Ostermundigen fremdelt
Rätselhaft: Obschon Ostermundigen in den Verhandlungen mit der Stadt Bern sehr viel herausgeholt hat, empfiehlt der Gemeinderat der Vorortsgemeinde den Fusionsvertrag nicht zur Annahme.
Die Gemeinderegierung von Ostermundigen hat sieben Mitglieder. Je zwei gehören der SVP und der SP an, je eines der FDP und der GLP, dazu kommt der parteilose Thomas Iten als Gemeindepräsident. Diese Regierung kann sich nicht entscheiden. Sie gibt den nun nach der Auswertung der Vernehmlassungsantworten ausformulierten Fusionsvertrag ohne Empfehlung an Parlament und Volk zum Entscheid weiter. Ausgehandelt hatten den Vertrag mit der Stadt in den letzten zwei Jahren hauptsächlich Gemeindepräsident Iten und seine Vize Aliki Panayides (SVP).
Ja, Ostermundigens Regierung ist weder für noch gegen die Fusion.
Das zu verstehen, ist fast so schwierig, wie eine Fusion überhaupt aufzugleisen. Zumal Thomas Iten gestern vor den Medien sich und seiner Delegation auf die Schulter klopfte. Ostermundigen habe dank «hartnäckiger, ausdauernder und taktisch geschickter Verhandlungsführung» eine «ausbalancierte Lösung» erreicht, die «den Besonderheiten und Eigenheiten» der Gemeinde Rechnung trage. Trotzdem «ist sich die Exekutive nur darin einig geworden, dass sie sich über den Fusionsvertrag nicht einig ist», brachte es Aliki Panayides auf den Punkt.
Patt wegen Enthaltungen
Wie dieser Entscheid zur Nichtpositionierung zustande kam, darüber schwiegen sich Panayides und Iten aus. Eigentlich ist in einem siebenköpfigen Gremium keine Pattsituation möglich, es sei denn, eines oder mehrere Mitglieder enthalten sich. Denkbar ist, dass eine Mehrheit in der Ostermundiger Regierung gegen den Fusionsvertrag war, man sich aber auf eine gesichtswahrende Kompromissvariante einigte. Hervorzuheben sei auf jeden Fall, so Aliki Panayides, «dass wir dem Parlament empfehlen, den Fusionsvertrag dem Volk vorzulegen». Man hätte sich auch dafür aussprechen können, den Prozess abzubrechen.
Gemeindepräsident Iten kleidete die Nichtpositionierung rhetorisch gar in einen staatspolitischen Akt. Es zeuge «von Respekt gegenüber Souverän und Parlament», dass die Regierung die politische Würdigung sowie die Empfehlung für ein Ja oder ein Nein dem Grossen Gemeinderat und den verbindlichen Schlussentscheid dem Stimmvolk überlasse. Das kürzlich von Ostermundiger Exponent*innen von GLP, SP und Grünen gegründete Komitee Ja zur Fusion kritisierte das Vorgehen der Gemeinderegierung in einer Mitteilung als «mutlos».
Wirtschaft wurde erhört
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Letzten August sagte Thomas Iten, er spüre «noch keine Schmetterlinge im Bauch», wenn er an die Fusion denke. Inzwischen muss man sagen: Ostermundigen fremdelt mit der Stadt Bern, obschon letztere vor der kleinen Fusionspartnerin in spe beinahe auf die Knie ging. Bern habe Ostermundigen bis zu einem gewissen Grad «den Teppich ausgerollt», sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL). Das sei sinnvoll gewesen, weil es die Stadt ernst damit meine, dem zehnmal kleineren Ostermundigen auf Augenhöhe zu begegnen.
Im Sinn von Ostermundigen dürfte es auch sein, dass die Fusionsverhandler*innen auf die Kritik der Berner Wirtschaft, die im Fusionsprojekt das Streben nach Effizienzgewinnen vermisste, eingingen. Laut von Graffenried verpflichtet ein neuer Artikel im Fusionsvertrag die künftige Regierung, spätestens ein Jahr nach dem Zusammenschluss «ein Projekt für eine leistungsstarke und effiziente Verwaltung». Es soll namentlich den Behördenkontakt für Wirtschaft und Gewerbe vereinfachen.
Eine Frage des Vertrauens?
Unter dem Strich erhält Ostermundigen viel von der Stadt Bern: Der Steuerfuss sinkt um zwei Zehntel auf Stadtberner Niveau. Trotzdem gelten nach der Fusion bei den Leistungen die generell höheren Standards der Stadt – etwa bei Kinderbetreuung, Frühförderung oder Sozialhilfe.
Weil der Stadtrat letzte Woche die Einführung der Feuerwehrersatzabgabe ablehnte, würde diese nach der Fusion auch in Ostermundigen abgeschafft, sagte der städtische Finanzdirektor Michael Aebersold (SP). Zudem: Ostermundigen darf trotz Fusion die Ortsplanungsrevision O’mundo zu Ende führen. Das bedeutet, dass sie ihren Wachstumskurs nach eigenen Vorstellungen weiterführen kann – ohne die strengeren städtischen Vorschriften etwa beim Baumschutz oder beim sozialen Wohnungsbau.
Wehtun muss Ostermundigen einzig die eingeschränkte politische Partizipation: Der garantierte Sitz in der Stadtregierung kommt nicht zustande. Dafür vertritt in den ersten vier Jahren nach der Fusion ein*e Fusionsbeauftragte*r die Interessen Ostermundigens im Gemeinderat, allerdings bloss mit beratender Stimme. Unterstützt wird die Person von einer Stadtteilkommission, die als Mitwirkungsgremium für die Bevölkerung amtet.
Trotz der erfolgreichen Verhandlungsführung und der vielen zählbaren Vorteile blieb beim Mundiger Gemeinderat laut Thomas Iten die Befürchtung bestehen, dass «die Ostermundiger Kompromisskultur, der Pragmatismus, die Agilität und die einfachen Prozesse» sich nach der Fusion nicht mehr entfalten könnten.
Man könnte es wohl so formulieren: Die intensiven Verhandlungsjahre haben bei der leidenschaftlichen Ostermundiger Delegation offenbar nicht dazu geführt, ihr Vertrauen in die Stadt zu stärken. Ob es nur an der rot-grünen Stadt liegt, ist eine andere Frage. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass die Ostermundiger Polit-Szene sich umso schwerer tut mit dem Gedanken, einen Teil ihres Einflusses abzugeben, je näher der Termin rückt.
«Die Fusion ist eine coole Sache», sagte Michael Aebersold kürzlich in einem Interview mit der «Hauptstadt». Es war ein einsamer Ausbruch von Leichtigkeit und Zuversicht. Ob sich Ostermundigen von der selbstbewussten Agglo-Gemeinde zum selbstbewussten Stadtteil wandeln will, entscheidet sich im Juni in den Parlamenten und am 22. Oktober 2023 an der Urne beider Gemeinden.
Der Weg ist weit, die Zeit kurz.