Warum sind die Stadtberner Freibäder kostenfrei?
Frag die «Hauptstadt», Folge 2 – Die erste Hitzewelle des Sommers hat Bern erfasst. Alles strömt in Richtung Freibäder, auch weil diese gratis sind. Doch warum eigentlich? Bei der Beantwortung lernen wir mehr über Volksgesundheit, Naturbäder und die Berner Seele.
Frage von Leser Reto:
«Warum ist die Nutzung der Stadtberner Freibäder kostenlos?»
Antwort von der «Hauptstadt»:
Eine Bemerkung vorab: Ich lebe seit acht Jahren in der Schweiz und mir ist hin und wieder eine gewisse Skepsis, ja sogar Misstrauen gegenüber Dingen und Dienstleistungen aufgefallen, die gratis zu bekommen sind. Kann etwas, das gratis ist, wirklich gut sein?
Ganz anders hingegen bei den Stadtberner Freibädern: Als ich Menschen in meinem ersten Berner Sommer nach ihnen fragte, wurde mir mit stolzer Ehrfurcht gesagt, sie seien kostenfrei zu besuchen.
Aber warum ist das so? Genau diese Frage treibt unseren Leser um – ob sie bei einem Marzili-Schwumm entstanden ist, wissen wir nicht.
Was wir wissen: Um die Stadtberner Freibäder kümmert sich das Sportamt. Dort nachgefragt heisst es: Wir kennen die historischen Gründe für den freien Eintritt nicht.
Ergiebiger ist dagegen ein Blick in die Geschichte des Marzilibads. Die Stadt schreibt, dass die frühen Badeanstalten entlang der Aare oft privat und kostenpflichtig waren. Erst nach und nach habe die Stadt Parzellen entlang der Aare-Insel aufgekauft und dem öffentlichen Baden so zum Durchbruch verholfen. Zumindest galt das Angebot für Männer, denn der erste öffentliche Frauenbadeplatz entstand erst 1866.
Wir halten also fest: Die Stadt hat sich schon früh bemüht, öffentlich zugängliche Badeanstalten zu schaffen.
Über die genaueren Beweggründe erfahren wir mehr beim Berner Stadtarchiv: Das Baden in den Freibädern der Stadt, die ursprünglich Naturbäder waren, war von Beginn an kostenlos.
Das sei «aus überwiegend traditionellen und politisch-emotionalen Gründen – auch mit Rücksicht auf die Bedeutung der Bäder für die Volksgesundheit» geschehen, heisst es auf Anfrage. Das Archiv zitiert dabei aus einem Grundsatzpapier von 1992. Es handelte sich um einen Vortrag des Gemeinderats an den Stadtrat.
Ein Blick in das Dokument aus den 1990er Jahren verrät, dass das Berner Gratis-Badi-Konzept besonders in Zeiten leerer Stadtkassen einen schweren Stand hatte. In den 70er-Jahren diskutierte das Stadtparlament bereits, einen Eintritt zu erheben. Auch Anfang und Ende der 1990er-Jahre kam das Thema wieder zur Sprache.
Doch warum blieben die Stadtberner Freibäder kostenfrei, wo doch schon damals in anderen Schweizer Grossstädten die Menschen zur Kasse gebeten wurden?
Der erwähnte Grundsatzentscheid von vor 30 Jahren zeigt: Um überhaupt Gebühren erheben zu können, hätten Drehkreuze gebaut und zusätzliches Personal angestellt werden müssen. Den erwarteten Mehreinnahmen durch Eintritte hätten Anfangsinvestitionen und wiederkehrenden Kosten gegenübergestanden.
Im Fall des Marzilibads zeigen sich noch andere Schwierigkeiten: Schon in den 90er Jahren strömten in der Hochsaison über 3000 Menschen innert 20 Minuten ins Bad. An den neu installierten Drehkreuzen hätten sich Schlangen gebildet. Ausserdem führt an der Aare entlang ein öffentlicher Fussweg ins Bad. Und vielleicht der wichtigste Punkt: Flussschwimmende erreichen das Marzili leicht, und beim Ausstieg von tropfenden Menschen Geld einzutreiben – na ja…
Es geht aber nicht nur um solche technischen Erwägungen. Gratis-Badi oder nicht, das ist ein Entscheid, der tief die Berner Seele berührt. Der Gemeinderat schreibt: Der Gratiseintritt sei eine «hochgeschätzte Tradition», die für viele Menschen zum Heimat- und Lebensgefühl beitrage. Nur aus grosser Not könne auf dieses Privileg verzichtet werden.
Und die (finanzielle) Not war offenkundig noch nie gross genug, dass die Stadt sich für den Freibad-Eintritt entschied. Auch jetzt nicht.
Zu guter Letzt sollte nicht vergessen werden, dass die Stadtberner*innen verhältnissmässig mehr Steuern zahlen müssen als die Bewohner*innen der umliegenden Berner Gemeinden. Die Gratis-Badi ist also ein Stück weit durch Steuern querfinanziert. In Köniz müssen die Bewohnerinnen acht Franken für den Freibad-Eintritt zahlen, in Muri fünf. In Ostermundigen kostet der Eintritt für Erwachsene 5 Franken 50.
Im Tram, auf dem Weg ins Marzili oder am Wochenmärit – plötzlich taucht eine Frage auf und lässt einen nicht mehr los. Das Online-Magazin Hauptstadt hat deshalb ein Audioformat geschaffen, bei dem die Leser*innen ihre Fragen in eine Sprachnachricht verpacken und an die Redaktion schicken können.
Frag auch du die «Hauptstadt», jetzt hast du die Gelegenheit und schick uns dein Audiofile über WhatsApp oder Signal an: 078 205 46 89