Liebe Burgergemeinde, wir haben Ideen
Die «Hauptstadt» hat sich in einem Schwerpunkt mit der Berner Burgergemeinde beschäftigt. Zum Abschluss gibt sie Denkanstösse, wie und was die reiche zweite Gemeinde Berns auch noch sein könnte.
«Gibt es die Burgergemeinde in 50 Jahren noch?», wurde Burgergemeindepräsident Bruno Wild am Talk der «Hauptstadt» Anfang November gefragt.
«Ja», antwortete Wild ohne zu zögern, «und auch in 100 Jahren.»
Die Burgergemeinde sagt von sich selbst, sie denke nicht in Vierjahres-Legislaturen, sondern in Generationen. Sie sei für die Ewigkeit angelegt.
Und tatsächlich: Dass Berns zweite Gemeinde demnächst abgeschafft wird, ist sehr unwahrscheinlich. Zu stark profitiert die Stadt von ihrer grosszügigen Vergabepolitik, zu breit ist sie in allen politischen Lagern abgestützt.
Trotzdem muss sich die Burgergemeinde als grösste Grundeigentümerin der Stadt Bern immer wieder Kritik stellen. Ihre Legitimation wird in Frage gestellt. Denn mit dabei ist nur, wer als Burger*in geboren wurde – oder sich einkauft und einburgern lässt. Die Burgergemeinde ist alles andere als offensiv im Anwerben neuer Mitglieder. Und so kommt es, dass rund 18’700 Burger*innen über ein Vermögen von 1,2 Milliarden und jährliche Erträge von etwa 50 Millionen Franken bestimmen.
Die Burgergemeinde muss das Geld laut Kantonsverfassung «zum Wohl der Allgemeinheit» einsetzen. Doch was das konkret bedeutet, bestimmt sie selbst.
Sie folgt dabei einer Logik, die wenig hinterfragt wird: Weil sie keine Steuern erhebt, bewirtschaftet die Burgergemeinde ihre Eigentümer Boden und Wald, um unter dem Strich Profit aus ihnen zu erzielen. Diesen Profit schüttet sie an Projekte aus, die der Allgemeinheit dienen – Kultur, Museen, soziale Projekte, Wissenschaft.
Zum Abschluss ihrer 11-teiligen Serie präsentiert die «Hauptstadt» vier Vorschläge, wie die Burgergemeinde das «Wohl der Allgemeinheit» auch noch bedienen könnte – ein bisschen anders, als sie es bisher tut. Die «Hauptstadt» stützt sich dabei auf die Erkenntnisse aus ihren Recherchen.
Denn wir sind der Meinung: Eine Institution, die für die Ewigkeit angelegt ist, sollte sich gelegentlich neu erfinden.
1. Back to the Roots: Nutzungsgemeinschaften
Die Burgergemeinde hat keine rein aristokratische Herkunft. Sie war nicht immer und nicht nur ein erlauchter Kreis von Patrizierfamilien, die über Berns Güter herrschten. Vielmehr ging es ursprünglich auch um mittelalterliche Allmendgenossenschaften – also darum, Boden gemeinsam zu besitzen und sinnvoll zu bewirtschaften.
Mit anderen Worten: Burger*innen, ihr wart zuerst auch ein Bauernkollektiv, nicht nur eine adlige Exklusivgesellschaft.
Im Grundgedanken solcher mittelalterlicher Nutzungsgemeinschaften steckt ein Potenzial für die Gegenwart. Die Burgergemeinde muss ihre Existenz ständig angestrengt legitimieren, weil sie ein vordemokratisches Image hat. Dabei wäre sie eine Organisation, die geeignet ist, schwierige Zukunftsfragen im Lokalen anzugehen.
Wie können wir angesichts der Klimakrise unsere lokalen, natürlichen Ressourcen sinnvoll gemeinsam nutzen? Wie übernehmen wir Verantwortung für unsere nächste Umgebung?
Solche Fragen beschäftigen die Menschen auch im urbanen Raum. Das zeigt etwa das wachsende Interesse an alternativen Versorgungsformen. Zum Beispiel die solidarische Landwirtschaft, wo Konsument*innen lokales Gemüse nicht bloss kaufen, sondern sich auch an dessen Produktion beteiligen.
Burgergemeinden und Korporationen sind in der Schweiz traditionelle Organisationsformen, die genau so funktionieren. Es sind Nutzungsgemeinschaften, häufig in ländlichen Gebieten, die sich um die gemeinsame Bewirtschaftung von Alpweiden, Wasserquellen oder Wald kümmern.
Das Wissen dafür ist da. Hier, vor Ort, in Bern.
Zwei Wissenschaftler an der Universität Bern beschäftigen sich intensiv mit gemeinschaftlichen Organisationen wie Burgergemeinden, Alpkorporationen und Allmendgenossenschaften. Man nennt sie auch Commons. Es wird international wissenschaftlich diskutiert, wie sie zu einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen beitragen können. Der Historiker Martin Stuber und der Sozialanthropologe Tobias Haller erforschen das gesellschaftliche Potenzial von Commons, und zwar mit weitem Horizont: Haller untersuchte im afrikanischen Sambia kleinräumige Regelwerke der kollektiven Ressourcenbewirtschaftung. Etwa von Weiden, Wild und Fisch im Kommunaleigentum, wie es im globalen Süden weit verbreitet war.
Eine solche Rolle könnte in Bern die Burgergemeinde wieder stärker übernehmen, sind sie der Meinung. Sie könnte zum Beispiel als Waldeigentümerin kleine, ultralokale Nutzungsgemeinschaften bilden und verwalten.
Darin würden Menschen, die in der unmittelbaren Umgebung leben, ein bestimmtes Waldstück nicht nur nutzen, sondern mit eigener Tatkraft direkt Verantwortung für die Bewirtschaftung übernehmen. Indem sie selber im Wald arbeiten, etwa an gewissen Tagen im Jahr Neophyten bekämpfen, würden sich die Nutzer*innen das Recht verschaffen, über ihr gemeinsames Waldstück mitzubestimmen. Das hätte einen sozialen Nutzen. Und könnte auch das Verantwortungsgefühl für die lokalen natürlichen Ressourcen steigern. Im Sinne von: Wir schauen gemeinsam zu unserem Wald.
Hier könnte die Burgergemeinde durch ihre Struktur einen Vorteil gegenüber dem Staat nutzen. Sie kann lokaler wirken und ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl begründen.
Übrigens: Die beiden Wissenschaftler befassen sich an der Universität Bern seit Jahren mit dem Thema Commons. Die US-Amerikanerin Ellinor Ostrom hat damit sogar den Wirtschafts-Nobelpreis gewonnen. Martin Stuber und Tobias Haller haben ein Buch über die Commons in der Schweiz mitverfasst.
Ihre Forschungsergebnisse könnten zu weiteren Diskussionen in der Burgergemeinde Bern anregen. Stuber und Haller stehen gerne zur Verfügung, ihr Wissen weiterzugeben.
Die Burgergemeinde, finden sie, könnte ein interessantes Labor sein, der Stadt-Land-Polarität etwas entgegenzusetzen.
Das «Wohl der Allgemeinheit» wäre bei einer solchen Kollektivnutzung anders gedacht als es die Burgergemeinde heute tut: Man würde die Güter bis zu einem gewissen Grad der Marktlogik entziehen. Nicht nur der Profit, der aus den Gütern gewonnen und ausgeschüttet wird, dient dem Allgemeinwohl. Sondern bereits die Bewirtschaftung der Güter, in diesem Fall des Waldes, müssen der Allgemeinheit zugutekommen. Hinzu käme ein grösseres Verantwortungsgefühl der Nutzer*innen.
2. Wertvoller Boden: Bezahlbarer Wohnraum
Nicht nur beim Wald, sondern auch beim Boden- und Immobilieneigentum der Burgergemeinde könnte das «Wohl der Allgemeinheit» entsprechend den Herausforderungen unserer Zeit und dem Commons-Gedanken neu ausgelegt werden.
Bezahlbarer Wohnraum in Städten, auch in Bern, wird immer rarer.
Hier hätte es die Burgergemeinde als Immobilien-Eigentümerin in der Hand, zu Lösungen beizutragen: Warum nicht einen Teil des Ertrags, der ohnehin der Allgemeinheit zugutekommen muss, gleich bei den Mieten selbst investieren? Oder preisgünstigen Wohnungsbau bei der Vergabe von Baurechten spezifisch fördern (wie vereinzelt schon gemacht)?
Mit einem Fokus auf günstigen Wohnraum würde die Burgergemeinde ein weiteres, dringliches Problem im Rahmen ihres Auftrags und ihrer Möglichkeiten angehen.
3. Auf die Ewigkeit: Vollgas fürs Klima
Die Recherchen der «Hauptstadt» zeigen: Die Burgergemeinde hat beim Klima- und Umweltschutz viel Luft nach oben. Sie investiert zwar in kulturelle und wissenschaftliche Projekte, die sich mit dem Thema befassen. Aktuell läuft zum Beispiel eine Sonderausstellung zum Insektensterben im Naturhistorischen Museum.
Doch bei ihren eigenen Gütern räumt die Burgergemeinde dem Thema zu wenig Gewicht ein, sowohl im Wald als auch in der Liegenschaftsverwaltung. So hat sie beispielsweise auf keiner ihrer vielen Liegenschaften eine Solaranlage in Betrieb.
Die «Hauptstadt» stellt aber die Frage: Wenn man sich an der Ewigkeit orientiert – was, wenn nicht der Klimaschutz sollte Priorität haben?
In der Burgergemeinde sind die Entscheidungswege kurz und das Geld ist verfügbar. Im Vergleich zum Gemeinwesen können innovative Ideen schnell und unkompliziert umgesetzt werden. Parteipolitik steht Fachdiskussionen nicht im Weg.
Diese Freiheit könnte auch zum Entscheid führen: Vollgas für den Klimaschutz.
Photovoltaik-Panels auf jedes Dach der burgerlichen Liegenschaften. Beim Burgerwald auf einen Ertrag verzichten und diesen dafür in eine Biodiversitäts-Allmende wandeln. Ein Teil des Burger-Vermögens würde so zum Klima-Fonds für die Berner Stadtbevölkerung.
Mit solchen Ideen müsste die Burgergemeinde eigentlich in ihren eigenen rot-grünen Reihen offene Türen einrennen. Genauso in der rot-grün regierten Stadt Bern.
4. Mehr ist mehr: Ab in die Burgergemeinde
Immer wieder muss sich die Burgergemeinde dem Vorwurf stellen, sie sei ein exklusiver Club und damit undemokratisch. Trotzdem konnte ein Zusammenschluss mit der Einwohnergemeinde bis jetzt noch nie politische Mehrheiten erreichen.
Der Zugang zur Burgergemeinde ist gegenwärtig ein langwieriges und unter Umständen teures Unterfangen. Aktives Werben um neue Mitglieder ist der Burgergemeinde fremd.
Aus demokratischer Sicht macht das wenig Sinn. Je mehr Mitglieder, je offener die Burgergemeinde, umso besser wäre ihre Legitimation.
Die «Hauptstadt» schlägt zwei Schritte in diese Richtung vor.
Der erste richtet sich an die Burgergemeinde: Sie senkt ihre Hürden für die Aufnahme neuer Mitglieder.
Der zweite richtet sich an stimmberechtigte Berner Nicht-Burger*innen: Möglichst viele Stadtbewohner*innen stellen ein Gesuch um Aufnahme in die Burgergemeinde Bern.
Warum eigentlich nicht?
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Die Artikelserie zur Burgergemeinde wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.