Praxis sucht Arzt/Ärztin

Die Hausarztpraxis Anderhalden in Münsingen schliesst per Ende Jahr. Nun greifen die Praxisassistentinnen zu einem ungewöhnlichen Mittel: Sie suchen selbst eine Nachfolge.

Impressionen aus der Arztpraxis auf Nachfolfer*innen suche, fotografiert am Mittwoch, 15. Januar 2025 in Muensingen. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Mit Flyern und Social Media Posts wollen die vier Praxisassistentinnen ihre zukünftige Ärztin/Arzt finden. (Bild: Manuel Lopez)

Wenn man die Hausarztpraxis Anderhalden betritt, sticht der farbenfrohe Empfangsbereich ins Auge. Die Praxis liegt zentral in einem Wohnquartier, nur wenige Gehminuten vom Bahnhof Münsingen entfernt. Gerade verlässt eine ältere Dame den Behandlungsraum an ihrem Rollator.

Wie es für sie und die anderen Patient*innen der Praxis ab Ende 2025 weitergeht, ist ungewiss. Denn das Ärztepaar Cornelia und Rolf Anderhalden, das die Praxis 1996 eröffnet hat, geht in den Ruhestand. Festgelegt und kommuniziert ist dieser Abschluss schon seit längerem.

Es ist nicht die einzige Hausarztpraxis, die mit dem Thema konfrontiert ist. Die Babyboomer-Generation geht in Pension. Der Trend wird sich in der nächsten Zeit fortsetzen. Eine Ärztestatistik des Berufsverbands der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) aus dem Jahr 2023 zeigt, dass die Hälfte der berufstätigen Ärzt*innen mindestens 50 Jahre alt ist und jede*r Vierte 60 Jahre oder älter.

 

Impressionen aus der Arztpraxis auf Nachfolfer*innen suche, fotografiert am Mittwoch, 15. Januar 2025 in Muensingen. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Die Zukunft der Hausarztpraxis ab Ende 2025 ist ungewiss. (Bild: Manuel Lopez)

Das Ärztepaar Anderhalden hat sich bereits 2023 auf die Suche gemacht, um ihre Hausarztpraxis an eine oder mehrere Personen übergeben zu können. Bisher ohne Erfolg. Nun haben sich ihre vier medizinischen Praxisangestellten eingeschaltet. Sie helfen mit, «damit nicht alles an den beiden hängt», wie Natalie Wäfler erzählt. Sie ist eine der vier Praxisangestellten. Arzt Rolf Anderhalden, 68 Jahre alt, betont: «Ich bin sehr positiv überrascht, ich finde es supercool, wenn uns die Praxisassistentinnen unterstützen.» Es zeige das Engagement und die Motivation der Angestellten.

Der Teamzusammenhalt ist gross

Falls sich keine Lösung findet, verlieren laut Rolf Anderhalden rund 1’800 Patient*innen ihre Anlaufstelle und die vier medizinischen Praxisangestellten ihren Job. «Für uns würde es sicher eine Möglichkeit geben, eine neue Stelle zu finden. Die Frage ist, ob sie dann auch wieder so toll ist wie hier», sagt Natalie Wäfler. Alle vier schätzen den Umgang auf Augenhöhe und den Teamzusammenhalt. «Wir können es hönneguet miteinander, machen privat auch Sachen zusammen», erzählt Stephanie Mütschard. So gab es schon Wanderausflüge oder einen Abstecher in den Europa-Park. Alle vier arbeiten schon mehrere Jahre in der Praxis, Claudia Lobsiger ist sogar schon seit den Anfängen mit von der Partie.

Unklare Zukunft auch für die Patient*innen

Die Praxisassistentinnen denken aber auch an die Patient*innen, die sie zum Teil seit langem begleiten. Es ist unklar, was mit ihnen werden würde, denn bei den anderen Hausarztpraxen in der Gemeinde und der Region bestehe ein Aufnahmestopp für Patient*innen.

Das heisst, die Patient*innen könnten – falls die Suche ohne Erfolg bleibt – nicht innerhalb des Ortes zu einer anderen Praxis wechseln. «Um die Jungen mache ich mir keine Sorgen, die sind flexibel», sagt Rolf Anderhalden. «Aber gerade ältere Patient*innen brauchen einen Hausarzt, den sie kennen, zu dem ein Vertrauensverhältnis besteht.»

Die Angst vor der bevorstehenden Veränderung bemerken die Praxisangestellten auch im täglichen Kontakt. Sabrina Nauck erzählt: «Es macht ihnen vor allem auch Angst, dass sie niemanden finden, der sie dann weiter betreuen kann. Das ist das Hauptproblem.»

In Münsingen gibt es kein Spital mehr

Es wäre für die Münsinger*innen nicht der erste Abbau von Gesundheitsleistungen in ihrer Gemeinde. So hat das Spital Münsingen Ende Juni 2023 seine Tore geschlossen und steht noch immer leer. Es gibt zwar Bestrebungen, eine gewisse Basis an medizinischem Angebot am alten Standort wiederzubeleben. Konkret und definitiv ist jedoch noch nichts. «Falls es dazu kommt, wäre das eine Option, zumindest für unsere Patienten», sagt Natalie Wäfler.

Rolf Anderhalden sagt, dass der Wegfall des Spitals mit ein Kriterium gewesen sei, weshalb sich die Suche schwierig gestalte. Eine gute Einbindung ins Versorgungsnetz erhöht die Attraktivität eines Praxis-Standortes. Ein anderes Kriterium ist wirtschaftlicher Art. Die Praxis kann nur eingeschränkt Medikamente herausgeben, wodurch sie weniger Einnahmen generiert. Inwiefern die Herausgabe von Medikamenten in Arztpraxen erlaubt ist, regelt die kantonale Selbstdispensations-Gesetzgebung.

Was ist Selbstdispensation (SD)?

In Münsingen gibt es mehrere Apotheken. Das bedeutet für alle Hausärztinnen und Hausärzte in der Gemeinde, dass sie aufgrund der kantonalen Gesetzgebung nur eingeschränkt selbst Medikamente herausgeben dürfen. So etwa zur Erstversorgung, bei Hausbesuchen oder in Notfällen. In Gemeinden mit keiner oder maximal einer Apotheke gibt es diese Einschränkungen für Hausärzte nicht. Die Frage der Selbstdispensation ist politisch umstritten. Die Regelungen variieren von Kanton zu Kanton. In Bern forderte  jüngst eine – mittlerweile zurückgezogene – überparteiliche Motion, dass man die Selbsdispensation wieder ohne Einschränkungen erlauben solle, um die Hausarztpraxen zu stärken.

Um für die Praxis Anderhalden eine Lösung zu finden, legen die vier MPAs mit ihrer persönlichen Botschaft den Fokus auf den Teamgedanken und das Arbeitsumfeld. Konkret haben sie unter anderem Flyer erstellt, einen Aufruf auf dem Onlineportal Bern-Ost geteilt. Als jüngste Massnahme haben sie gar ein Werbevideo erstellt (siehe unten) und einen Post auf Social Media (LinkedIn) veröffentlicht. «Wir wollen, dass möglichst viele Leute den Aufruf sehen, die richtige Person es liest und sich melden kann», sagt Natalie Wäfler.

Die Reaktionen auf den Aufruf seien positiv: «Gestern Morgen kam ein vielleicht 80-jähriger Mann, nahm sein Handy und zeigte das Föteli. Er sagte, das hätten wir super gemacht. Das ist mega herzig», sagt Claudia Lobsiger. Sabrina Nauck ergänzt: «Es gibt auch Patienten, die einfach vorbeikommen. Schnell hurti eine Rückmeldung gegeben, dass wir das super gemacht haben.» Viele verbreiten den Aufruf weiter.

Positives Feedback - aber noch kein Arzt / keine Ärztin

Bisher habe sich aber noch niemand konkret gemeldet, der oder die das fachliche Knowhow hat. Es gebe aber Leute, die bei der Rekrutierung helfen wollen oder AGs, die die Praxis übernehmen möchten.

Gerade weil die Suche so schwierig ist, sind die vier MPAs auch bereit für unkonventionelle Lösungen, auch bezüglich Arbeitspensum und Anstellungsverhältnis. «Wir brauchen halt einfach einen Arzt. Noch besser, zwei», betont Stephanie Mütschard.

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