Ostermundigen fremdelt

Rätselhaft: Obschon Ostermundigen in den Verhandlungen mit der Stadt Bern sehr viel herausgeholt hat, empfiehlt der Gemeinderat der Vorortsgemeinde den Fusionsvertrag nicht zur Annahme.

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Ostermundigen will wachsen: Bäre-Tower. (Bild: Manuel Lopez)

Die Gemeinderegierung von Ostermundigen hat sieben Mitglieder. Je zwei gehören der SVP und der SP an, je eines der FDP und der GLP, dazu kommt der parteilose Thomas Iten als Gemeindepräsident. Diese Regierung kann sich nicht entscheiden. Sie gibt den nun nach der Auswertung der Vernehmlassungsantworten ausformulierten Fusionsvertrag ohne Empfehlung an Parlament und Volk zum Entscheid weiter. Ausgehandelt hatten den Vertrag mit der Stadt in den letzten zwei Jahren hauptsächlich Gemeindepräsident Iten und seine Vize Aliki Panayides (SVP). 

Ja, Ostermundigens Regierung ist weder für noch gegen die Fusion. 

Aliki Panayides, SVP Politikerin in diversen Ämtern und diversen Funktionen fotografiert während einer dreissig minütigen Autofahrt durch ihr Ostermundigen fotografiert am 11.05.2022. (simonboschi.ch)
Einig, nicht einig zu sein: Aliki Panayides. (Bild: Simon Boschi)

Das zu verstehen, ist fast so schwierig, wie eine Fusion überhaupt aufzugleisen. Zumal Thomas Iten gestern vor den Medien sich und seiner Delegation auf die Schulter klopfte. Ostermundigen habe dank «hartnäckiger, ausdauernder und taktisch geschickter Verhandlungsführung» eine «ausbalancierte Lösung» erreicht, die «den Besonderheiten und Eigenheiten» der Gemeinde Rechnung trage. Trotzdem «ist sich die Exekutive nur darin einig geworden, dass sie sich über den Fusionsvertrag nicht einig ist», brachte es Aliki Panayides auf den Punkt.

Patt wegen Enthaltungen

Wie dieser Entscheid zur Nichtpositionierung zustande kam, darüber schwiegen sich Panayides und Iten aus. Eigentlich ist in einem siebenköpfigen Gremium keine Pattsituation möglich, es sei denn, eines oder mehrere Mitglieder enthalten sich. Denkbar ist, dass eine Mehrheit in der Ostermundiger Regierung gegen den Fusionsvertrag war, man sich aber auf eine gesichtswahrende Kompromissvariante einigte. Hervorzuheben sei auf jeden Fall, so Aliki Panayides, «dass wir dem Parlament empfehlen, den Fusionsvertrag dem Volk vorzulegen». Man hätte sich auch dafür aussprechen können, den Prozess abzubrechen.

Interview mit Gemeindepräsident Thomas Iten im Kulturbahnhof fotografiert am 12.5.2022 in Ostermundigen. (Jana Leu)
Respekt gegenüber Volk und Parlament: Thomas Iten. (Bild: Jana Leu)

Gemeindepräsident Iten kleidete die Nichtpositionierung rhetorisch gar in einen staatspolitischen Akt. Es zeuge «von Respekt gegenüber Souverän und Parlament», dass die Regierung die politische Würdigung sowie die Empfehlung für ein Ja oder ein Nein dem Grossen Gemeinderat und den verbindlichen Schlussentscheid dem Stimmvolk überlasse. Das kürzlich von Ostermundiger Exponent*innen von GLP, SP und Grünen gegründete Komitee Ja zur Fusion kritisierte das Vorgehen der Gemeinderegierung in einer Mitteilung als «mutlos».

Wirtschaft wurde erhört

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Letzten August sagte Thomas Iten, er spüre «noch keine Schmetterlinge im Bauch», wenn er an die Fusion denke. Inzwischen muss man sagen: Ostermundigen fremdelt mit der Stadt Bern, obschon letztere vor der kleinen Fusionspartnerin in spe beinahe auf die Knie ging. Bern habe Ostermundigen bis zu einem gewissen Grad «den Teppich ausgerollt», sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL). Das sei sinnvoll gewesen, weil es die Stadt ernst damit meine, dem zehnmal kleineren Ostermundigen auf Augenhöhe zu begegnen.

Impressionen einer Kundgebung vor der Direktion des Bundesamts fuer Zoll und Grenzsicherheit BAZG anlaesslich der Klima-Aktionstage zum Thema «Break down Climate Walls» fotografiert am Montag 07. November 2022 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez)
Schub für effizientere Verwaltung: Alec von Graffenried. (Bild: Manuel Lopez)

Im Sinn von Ostermundigen dürfte es auch sein, dass die Fusionsverhandler*innen auf die Kritik der Berner Wirtschaft, die im Fusionsprojekt das Streben nach Effizienzgewinnen vermisste, eingingen. Laut von Graffenried verpflichtet ein neuer Artikel im Fusionsvertrag die künftige Regierung, spätestens ein Jahr nach dem Zusammenschluss «ein Projekt für eine leistungsstarke und effiziente Verwaltung». Es soll namentlich den Behördenkontakt für Wirtschaft und Gewerbe vereinfachen. 

Eine Frage des Vertrauens?

Unter dem Strich erhält Ostermundigen viel von der Stadt Bern: Der Steuerfuss sinkt um zwei Zehntel auf Stadtberner Niveau. Trotzdem gelten nach der Fusion bei den Leistungen die generell höheren Standards der Stadt – etwa bei Kinderbetreuung, Frühförderung oder Sozialhilfe.

Weil der Stadtrat letzte Woche die Einführung der Feuerwehrersatzabgabe ablehnte, würde diese nach der Fusion auch in Ostermundigen abgeschafft, sagte der städtische Finanzdirektor Michael Aebersold (SP). Zudem: Ostermundigen darf trotz Fusion die Ortsplanungsrevision O’mundo zu Ende führen. Das bedeutet, dass sie ihren Wachstumskurs nach eigenen Vorstellungen weiterführen kann – ohne die strengeren städtischen Vorschriften etwa beim Baumschutz oder beim sozialen Wohnungsbau.

Wehtun muss Ostermundigen einzig die eingeschränkte politische Partizipation:   Der garantierte Sitz in der Stadtregierung kommt nicht zustande. Dafür vertritt in den ersten vier Jahren nach der Fusion ein*e Fusionsbeauftragte*r die Interessen Ostermundigens im Gemeinderat, allerdings bloss mit beratender Stimme. Unterstützt wird die Person von einer Stadtteilkommission, die als Mitwirkungsgremium für die Bevölkerung amtet.

Michael Aebersold fotografiert am 31.01.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Feuerwehrersatzabgabe verschwände auch in Ostermundigen: Michael Aebersold. (Bild: Manuel Lopez)

Trotz der erfolgreichen Verhandlungsführung und der vielen zählbaren Vorteile blieb beim Mundiger Gemeinderat laut Thomas Iten die Befürchtung bestehen, dass «die Ostermundiger Kompromisskultur, der Pragmatismus, die Agilität und die einfachen Prozesse» sich nach der Fusion nicht mehr entfalten könnten.

Man könnte es wohl so formulieren: Die intensiven Verhandlungsjahre haben bei der leidenschaftlichen Ostermundiger Delegation offenbar nicht dazu geführt, ihr Vertrauen in die Stadt zu stärken. Ob es nur an der rot-grünen Stadt liegt, ist eine andere Frage. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass die Ostermundiger Polit-Szene sich umso schwerer tut mit dem Gedanken, einen Teil ihres Einflusses abzugeben, je näher der Termin rückt. 

«Die Fusion ist eine coole Sache», sagte Michael Aebersold kürzlich in einem Interview mit der «Hauptstadt». Es war ein einsamer Ausbruch von Leichtigkeit und Zuversicht. Ob sich Ostermundigen von der selbstbewussten Agglo-Gemeinde zum selbstbewussten Stadtteil wandeln will, entscheidet sich im Juni in den Parlamenten und am 22. Oktober 2023 an der Urne beider Gemeinden.

Der Weg ist weit, die Zeit kurz. 

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Diskussion

Unsere Etikette
Peter Birrer
06. April 2023 um 16:24

Ostermundigen ist bestimmt nicht in der Bestform seines Lebens, ohne wirkliche Aussicht auf Besserung. So viel wage ich, der regelmässig in Mundigen unterwegs ist, zu behaupten. Und dennoch ziert es sich vor der Hochzeit. Spürbar. Wie kann es nur.

Ruedi Muggli
06. April 2023 um 06:48

Als BürgerIn würde ich von meiner Regierung, die den Vertrag ausgehandelt hat, schon eine Empfehlung erwarten! Ist das jetzt wirklich nur Mutlosigkeit oder eher Kalkül? Die Regierung sagt eigentlich nein, will aber nicht dazu stehen … das zumindest dürften sich einige denken.