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«Wir haben erst gerade angefangen!»

Seit April 2024 thematisiert das Historische Museum in einer Ausstellung den Umgang mit Rassismus. Und wendet dabei ein spezielles Vermittlungskonzept an. Eine Standortbestimmung.

Ausstellung «Widerstände» am 20. April 2024 im Bernischen Historischen Museum in Bern.
Photo: Stefan Wermuth/Bernisches Historisches Museum
Der Job von Djamila Peter: Rassismus besprechbar machen am Beispiel des Wandbilds. (Bild: Stefan Wermuth/zvg)

Ungewöhnlich viele junge Menschen besuchen das Historische Museum derzeit. In Schulklassen, aber auch in privaten Gruppen. Viele davon sind selbst BIPoCs (Black, Indigenous and People of Colour). Die Ausstellung «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern» setzt vor allem auf Menschen statt Technik - und hat damit Erfolg.

In der Ausstellung werden die öffentliche Diskussion um das Wandbild aus dem Schulhaus im Wylergut und auch das Wandbild selbst gezeigt. Während die aufwändige und kostenintensive Erarbeitung der Ausstellung durch den Verein «Das Wandbild muss weg!» Anlass einer intensiven öffentlichen Diskussion war, haben sich die Wellen nun geglättet.

Wie die «Hauptstadt» bereits im April aufzeigte, ist eine durchdachte, vielstimmige Ausstellung entstanden, die Besucher*innen aktiv in eine Diskussion einbezieht. Erstmals ist immer eine Vermittlungsperson im Ausstellungsraum anwesend: Sie geht auf Besucher*innen zu, führt sie durch die Ausstellung und unterhält sich mit ihnen über die Inhalte. Diese Vermittler*innen sind es auch, die Workshops für Schulklassen durchführen oder Erwachsenengruppen durch die Ausstellung begleiten.

Events und Schulklassen

Das Thema der Ausstellung stosse beim Publikum auf grosses Interesse, sagt Aline Minder, Leiterin des Fachbereichs Programm. Sie nennt dafür zwei Beispiele: Events mit wechselnden Gästen aus Tanz, Musik, Wissenschaft und Bildung lockten durchschnittlich mehr als 50 Personen ins Museum. Das zeige, dass der mit der Ausstellung eingeschlagene Weg, Autor*innenschaft zu teilen und dadurch ein multiples Publikum anzusprechen, gut funktioniere. Zusätzlich zum Stammpublikum des Museums – eher älter und kulturaffin – falle besonders in dieser Ausstellung deutlich das junge Alter der Besucher*innen auf. Und im Vergleich zu anderen Ausstellungen würden mehr BIPoC die Ausstellung «Widerstände» besuchen. Also Menschen, die potentiell selbst Rassismuserfahrungen machen.

Medienkonferenz im Bernisch Historischen Museum anlässlich der Ausstellung «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern» fotografiert am Mittwoch, 24. April 2024 in Bern. (Hauptstadt / Jana Leu)
«In den Schulen nimmt die Sensibilisierung für Rassismus zu», sagt Aline Minder. (Bild: Jana Leu)

Als zweites Beispiel nennt Minder das grosse Interesse von Lehrpersonen. Viele besuchen die Ausstellung mit ihren Schulklassen. Das sei ein gutes Zeichen, denn es zeige, dass es in Schulen eine wachsende Sensibilisierung für Rassismus gebe. Minder sieht im Andrang auch ein Signal für eine Überforderung. Die Lehrpersonen bräuchten Hilfe, weil sie sich im Schulalltag mit rassistischen Vorfällen konfrontiert sehen. Da gebe es Handlungsbedarf.

Die Lehrpläne seien bei diesem Thema oft noch nicht aktuell, so Minder. «Viele Lehrmittel enthalten immer noch kolonial-rassistische Weltbilder und viele Lehrpersonen beschäftigten sich – wie viele von uns – noch nicht lange mit ihren internalisierten Rassismen.»

Im Vergleich zu den ersten Monaten der Ausstellung hätten die kritischen Stimmen, die sich vor allem auf den Aspekt der Entfernung des Wandbilds aus dem Schulhaus bezogen, aber deutlich abgenommen, findet Minder.

Im Gespräch mit dem Publikum

Den Eindruck bestätigt Djamila Peter. Sie ist Vermittlerin in der Ausstellung, studiert angewandte Sprachwissenschaft und war an der Erarbeitung von Zeitzeug*innen-Interviews für die Ausstellung beteiligt. Sie wohnt im Wylergut Quartier, wo auch ihre Tochter zur Schule geht. Daher kannte sie das Wandbild schon vor ihrem Stellenantritt im Museum, weil sie es im Schulhaus sah. Sie weiss viel zu erzählen über die Stimmung im Quartier und in der Ausstellung.

Leuten, die mit der Verschiebung des Wandbilds ins Museum nicht einverstanden gewesen sind, erzählt Djamila Peter, welche Gefühle der Anblick des Wandbildes im Schulhaus bei Betroffenen ausgelöst habe. Weil Djamila Peter selbst auch schon rassistische Diskriminierung erlebt hat, weiss sie, wovon sie spricht. «Das Wandbild im Schulhaus zu sehen, fühlte sich komisch an. Aber ich dachte mir: Es hängt ja dort, also kann es wohl nicht so schlimm sein. Ich bin wohl ein bisschen empfindlich.» Djamila Peter betont, dass es nicht um ein «Richtig» oder «Falsch» gehe, sondern um das Entwickeln von gegenseitigem Mitgefühl. «Wenn ich weiss, was den anderen verletzt, führt das zu Verständnis», so die Vermittlerin.

Ausstellung «Widerstände» am 20. April 2024 im Bernischen Historischen Museum in Bern.
Photo: Stefan Wermuth/Bernisches Historisches Museum
Die Vermittler*innen: Aina Rea Aliotta, Nimal Bourloud, Vera Lou Mauerhofer, Djamila Peter. (Bild: Stefan Wermuth/zvg)

Manchmal redet sie bis zu einer halben Stunde mit Besucher*innen. Die Arbeit empfindet sie als bereichernd. Es sei eine transformative Sache, Besuchenden Wörter oder Informationen mit auf den Weg geben zu können. Insbesondere bei Kindern, die selber Rassismuserfahrungen machen, und diese damit dann besser in Worte fassen können.

Wenn sie mit Klassen arbeitet, fragt Djamila Peter die Schüler*innen jeweils am Schluss, was sie aus dem Besuch der Ausstellung mitnehmen. Die Antworten erstaunen sie manchmal. So etwa, wenn den Kindern erst dort klar wird, was das N-Wort bedeutet. Oder warum es diskriminierend ist, als hier geborene Person immer gefragt zu werden, woher man denn wirklich komme.

Menschen statt Multimedia

Diese Erkenntnisse sind wichtig. «Wir wollen uns darauf fokussieren, dass die Leute, die kommen, auch etwas mitnehmen und das vielleicht sogar noch mit jemandem teilen», sagt Aline Minder. Die Menschen zu befähigen, miteinander ins Gespräch zu kommen, um als Gesellschaft gegen Rassismus anzugehen, ist ein zentrales Anliegen. Ein Werkzeug dafür ist das von Jovita dos Santos Pinto und Emanuel Haab erstellte Glossar. Dieses versammelt, erklärt und definiert Begriffe, um so eine inklusive Gesprächskultur zu fördern, die ohne die Reproduktion von verletzender Sprache auskommt.

Daran knüpfe das Konzept der im Raum anwesenden Vermittler*innen an, erzählt Minder. Dieses sei zwar ressourcenintensiv und durch den tiefgehenden Austausch mit dem Publikum emotional anspruchsvoll. Minder sieht darin aber grosses Zukunftspotential für Museen.

Vor einigen Jahren sei in der Museumsentwicklung der Umstieg auf digitale Mittel stark thematisiert worden. Minder ist allerdings überzeugt, dass Museen künftig mehr auf Menschen setzen werden. «Wir bewegen uns im Alltag stark im digitalen Raum, so dass wir beim Besuch einer Ausstellung froh sind, wenn da ein Mensch ist, der mit uns redet und uns etwas zeigt», sagt sie.

«Trend-Jahr Kolonialismus-Ausstellungen»

Mit der Widerstände-Ausstellung und dem speziellen Vermittlungskonzept hat das Bernische Historische Museum eine aussergewöhnliche Ausstellung konzipiert. Im Jahr 2024 ist es aber nicht die einzige Ausstellung in der Schweiz zu Themen wie Kolonialismus und Rassismus. Ende Oktober öffnete das Alpine Museum in Bern eine Ausstellung, die Grönland als ehemalige Kolonie Dänemarks in den Blick nimmt. Und über Berns Grenzen hinweg öffneten 2024 mehrere andere Ausstellungen zu diesen Themen. So im Museum Rietberg (Zürich), im Landesmuseum (Zürich), im Musée d'ethnographie de Genève (Genf) oder im Kunsthaus Basel.

Medienkonferenz im Bernisch Historischen Museum anlässlich der Ausstellung «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern» fotografiert am Mittwoch, 24. April 2024 in Bern. (Hauptstadt / Jana Leu)
2024 finden viele Ausstellungen zu Rassismus und Kolonialismus statt. Bern machte den Anfang. (Bild: Jana Leu)

«2024 ist das Trend-Jahr der Kolonialismus-Ausstellungen», sagt Aline Minder. Vor 2020, also vor Black Lives Matter, wäre eine derartige thematische Fokussierung in der Schweiz aber undenkbar gewesen, findet sie. Denn die Schweiz habe sich lange über ihre Nichtbeteiligung am Kolonialismus definiert.

Dass diese Themen in den Museen erst allmählich ankommen, hängt auch damit zusammen, dass sie in der Forschung erst vor wenigen Jahren breit aufgegriffen wurden. 2012 erschien im deutschsprachigen Raum das erste grosse Werk zum Schweizer Kolonial-Kontext: «Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien» von einer Gruppe Schweizer Wissenschaftler*innen. Unter ihnen der Historiker Bernhard C. Schär, Mitglied des kuratierenden Vereins «Das Wandbild muss weg!».

Blick nach innen und nach vorne

In Form von Forschungsprojekten und neuen Vermittlungsangeboten setzt sich das Museum auch intern mit den Themen der Widerstände-Ausstellung auseinander. Denn es besitzt ethnografische Sammlungen mit Objekten von verschiedenen Orten und aus verschiedenen Zeiten. Solche Sammlungen und Ausstellungen werden weltweit und auch in der Schweiz stark infrage gestellt. Fragen der Rechtmässigkeit des Besitzes von Ausstellungsobjekten, allfälligen Rückgaben, die Angemessenheit der Beschriftungen oder auch die Sprache über «Andere» generell stehen dabei im Fokus.

Medienkonferenz im Bernisch Historischen Museum anlässlich der Ausstellung «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern» fotografiert am Mittwoch, 24. April 2024 in Bern. (Hauptstadt / Jana Leu)
Führte die «Hauptstadt» im April durch die Ausstellung: Bernhard C. Schär, Vereinsmitglied «Das Wandbild muss weg!». (Bild: Jana Leu)

Das Historische Museum hat 2021 als Reaktion darauf mit dem «BHM LAB» ein Labor entwickelt, das sich mit diesen Themen beschäftigt. Die Widerstände-Ausstellung wurde im Rahmen dieses Labors konzipiert. Das «LAB» treibt aber auch den Blick nach innen voran. So zum Beispiel die Änderung von Beschriftungen. Das «I.-Wort», für das der Buchstabe «I» auf dem Wylergut-Wandbild stand, verwendet das Museum in seiner Arbeit nicht mehr, da es eine Fremdbezeichnung ist.

Ein nächstes grosses Projekt steht für 2025 an. Da wird das «BHM LAB» die ethnografischen Sammlungen aus (sub-)polaren Regionen in den Blick nehmen, um einen zeitgemässen Umgang damit zu finden. Es tut dies nicht alleine, sondern gemeinsam mit Vertreter*innen von Nachkommensgemeinschaften aus Grönland und Chile sowie mit dem Alpinen Museum. Auch aktuell arbeiten die beiden Museumsquartier-Partner zusammen: Ein gemeinsamer Rundgang durch die Grönlandausstellung im Alpinen Museum thematisiert ethische Fragen rund um Repräsentation. Für Minder ist klar: «Diese Themen kommen hier nicht so schnell weg. Wir haben erst gerade angefangen!»

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Diskussion

Unsere Etikette
Ruedi Vögeli
22. Dezember 2024 um 12:44

Gut, dass sich die Disskusionen über das Wandbild nicht erübrigt haben, denn sie sind genau das, was wir (endlich) brauchen.

Hans Joss
20. Dezember 2024 um 20:33

Fakt: die städtische Verwaltung verhinderte eine Aktualisierung des Wandbildes, was viele unnötige Diskussionen erübrigt hätte, vor allem die massiven Störungen des Schulbetriebs unterbunden hätte. Ein Sachverhalt, über den die Bevölkerung informiert werden muss. Im Sinne von verwaltungsinterner Transparenz. Es sind eine ganze Reihe von weiteren Unregelmässigkeiten vorgekommen, zum Beispiel das Verbot für den Sicherheitsdirektor Reto Nause, die Vandalen ausfindig zu machen, welche drei Tafeln verschmiert hatten. Ein äusserst unerfreuiliches Projekt, "Das Wandbild muss weg" , das zwingend aufgearbeitet werden

muss. Vom gesamten Gemeinderat.

Hans Joss
20. Dezember 2024 um 20:33

So verhinderte er gleichzeitig, dass das Wandalphabet noch heute im Schulhaus hängt. Mit einer Aktualisierung der Tafeln wäre niemand auf die Idee gekommen, das Wandbild als rassistisch zu bezeichnen. Das weiss auch Djamila Peter nicht. Dieser Sachverhalt wird systematisch unterschlagen, bis heute in keinem einzigen Bericht zum Wandbild erwähnt. Und das ist die eigentliche Irreführung der Öffentlichkeit, die annähernd eine Million Franken ausgegeben hat für den Abriss das Wandalphabets. Obschon eine weit günstigere Variante möglich gewesen wäre. Sämtliche Diskussionen über Rassismus hätten sich erübrigt. Innerhalb von drei Jahren wechselte die Denkmalpflege ihre Haltung und gab grünes Licht für die Zerstörung des Wandbides. Wobei niemand von der Denkmalpflege die Frage beantwortet, wie es zu diesem Gesinnungswandel gekommen ist.

Hans Joss
20. Dezember 2024 um 20:32

Was leider immer wieder verschwiegen wird: die Schule Wylergut hat immer wieder die Denkmalpflege der Stadt Bern gebeten, die drei Tafeln mit der schwarzen Person, dem Indianer und dem Chinesen zu ersetzen. Lange bevor das Thema Rassismus bekannt war. Leider wurden die Gesuche regelmässig abgelehnt von der Denkmalpflege. Die Schule hat dann den Buchstaben N durch das Bild eines Nilpferdes ersetzt. Leider wurde das Bild immer wieder heruntergerissen, da es nicht fix montiert werden konnte. Und hier liegt der entscheidende Punkt: der Gemeinderat verhinderte eine zeitgemässe, kostengünstige Aktualisierung des Wandalphabets. Immer mit dem Hinweis, es handle sich um ein denkmalgeschütztes Wandbild, das als erhaltenswert gelte.