Stadtpolizei – Stadtrat-Brief #33

Sitzung vom 27. Juni 2024 – die Themen: Polizei; Citysoftnet; Machtpolitik; Rechnung 2023; Betteln; Superblocks; Parkplätze; Ratseffizienz. Ratsmitglied der Woche: Sofia Fisch (Juso).

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Die rot-grün regierte Stadt Bern und die Polizei, das ist eine schwierige Beziehung. Besonders seit 2011, als die Stadtpolizei aufgehoben und die operative Hoheit über Polizeioperationen dem bürgerlich dominierten Kanton übergeben wurde. Für eine Pauschale von 31 Millionen Franken pro Jahr kauft die Stadt Bern laut Sicherheitsdirektor Reto Nause (Mitte) beim Kanton sämtliche Polizeileistungen ein.

In dieser Wunde wühlte der Stadtrat am Donnerstag. Etwa zum Thema Racial Profiling. Halua Pinto de Magalhães (SP) kritisierte einen Bericht, den der Gemeinderat auf eine 2017 erheblich erklärte Motion verfasst hatte. Diese schlägt unter anderem die Einführung eines Systems vor, bei dem polizeilich überprüfte Menschen eine Quittung erhalten, die sie bei der nächsten Kontrolle vorweisen können. Der Gemeinderat könne das nicht anordnen, das liege in der Kompetenz der Kantonspolizei, argumentiert die Stadtregierung.

Es sei «ein Feigenblatt, die Verantwortung an den Kanton abzuschieben», sagte Pinto de Magalhães. Die Stadt habe eine politische Verantwortung, auf ihrem Boden dafür zu sorgen, dass nicht diskriminiert werde. Anna Leissing (GB) bemängelte, dass die Stadt ihren Spielraum nicht ausnutze und zum Beispiel eine Ombudsstelle schaffe für Menschen, die sich im Polizeikontakt diskriminiert fühlten.

Auch Simone Richner (FDP) betonte, Racial Profiling sei inakzeptabel und müsse bekämpft werden. Bei der Polizei habe aber die Sensibilisierung deutlich zugenommen, und es sei richtig, nicht auf ein Quittungssystem, sondern auf Dialog zu setzen, wie das der Gemeinderat vorschlägt. Der kantonale Polizeidirektor Philippe Müller (FDP) debattierte via Soziale Medien mit. Es gebe keinen Rassismus bei der Kantonspolizei, schrieb er auf X.

Das Problem Polizei an der Wurzel packen wollte David Böhner (AL). In einem Postulat schlug er die Wiedereinführung der Stadtpolizei vor. Im Wissen, dass die Stadt dazu wenig zu sagen hat: Dazu bräuchte es eine kantonale Volksabstimmung, wie die Stadtregierung in ihrem Bericht festhält. Aber: Paula Zysset (SP/Juso) erinnerte daran, dass das Rot-Grün-Mitte-Bündnis 2020 in seiner (immer noch aufgeschalteten) Wahlplattform selber die Wiedereinführung der Stadtpolizei auflistet. «Wie kann es sein, dass vier Gemeinderatsmitglieder ein Wahlversprechen einfach vergessen», fragte sie die eigene Regierungsmehrheit.

Eine sehr gute Frage im Wahljahr 2024. Der Stadtrat überwies das Postulat. Die Regierung muss nun trotz bereits vorliegender negativer Stellungnahme noch einmal einen Bericht abliefern. Das wird wohl der ab 2025 neu zusammengesetzte Gemeinderat tun. In ihm werden Kandidierende sitzen, die jetzt ihre Wahlversprechen formulieren.

Portrait der Stadträtin Paula Zysset für das Online-Medium Hauptsadt, während Stadtratsitzung vom 6.7.2023 in Bern
Ratsmitglied der Woche: Sofia Fisch

Sofia Fisch (28) ist Jurist*in und sitzt seit 2022 für die Jungsozialist*innen (Juso) im Stadtrat. Fisch stammt aus dem Oberaargau und ist Vorstandsmitglied im Trägerverein für offene Jugendarbeit in der Stadt Bern. 

Warum sind Sie im Stadtrat?

In erster Linie, weil ich das Privileg habe, mit meiner Geburt einen Schweizer Pass erhalten zu haben. Damit habe ich das Recht, mich für Wahlen aufstellen zu lassen. Ich habe das Stadtratsamt angenommen, weil ich mich in der SP/Juso-Fraktion für eine konsequent linke Politik einsetzen möchte.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Für klare Haltungen.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Ich finde es sehr schade, wenn Gelder für Massnahmen, die zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen würden, nicht gesprochen werden. So wurde etwa an der letzten Budgetdebatte eine Ausweitung der Lernbegleitung des Gemeinnützigen Vereins der Stadt Bern abgelehnt, mit welcher Kinder und Jugendliche aus allen Stadtteilen, die eine Lernhilfe benötigen, diese auch in Anspruch nehmen könnten.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Ich schätze die Zusammenarbeit mit meiner Juso-Kollegin im Stadtrat, Paula Zysset, sehr. Wir sind ein gutes Team, können uns aufeinander verlassen, geben einander Rückendeckung und ehrliches Feedback. Dies hat sich zum Beispel an der letztjährigen Budgetdebatte, die für uns beide die erste war, gut gezeigt. Wir haben uns gegenseitig motiviert, uns durch den Aufgaben- und Finanzplan durchzuackern, haben uns die Ausarbeitung der Anträge aufgeteilt und sogar drei durch den Stadtrat gebracht.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Mein liebster Stadtteil ist der Mattenhof, in dem ich, aber auch einige meiner Freund*innen leben. Im Mattenhof (auch wenn es ganz streng genommen vielleicht knapp nicht mehr zum Mattenhof gehört) befindet sich das beste Kaffee der Stadt: das Kaffee Ida.

Das hat der Stadtrat weiter behandelt:

Citysoftnet: «Alles Schönreden bringt nichts. Die Stadt muss ihre Fehlerkultur verbessern», sagte Gabriela Blatter (GLP) zum Debakel um die Fallführungssoftware Citysoftnet. Am Dienstag hatte der Gemeinderat einen externen Prüfbericht vorgestellt, der die gigantischen Probleme bei der Einführung der Software  ausleuchten sollte. Die gemeinderätliche Antwort auf eine Interpellation von Bernadette Häfliger (SP) motivierte den Rat zu einer ausführlichen Diskussion. Entscheide fällte er keine. Interessant war die heftige Kritik von links: Bernadette Häfliger zeigte sich enttäuscht über den Bericht von Price Waterhouse Cooper (PwC). Das Benennen von Verantwortlichkeiten werde «systematisch ausgeklammert». Szabolcs Mihàlyi (SP) ergänzte, dass man alles, was nun im PwC-Bericht stehe, schon im Herbst einem Bericht der stadträtlichen Geschäftsprüfungskommission hätte entnehmen können: «Es besteht wenig Hoffnung auf rasche Besserung», sagte er.

Machtpolitik: Die rot-grüne Stadtratsmehrheit setzte ihre Praxis fort, bei Interpellationen von rechts keine Diskussion zuzulassen. Bei drei SVP-Vorstössen gewährte sie keine Debatte, bei linken Begehren stimmte sie ihr hingegen konsequent zu. 

Stadtfinanzen: Die Behandlung der städtischen Jahresrechnung 2023, die problemlos angenommen wurde, nutzten verschiedene Stadträt*innen, um ihre Wahlkampfrhetorik zu schärfen. Seitenhiebe gab es gegen die kritische Kommentierung rot-grüner Finanzpolitik durch Bund/BZ (Tamedia), aber auch gegen FDP-Gemeinderatskandidatin Florence Pärli. Sie gebärdet sich in den Augen vieler Linker wie ein künftige Finanzdirektorin. Einfach mal so zehn Prozent der Ausgaben einzusparen sei viel schwieriger, als sie sich das vorstelle, mahnte sie der amtierende Finanzdirektor Michael Aebersold (SP). Pärli, aber auch Maurice Lindgren (GLP) oder Lionel Gaudy (die Mitte) kritisierten den wachsenden Schuldenberg, man lebe auf Kosten künftiger Generationen. Ursina Anderegg (GB) sieht es genau umgekehrt: Jetzt dringliche Investitionen in Infrastruktur oder den Klimaschutz zu unterlassen, wäre ein Verrat an den nächsten Generationen.

Parkplätze: Klar abgelehnt wurde eine Motion der SVP, die verlangte, auf der Schützenmatte entfernte Parkplätze wieder in Betrieb zu nehmen und der Stadt so Zusatzeinnahmen von 600’000 Franken im Jahr zu ermöglichen.

Ratseffizienz: Matteo Micieli (PdA) präsentierte «ein paar Funfacts» aus der Geschäftsprüfungskommission: 2023 verabschiedete der Stadtrat 167 Geschäfte, 20 mehr als im Vorjahr. Es wurden aber auch ungefähr 20 Vorstösse mehr eingereicht als 2022. So hält sich alles die Waage. Insgesamt hat das Parlament 2023 402 Geschäfte behandelt.

Betteln: Im Dezember 2022 rief die Stadt die Bevölkerung dazu auf, Bettlerinnen und Bettlern aus Osteuropa kein Geld zu geben, weil diese oft Banden angehörten oder deren Opfer seien. Lea Bill (GB) und Sofia Fisch (Juso) verlangten darauf in einer Motion, dass die Stadt die Situation bettelnder Menschen untersuchen müsse, ehe sie solche Empfehlungen abgebe. Es sei stigmatisierend, Bettelnde grundsätzlich zu verdächtigen, sagte Bill im Rat. Auch Lena Allenspach (SP) fand die damalige Mitteilung stigmatisierend. Allerdings gehe die Stadt «vorbildlich gegen Menschenhandel vor», sagte sie. Das fand auch Francesca Chukwunyere (GFL). Sie sagte, man würde das Geld statt in eine Studie besser in dringend nötige zusätzliche Notschlafstellen investieren. Ohne die Unterstützung von SP und GFL blieb die Motion chancenlos und wurde abgelehnt.

Superblocks: Leichte Differenzen zwischen Rot und Grün drangen auch bei der Diskussion um eine erheblich erklärte  Mitte-Links-Motion für die Einführung von sogenannten Superblocks durch. Mit Superblocks sind Hausreihen oder Quartierteile gemeint, um die der Verkehr fliesst, während die Strassen innerhalb frei sind von Autos und Töffs. So können Grün-, Spiel- und Aufenthaltsflächen entstehen. Der Gemeinderat ist bereit, im Murifeld einen Pilotversuch zu starten. Es sei toll, dass es in der Stadtpolitik auch mal schnell vorwärts gehe, lobte Jelena Filipovic (GB). Doch sie fand es wie Tanja Miljanović (GFL) mutlos, den Pilot nur im Murifeld durchzuführen – wo die Zustimmung sicher hoch sei. Zudem ärgerte sich Filipovic über die SP, die mithalf, einen Vorstoss aus dem Jahr 2001 (!) abzuschreiben, der für jedes Quartier eine autofreie Piazza verlangt.

PS: GFL-Stadträtin Francesca Chukwunyere sei einst in Nigeria verhaftet worden, als sie dort mit ihrem Mann unterwegs war. Das berichtete sie dem Stadtrat. Sie sei als Weisse mehrmals hintereinander kontrolliert worden, worauf sie sich beschwerte und kurz festgenommen wurde. Darauf habe man ihr aber ein Ticket ausgehändigt. Nach dieser Erfahrung leuchte ihr erst recht nicht ein, warum sich die Kantonspolizei weigere, ein solches System zu testen.

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Diskussion

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Ruedi Muggli
30. Juni 2024 um 11:47

Eigentlich sollte die Stadt die Berichterstattung aus dem Stadtrat unterstützen - sonst wissen nur Insiderinnen, welche Debatten die Demokratie ausmachen …