Frühe Meilensteine, bleibende Hürden

Die Universität Bern widmet Anna Tumarkin, ihrer ersten Professorin, eine Ausstellung. Historikerin Carmen Scheide erklärt, wie sich die Position von Frauen an der Uni entwickelt hat.

Carmen Scheide vor der Ausstellung 150 Jahre Anna Tumarkin fotografiert am Dienstag, 18. Februar 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Historikerin Carmen Scheide hat sich mit den Anfängen des Frauenstudiums in Bern beschäftigt. (Bild: Simon Boschi)

Mitte Februar feierte die Universität Bern den 150. Geburtstag der Philosophin Anna Tumarkin. Sie wurde 1909 ausserordentliche Professorin an der Universität Bern – als erste Frau nicht nur in Bern, sondern in ganz Europa. Tumarkin lehrte während 91 Semestern – also 45 Jahren – und spezialisierte sich auf dem Gebiet der Ästhetik.

Nun hat die Universität Bern zu ihren Ehren eine Dauerausstellung unweit der Grossen Schanze eröffnet. Die Ausstellung besteht aus Infotafeln mit Text, Grafiken und Bildern. Sie sind bis auf Weiteres entlang des Tumarkinwegs angebracht.

Anna Tumarkin kam mit 17 Jahren aus Osteuropa nach Bern. Als Studentin und später Professorin nahm sie erfolgreich eine Pionierrolle für Frauen in der Wissenschaft ein und kämpfte für das Frauenstimmrecht. Dabei sei sie unbeirrt ihren Weg gegangen, beschreibt ihre Biografin Franziska Rogger. Die Ausstellung schliesst mit einer tragischen Geschichte. Ihre jüdische Familie wurde im Holocaust umgebracht, Anna Tumarkin war die einzige Überlebende.

Die Ausstellung beleuchtet auch die Anfänge des Frauenstudiums in Bern. Diese Geschichte der Frauen an der Universität Bern lässt sich in verschiedene Phasen einteilen. 

Die Anfänge

Nach der Gründung der Universität Bern 1834 wurden während 40 Jahren nur männliche Studierende zugelassen. 1874 änderte die Uni ihr Reglement und öffnete die akademische Ausbildung auch für weibliche Studierende. «Damit war Bern eine sehr moderne, liberale und weltoffene Universität», sagt Carmen Scheide. Sie ist Dozentin für osteuropäische Geschichte und hat zusammen mit Julia Richers, ebenfalls Historikerin an der Universität Bern, und ihren Studierenden die Ausstellung erstellt. 

Die Schweizer Universitäten nahmen in dieser Hinsicht generell eine Vorreiterrolle ein. Hier konnten Frauen schon früh studieren. Die ersten Studentinnen kamen indes nicht aus der Schweiz.

Ausstellung 150 Jahre Anna Tumarkin fotografiert am Dienstag, 18. Februar 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Anna Tumarkin kam 1892 nach Bern und starb 1951 in Gümligen. (Bild: Simon Boschi)

Die Spuren dieser Pionierinnen führen vielmehr nach Osteuropa, ins frühere russische Zarenreich. So auch bei Anna Tumarkin, die 1875 im heutigen Belarus geboren wurde. Vor Beginn des Ersten Weltkriegs stellten die Studentinnen aus Osteuropa die Mehrheit der weiblichen Studierenden, zeitweise betrug ihr Anteil 90 Prozent. Warum kamen sie in die Schweiz? Einerseits, weil nur an wenigen Universitäten ausserhalb der Schweiz Frauen zugelassen waren. Aber auch Entwicklungen im Zarenreich spielten eine Rolle. Mädchen genossen dort zwar bereits früher Zugang zu gymnasialer Bildung und konnten teilweise sehr früh Universitäts-Vorlesungen besuchen. Diese Möglichkeit wurde jedoch nach der Ermordung von Zar Alexander II Anfang der 1880er-Jahre wieder eingeschränkt, wodurch die wissbegierigen Frauen unter anderem in Bern Zuflucht suchten.

Hier wurden sie aber trotz der institutionellen Offenheit nicht nur mit Wohlwollen aufgenommen. «In unserer Ausstellung wollen wir aufzeigen, dass es Widerstände, Widrigkeiten und in der lokalen Bevölkerung Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und auch Spott gab», sagt Camen Scheide. Sie ergänzt: «Und natürlich gab es Vorbehalte, dass Frauen plötzlich an der Universität waren.»

Diese Vorstellungen zu Geschlechterrollen seien tief in der Gesellschaft verankert gewesen. Auch die Tatsache, dass Schweizerinnen oft nicht über die notwendige Schulbildung verfügten, der ihnen den Zugang zur Hochschule gegeben hätte, erkläre die tiefe Quote an Studentinnen aus der Schweiz. «Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg, da kamen dann deutlich mehr Schweizerinnen an die Hochschulen», sagt Carmen Scheide.

Gesamtgesellschaftliche Relevanz

Mit steigender Anzahl an weiblichen Studierenden hätten sie sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch zunehmend untereinander vernetzt. Sie standen für gemeinsame Interessen im universitären Kontext ein, engagierten sich aber auch für gesamtgesellschaftliche Anliegen. «Einige dieser Frauen wurden mobilisiert und politisiert, wie Anna Tumarkin auch», sagt Carmen Scheide. So hat Anna Tumarkin sich nach dem Ersten Weltkrieg für die SAFFA (Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit) engagiert und sich auch für das Frauenstimmrecht eingesetzt.

Bis dieses eingeführt wurde, dauerte es jedoch bis ins Jahr 1971, als die bis dahin männlichen Stimmberechtigten sowohl national wie auch im Kanton Bern für das Frauenstimmrecht votierten. Ebenfalls dauerte es an der Universität nach den frühen Erfolgen bis ins Jahr 1964, als mit Irene Blumenstein-Steiner die erste ordentliche Professorin an der Universität Bern ernannt wurde (Anna Tumarkin war ausserordentliche Professorin gewesen). Und ein weiterer Meilenstein folgte erst im vergangenen Jahr: Seit Sommer 2024 ist mit Virginia Richter die erste Rektorin im Amt.

Das Bewusstsein für Gleichstellung von Frauen auch in Führungspositionen habe erst in den 60er-Jahren begonnen. Carmen Scheide sagt: «Mit einer neuen Welle der Frauenbewegung ab den 80er-Jahren entstand dann das Bewusstsein für Geschlechterungleichheiten und Geschlechterverhältnisse. Da setzte sich auch durch, dass man etwas für die Chancengleichheit tun muss.»

Und heute?

Bei den Studierendenzahlen gibt es heute eine weibliche Mehrheit (rund 60 Prozent). Anders sieht es in höheren akademischen Positionen aus, etwa bei den Professuren. Gemäss Zahlen zum Personalbestand aus dem Jahr 2024 waren nur rund ein Drittel (32.6 Prozent) der beschäftigten Professor*innen Frauen. 

Interessanterweise ist die philosophisch-historische Fakultät, an der die Philosophin Anna Tumarkin unterrichtete, die einzige mit einer Mehrheit an weiblichen Professorinnen. Bei den Naturwissenschaften und Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gibt es den tiefsten Frauenanteil (zwischen 20-25 Prozent). 

Carmen Scheide sagt dazu: «Es hängt davon ab, wie einzelne Fächer oder einzelne Lehrstühle innerhalb einer Universität organisiert sind. Wenn es dort schon Frauen gibt, können sich gerade jüngere Frauen eher identifizieren und fühlen sich besser angesprochen.» Rollenvorbilder seien wichtig.

Ausstellung 150 Jahre Anna Tumarkin fotografiert am Dienstag, 18. Februar 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Die Ausstellung befindet sich gleich neben dem Uni-Hauptgebäude, in dem Anna Tumarkin einst lehrte. (Bild: Simon Boschi)

Es habe sich in den letzten 150 Jahren also durchaus sehr viel getan. Aber Carmen Scheide ergänzt: «Es gibt immer noch das Potential, sich bezüglich Chancengleichheit zu verbessern.» Darum kümmert man sich beispielsweise im Uni-Ressort Chancengleichheit, welches auch Programme hat, um Frauen in der Wissenschaft zu fördern. 

Heute seien die Hürden subtiler. So würden sich Frauen oft etwas verstecken. Ihre Erfolge kämen in ihren Lebensläufen oft nicht gleich stark zur Geltung. Einen weiteren Unterschied beobachtet Carmen Scheide beim Bewerbungsverhalten. Es gebe Frauen, die sagen: «Ich könnte vielleicht passen. Aber ich bewerbe mich nicht, weil ich nicht zu 150 Prozent allen Anforderungen entspreche.» In der Tendenz würden es Männer eher versuchen. «Das muss man im Hinterkopf behalten».

Zudem sei im akademischen Kontext die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Herausforderung. Es ist ein langer Weg, bis man an eine Lehrtätigkeit auf Universitätsstufe gelangt. Dieser Weg sei geprägt von Unsicherheit, Zeitverträgen und verlange einen hohen Grad an Flexibilität. Das stelle besonders Eltern vor Herausforderungen. Solche Karriereentscheidungen kommen in einem Alter, wo sich viele mit der Familienplanung auseinandersetzen würden. «Sie stellt sich zunehmend auch für Männer. Aber es ist die Frau, die schwanger wird und sich meistens dann auch erstmal um ein Kleinkind oder einen Säugling kümmert», sagt Carmen Scheide.

Wer sich um die Familie kümmert, habe im Umkehrschluss weniger Zeit, um wissenschaftliche Publikationen zu schreiben. Ohnehin solle man sich aber nicht auf die Anzahl Veröffentlichungen fokussieren, sondern auf deren Qualität.

Anna Tumarkin starb 1951 in Gümligen. Heute wäre sie 150 Jahre alt. Die gesellschaftliche Position der Frauen hat sich seither stark verändert. Aber noch immer bleibt die Chancengleichheit ein aktuelles Thema an der Universität Bern.

«Science after Noon: 150 Jahre Anna Tumarkin. Was uns die erste Professorin heute noch zu sagen hat»

Wer sich intensiver mit dem Thema beschäftigen möchte, kann das am «Science after Noon: 150 Jahre Anna Tumarkin» am 13. März 2025 im Haus der Akademien Bern und online, zwischen 13:15 - 14:00 Uhr.

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