«Auch Giele laufen im Lia-Wälti-Shirt herum»
Die EM 2025 wird einen Boom im Berner Frauenfussball auslösen. Es sei jetzt wichtig, die Vereine darauf vorzubereiten, sagte Franziska Schild vom Fussball-Regionalverband am Hauptsachen-Talk.
1970 betrat das Schweizer Frauennationalteam erstmals ein Fussballfeld, in den bekannten roten Dresses mit dem Schweizer Kreuz. Dieses Emblem wurde den damaligen Nationalspielerinnen zusammen mit dem Leibchen nach Hause geschickt, mit der Aufforderung, das Nationalshirt selber fertigzustellen. «Schliesslich», so die Haltung des Fussballverbandes, «können die Frauen ja nähen.»
Auch Franziska Schild, heute Leiterin Fussballentwicklung beim Fussballverband Bern/Jura, musste am Mittwochabend auf dem Podium im Progr lachen, als Moderatorin und «Hauptstadt»-Journalistin Jana Schmid diese Episode erzählte. Ganz unbekannt kam es ihr nicht vor. Schild selber spielte kurz vor der Jahrtausendwende im Nationalteam, und auch das fühlt sich im Vergleich zu heute wie in grauer Vorzeit an.
Sie habe damals drei Mal die Woche trainiert, erzählte Schild, Nationalspielerinnen wurde empfohlen, eine vierte Einheit bei den Jungs anzuhängen. Der Ausrüster stellte jeder Frau des Nationalteams pro Jahr ein paar Fussballschuhe zur Verfügung.
Per Anfang 2025 wechselt Franziska Schild zu den Young Boys. Sie wird dort Gesamtverantwortliche für die Frauenteams und damit zuständig für die jungen Nationalspielerinnen Naomi Luyet und Iman Beney, die bei YB spielen. Den wesentlichsten Unterschied zu früheren Generationen von Fussballerinnen ortet Franziska Schild jedoch nicht im materiellen, sondern im gesellschaftlichen Bereich. «Die jungen Fussballerinnen von heute haben erfolgreiche Frauen als Vorbilder», sagt Schild. Nati-Kapitänin Lia Wälti zum Beispiel, Profi bei Arsenal in London und Botschafterin für die EM-Host-City Bern, sei eine Figur, an der sich junge Fussballerinnen orientieren. «Es gibt heute sogar Giele, die im Lia-Wälti-Shirt herumlaufen», so Schild.
45’000 Spielerinnen sind aktuell in der Schweiz lizenziert, 20’000 seien allein in den letzten fünf Jahren dazugekommen, sagte Aline Trede, Nationalrätin der Grünen und Mitglied im Zentralvorstand des schweizerischen Fussballverbands (SFV). Im Juni 2024 wurden Trede und die Waadtländer Staatsrätin Christelle Luisier als erste Frauen ins Machtzentrum des Schweizer Fussballs gewählt. «Ich glaube, ich nerve dort schon ein bisschen», hielt Trede selbstironisch fest.
Der Fussballverband sei historisch gewachsen und gleichzeitig einer der reichsten Sportverbände des Landes. Das Hauptproblem bestehe darin, dass die entscheidenden Gremien «extrem männerdominiert sind» und oft festgefahren im Denken seien. Das betreffe nicht nur den Gender-Aspekt im engeren Sinn, sondern auch Fragen der Nachhaltigkeit. Trede blickt im Fussball-Ambiente schon dann in erschreckt aufgerissene Augen, wenn sie in Frage stellt, ob Reisen an Auswärtsspiele im grenznahen Ausland wirklich im Flugzeug absolviert werden müssen.
Nachhaltigkeit ist für Hannah Sutter ein Schlüsselbegriff. Sutter ist Co-Gesamtprojektleiterin der Fussball-EM der Frauen in Bern, und sie verfolgt unter dem Stichwort Legacy (Vermächtnis) «ehrgeizige Ziele», wie sie selber sagt. Vier intensive Wochen lang stehe der Frauenfussball im Sommer 25 im Fokus – zu Gunsten der Sichtbarkeit des Frauenfussballs, aber auch der Nachhaltigkeit im weiteren Sinn: «Die Modis, die Fussball spielen, sollen langfristig davon profitieren können», hält sie fest. Zum Beispiel von erneuerter Infrastruktur. So wird etwa im Neufeldstadion für die EM ein neuer Rasen verlegt, der danach explizit auch fussballspielenden Frauen zur Verfügung stehen soll.
«Das Problem ist ja nicht, dass es zu wenig Frauen hat, die gerne Fussball spielen», ergänzt Franziska Schild. Im Gegenteil. Man rechnet damit, dass die Zahl lizenzierter Fussballerinnen in Kürze auf 80’000 ansteigt. Das sei auch eine Herausforderung. Denn «wir müssen dafür sorgen», findet Schild, «dass die Vereine wirklich parat sind, wenn die Frauen kommen.» Einerseits, indem Vereine mit Frauenabteilungen in praktischen Angelegenheiten beraten werden.
Vielerorts, so Schild, könne die Knappheit an Rasenplätzen mit ausgeklügelteren Belegungsplänen zumindest teilweise entschärft werden. Besonders wichtig sei es aber, die Zahl von Trainerinnen, Schiedsrichterinnen und Funktionärinnen zu erhöhen – damit die Fussballerinnen nicht mehr das oft vernachlässigte Anhängsel der Vereins seien, sondern das Bewusstsein verankert werde, dass die Frauenabteilung ein gleichberechtigter Teil der Vereine sei.
Langfristig stellt sich noch eine ganze andere Frage: Führt der Boom des Frauenfussballs dazu, dass dieser in die Flugbahn des Männerfussballs abhebt – mit astronomischen Salären, verhätschelten Stars, dubiosen Transferdeals? Der europäische Fussballverband Uefa wolle bis 2030 eine Milliarde Franken in den Frauenfussball stecken, sagt Hannah Sutter: «Man hat gemerkt, man kann das kommerzialisieren.» Aline Trede erachtet die Entwicklungen im Männerfussball nicht mehr als gesund. «Nicht erstrebenswert» sei das für die Frauen.
Auch Franziska Schild findet: «Der Frauenfussball muss sich gar nicht mit dem grossen Bruder Männerfussball vergleichen.» Sondern seinen eigenen Entwicklungsweg gehen. Wie könnte der aussehen? Für die ehemalige Nationalspielerin wäre es erstrebenswert, dass man «in der Schweiz in fünf, sechs Jahren als Profifussballspielerin leben kann. Aber ohne Millionen zu verdienen». Laut Hannah Sutter haben in den Schweizer Topvereinen zurzeit höchstens ausländische Spielerinnen einen Profistatus, von dem sie knapp leben können. Die Schweizerinnen arbeiten in der Regel nebenbei oder machen eine Ausbildung.
Sutter wünscht sich für die EM, die sie mitorganisiert, «volle Stadien, ein Schweizer Team, das gut spielt. Und vor allem: Dass wir über den Fussball neue, inspirierende Vorbilder am Werk sehen.»