawissenschaftlichen Erkenntnisse der Bevölkerung nähergebracht werden. Die Autos hätten noch an weiteren hochwassergefährdeten Plätzen in der Stadt Bern ausgestellt werden sollen; wegen Vandalismus wurden sie aber zurück zum Recyclinghof Thörishaus gebracht.
Immerhin der zweite Teil von «Flooded Cars» bleibt bestehen: Während drei Monaten stehen an mehreren Orten in der Stadt ausgediente Autos, die langsam vom Grünzeug überwuchert werden, das in ihnen angepflanzt ist. Die Pflanzen steigern die Biodiversität und ihre Erde nimmt das Regenwasser auf.
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- Züglete: Wer im Kanton Bern umzieht, muss sich heute innert zwei Wochen in der alten Gemeinde ab- und in der neuen anmelden. Und zwar persönlich. Bald aber soll es möglich sein, die An- und Abmeldung online zu erledigen. Nach einem geglückten Pilotprojekt in 62 Gemeinden hat die Kantonsregierung ein entsprechendes Gesetz bis zum 30. September in die Vernehmlassung geschickt. Wer lieber persönlich bei der Gemeinde vorspricht, wird das trotz dem neuen digitalen Angebot weiterhin tun können.
- Bremgarten: «Wir stellen fest, dass der Verkehr in Bremgarten zunimmt, aber gleichzeitig immer mehr Menschen finden, dass das ihre Lebensqualität beeinträchtigt», sagt Andreas Schwab. Dieser Feststellung liess der Gemeindepräsident von Bremgarten Taten folgen und ein Konzept zur Verkehrsberuhigung erarbeiten: Höchstgeschwindigkeit soll nicht mehr Tempo 50 sein, sondern Tempo 40. Geplant sind zudem zusätzliche Tempo-30-Abschnitte sowie drei neue Begegnungszonen mit Tempo 20. Im Dezember wird die Gemeindeversammlung entscheiden, ob sie das will.
- Migration: Gestern Nachmittag wurde der Betrieb im Rückkehrzentrum Enggistein den Medien präsentiert, es war der erste öffentliche Anlass nach der Eröffnung im Januar 2022. Heute findet ein Tag der offenen Tür für die Bevölkerung statt. In einem alten Gutshof ausserhalb von Worb sind Familien und Frauen mit negativem Asylentscheid untergebracht. Sie sind rechtlich zur Ausreise aus der Schweiz verpflichtet und erhalten lediglich Nothilfe. Enggistein ist das erste Rückkehrzentrum in der Schweiz, das ausschliesslich Familien und alleinstehende Frauen beherbergt. Zurzeit leben 28 Personen im Zentrum, darunter elf Kinder. Diese besuchen die öffentliche Schule in Worb. Den Betrieb führt die ORS Service AG im Auftrag des Kantons Bern. Ausserdem wurde gestern bekannt gegeben, dass Mitte Juli ein weiteres Rückkehrzentrum für französischsprachige Frauen und Familien in Bellelay eröffnet wird.
- Leichtathletik: Mujinga Kambundji hat gestern Abend einen Schweizer Rekord über 100 Meter aufgestellt. An den Schweizer Meisterschaften im Zürcher Letzigrund lief sie die Strecke in 10,89 Sekunden – einen Hundertstel schneller als die bisherige Rekordhalterin und so schnell wie noch keine Frau in Europa in dieser Saison. Mit diesem Lauf holte Kambundji zugleich ihren zwölften Titel als Schweizermeisterin über die 100 Meter.
- LGBTIQ: Kürzlich hat die Stadt Bern als Arbeitgeberin das «Swiss LGBTI-Label» erhalten. «Die Stadt soll als Arbeitgeberin ein Umfeld für queere Menschen schaffen, in dem sich diese willkommen fühlen», äusserte sich Stadtpräsident Alec von Graffenried in der «Hauptstadt» dazu. Nun zieht der Stadtrat mit: Am Donnerstag hat er eine Motion überwiesen, die fordert, dass die Stadt jedes Jahr am 17. Mai – dem Tag gegen Homo- und Transphobie – 50 Regenbogen- und 50 Transgender-Flaggen hissen soll. Weiter verlangt das Parlament, dass auf allen städtischen Formularen eine dritte, geschlechtsneutrale Option geschaffen wird. Wo das Geschlecht keine Rolle spiele, solle man es einfach nicht erfassen. Der Gemeinderat zeigte sich auch für dieses Anliegen offen. Man werde sehen, was sich machen lasse.
PS: Der 1. September und mit ihm der Schuljahresbeginn in Hogwarts liegt noch in weiter Ferne, doch bereits morgen Sonntag dürften Fans von Harry Potter was zu feiern haben: An diesem Tag vor 25 Jahren, am 26. Juni 1997, ist der erste der sieben Bände auf Englisch erschienen. Radio SRF hat der Buchreihe, die in über 80 Sprachen übersetzt worden ist, zum Jubiläum eine ganze Sendung gewidmet.
Berner Kopf der Woche: Lukas Hupfer
Für Besucher*innen ist das Polit-Forum im Käfigturm aktuell geschlossen. Ein Lift wird gerade eingebaut, so haben mehr als 20 Jahre nach der Gründung endlich auch Menschen mit Gehbeeinträchtigungen Zugang zum Ort der Demokratiebildung. Während des Umbaus war das Polit-Forum zu Gast im Kornhausforum; im Juni lädt es mit einem «Rollenden Tisch» Menschen in Berner und Bieler Quartieren zum Austausch über ein friedliches Zusammenleben ein.
In diesen hyperlokalen Kurs fällt die Verkündung des neuen Geschäftsführers des Polit-Forums, der Weltpolitik geradezu atmet: Lukas Hupfer, 36-jährig, bisheriger Leiter des aussenpolitischen Think Tanks «Foraus». Vorher arbeitete er für das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten mit Fokus auf den Nahen Osten und Nordafrika und war eine Zeit lang als Menschenrechtsbeobachter in Hebron im Westjordanland tätig. Studiert hat er Geschichte und Politikwissenschaften in Bern und Paris.
Lukas Hupfer ist ein Kontrast zu seinem Vorgänger Thomas Göttin, der als ehemaliger Stadtratspräsident und Co-Präsident der Stadtberner SP in der Lokalpolitik verwurzelt ist.
Hupfer wird seine Stelle am 1. Oktober antreten. Als «offenes und innovatives Demokratiehaus» will er das Polit-Forum schweizweit etablieren, äussert er sich in der Medienmitteilung. Neben dem schnittigen Denkfabrik-Duktus dürfte Hupfer aber auch bodenständigeres Vokabular geläufig sein: Als Jugendlicher leitete er eine Pfadigruppe in Wohlen (AG) und überquerte mit zwei Kanti-Kollegen auf einer dreitägigen Schneeschuhtour den Gotthard.