Sexismus – Hauptstadt-Brief #218
Donnerstag, 14. September 2023 – die Themen: Wahlkampf; Bergrennen; Impfen; Asylunterkunft; Hauskauf; Ka-We-De; Defizit.
«Habe ich das richtig gehört? Hat dieser Politiker beim Apéro wirklich zu mir als Angestellte gesagt: Komm mit aufs Zimmer?» Das Erlebnis schilderte die Berner Mitte-Politikerin Sibyl Eigenmann gestern Abend am Hauptsachen-Talk. Von Erfahrungen mit sexualisierten Übergriffen konnten gestern Abend alle Frauen in der Diskussionsrunde zum Thema sexualisierte Gewalt berichten.
Man gewöhne sich über die Jahre leider an grenzüberschreitende Erlebnisse, sagte Sim Eggler, Co-Koordinator*in Netzwerk Istanbul Konvention. «Das müssen wir nun quasi wieder entlernen.»
Dazu hat die Stadt Bern unter anderem mit dem Meldetool «Bern schaut hin» eine Sensibilisierungskampagne gestartet. Für nachhaltigen Schutz vor sexualisierter Gewalt brauche es einen gesellschaftlichen Wandel, erklärte «Bern schaut hin»-Projektleiterin Mirjam Baumgartner. Da sei das niederschwelligen Meldetool wichtig, denn auch Belästigungsformen, die nicht strafrechtlich relevant seien, sollten thematisiert werden.
Politikerin Eigenmann störte sich am aktuellen Fokus auf das Meldetool. Ihr Eindruck: «Man fischt im gleichen Teich, sensibilisiert Leute, die schon sensibilisiert sind.» Eigenmann wünscht sich mehr Arbeit mit Tätern.
Diese Arbeit mit möglichen Tatpersonen sei wichtig, sagte Sim Eggler, denn das sei auch Opferschutz. Angebote wie die Fachstelle Gewalt Bern machten wichtige Arbeit, bräuchten aber auch genug finanzielle Ressourcen, sagte Eggler an die Politikerin Eigenmann gewandt. Diese meinte, sie wolle sich für die Fachstelle Gewalt einsetzen. Ein Angebot, das sie noch nicht kannte.
Doch was kann man konkret tun, wenn man einen Übergriff beobachtet? «Man kann Verantwortung übernehmen und Zivilcourage zeigen», sagte Eggler. Man könne physische Präsenz markieren und/oder könne eine Person fragen, wie es ihr in der Situation gehe.
Und wer betroffen ist und Hilfe sucht, findet alle wichtigen Adressen und Beratungsangebote auf der Website opferhilfe-schweiz.ch. Weitere Angebote in Bern sind die Hotline Appelle der Frauenhäuser und die Opferhilfestelle Lantana.
Am Ende der von der «Hauptstadt» und dem Progr organisierten Diskussion war klar: Sensibilisierung, Umdenken, Arbeit mit Tatpersonen und mehr Geld für Fachstellen sind gefordert. «Und es braucht in Bern die Bereitschaft für ein gemeinsames Hinschauen», sagte Mirjam Baumgartner.
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- Ständeratsduell: Wer kann den linken Berner Ständeratssitz des abtretenden Hans Stöckli (SP) verteidigen und ihn damit beerben? Für die SP tritt Nationalrätin Flavia Wasserfallen an, für die Grünen Alt-Regierungsrat Bernhard Pulver. Die «Hauptstadt» hat die beiden zum Duell unter Freund*innen gebeten. Sie kämpfen gemeinsam für mehr progressive Stimmen im Ständerat, streiten sich aber über Lösungsansätze gegen die stetige Prämiensteigerung im Gesundheitswesen. Das ausführliche Gespräch – das auch kurze Ja/Nein-Fragen enthält – findest du auf unserer Website als Podcast zum Hören und als Interview zum Lesen.
- Bergrennen: Das Auto-Bergrennen am Gurnigelpass zieht jährlich Tausende in den Bann. Was fasziniert sie? Mein Kollege Nicolai Morawitz fuhr letztes Wochenende mit einem Rennfahrer mit und zeigt in seinem Text auf, wie die Nachhaltigkeit rund um das Rennen debattiert wird, beim Rennen aber nicht gefragt ist. So haben viele Besucher*innen etwa zu Elektro-Rennboliden eine ablehnenden Haltung.
- Impfschäden: Die Berner Kantonsregierung soll die medizinische Versorgung von Corona-Impfgeschädigten sicherstellen. Dazu gehören Post-Vac-Sprechstunden an öffentlichen Spitälern sowie Therapie-Angebote. Das verlangt der Grosse Rat. Einstimmig überwies er laut der Nachrichtenagentur SDA gestern den entsprechenden Punkt einer Motion von Samuel Kullmann (EDU/Thun). Der Regierungsrat sah die Forderung als erfüllt und war gegen den Vorstoss. Es gelte, ein Zeichen zugunsten der Betroffenen zu setzen, hiess es aber in der Debatte. Impfnebenwirkungen seien eine Tatsache, auch wenn viele nicht darüber reden wollten, sagte etwa Sibyl Eigenmann (Mitte/Bern).
- Asylunterkunft: Das ehemalige Hotel Alpenblick im 180-Seelen-Dorf Wolfisberg kann nach wie vor nicht als Unterkunft für Asylsuchende genutzt werden. Ein Rechtsstreit blockiert laut der Nachrichtenagentur SDA die Pläne des Kanton Bern. Die Standortgemeinde Niederbipp stellt sich quer und hat das Haus per baurechtlicher Verfügung mit einem superprovisorischen Benützungsverbot belegt. Zunächst sei zu prüfen, ob die Massnahmen für die Umnutzung des Hotels eine Baubewilligung benötigen. Gegen die Verfügung hat das kantonale Amt für Integration und Soziales eine Beschwerde eingelegt.
- Hauskauf: Die Stadt Bern kann die Liegenschaften des Schweizerischen Nationalfonds am Wildhainweg in der Länggasse erwerben. Mit diesem Kauf will sich die Stadt laut Mitteilung Grundeigentum an zentraler Lage sichern. Der Gemeinderat beantragt dem Parlament einen Kredit in der Höhe von 34 Millionen Franken.
- Sanierung: Die Sport- und Freizeitanlage Ka-We-De in Bern soll umfassend saniert werden. Der Gemeinderat hat eine Abstimmungsvorlage für den Baukredit von 59,4 Millionen Franken ausgearbeitet. Die Kunsteisbahn und das Wellenbad Dählhölzli im Kirchenfeldquartier wurden in den 1930er-Jahren im Stil der Moderne erbaut. Letztmals wurde sie in den 1980er-Jahren saniert und umgebaut.
- Defizit: Die Gemeinde Zollikofen rechnet im kommenden Jahr mit roten Zahlen. Sie veranschlagt bei gleichbleibendem Steuersatz (1,40) für 2024 ein Defizit von 1,37 Millionen Franken. Der Gemeinderat bezeichnet dieses als vertretbar, wie aus einer Mitteilung hervorgeht. Es sei durch einen Bilanzüberschuss finanztechnisch gedeckt.
PS: Das Klima und die Ernährung sind heute Abend in der Heiliggeistkirche Thema bei der zweiten Ausgabe der Berner Klima-Debatten. Ab 18.45 Uhr diskutieren Nationalrat und Biobauer Kilian Baumann, die ehemalige HAFL-Direktorin Magdalena Schindler und Christian Etter, Projektleiter Nachhaltigkeit Migros Gruppe, und weitere. Das Gespräch moderiert meine «Hauptstadt»-Kollegin Marina Bolzli.