Allez – Hauptstadt-Brief #468
Samstag, 24. Mai 2025 – die Themen: Zweisprachigkeit; Mode im Theater; autofreie Altstadt; Zukunftsangst; Frauen-EM; Fall Momeni; Fotokolumne und Handball.
«Cha ke Französisch, aber Marseille ufem Trikot», rappt der Berner Künstler Jule X. Damit bist du nicht allein, möchte man dem Shootingstar entgegnen.
Ein in dieser Woche veröffentlichter Bericht im Auftrag der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektor*innen (EDK) zeigt: Nach der obligatorischen Schulzeit haben in der Deutschschweiz nur rund die Hälfte der Schüler*innen die nötigen Grundkompetenzen, um einen französischen Text lesen und verstehen zu können. Beim Hörverstehen sieht es nur geringfügig besser aus.
Der deutschsprachige Teil des Kantons Bern schneidet zwar in beiden Bereichen leicht besser ab als andere rein deutschsprachige Kantone. Doch das ist ein geringer Trost: Auch Bern, das sich in vielen Teilen so eng an die Romandie schmiegt und mit Biel sogar eine bilingue Vorzeigestadt hat, weist grosse Defizite auf.
Das dürfte der Diskussion über die Rolle des Französischen zusätzlichen Auftrieb geben – der Rauch nach dem angekündigten Ende der Classes bilingues in der Stadt Bern hat sich noch nicht verzogen. Das Nachbeben dazu ist bis nach Genf zu spüren, wo man mit dem Clabi-Aus gar den nationalen Zusammenhalt gefährdet sieht.
Stadt und Kanton sollten dieses Momentum jetzt nutzen, um sich grundsätzlich über die Förderung des Französischen zu verständigen. Wann ist der ideale Zeitpunkt, die Sprache zu lernen, Stichwort Frühfranzösisch? Wie kann man im regulären Schulbetrieb das Französische hör- und sichtbarer machen? Ebenfalls müsste zur Sprache kommen, welche Rolle bilinguale Schulversuche in Zukunft spielen sollen. Regierungspräsidentin Evi Allemann (SP) sendet in dieser Hinsicht im Interview mit meinem Kollegen Joël Widmerein klares Signal: Der Kanton sei offen für mehr Klassen und mehr Gemeinden, die sich mit Schulversuchen beteiligen, sagt sie.
Bern beruft sich gerne auf seine Brückenfunktion. Gelingt es hier, das Französische wieder stärker zu verankern, könnte das auch auf den Rest der Deutschschweiz ausstrahlen. Wir müssen dafür das Rad nicht neu erfinden, brauchen vielleicht weniger «Tables rondes» als gedacht. Kleine französische Bijoux gibt es schon im Bärndütsch zu entdecken. Denn auch wenn Jule X anscheinend des Französischen nicht mächtig ist, rappt er bravourös «wine père». Darauf kann man aufbauen, finde ich. Allez!
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- Theater: Kleider machen Leute – und was sagt die schnelllebige Welt der Mode über uns aus? Mit dieser Frage setzt sich das Stück «#lookoftheday» bei Bühnen Bern auseinander. Meine Kollegin Marina Bolzli hat es sich mit ihrer Teenager-Tochter angeschaut. Zu welchem Urteil sie in Anbetracht von Informationsflut und Handy-Ästhetik kommt, kannst du hier nachlesen.
- Stadtrat: Soll die Altstadt autofrei werden? Diese Frage kam am Donnerstag im Stadtrat aufs Tapet. Wieder einmal. Eine Mehrheit wünscht sich zwar eine autofreie Altstadt, doch diese ist nicht absehbar. Aufgrund zahlreicher parallel laufender Projekte und hängiger Beschwerden seien nur «schrittweise Verbesserungen», sagte der zuständige Gemeinderat Matthias Aebischer. Mit was sich das Parlament sonst noch beschäftigte, liest du im Stadtrat-Brief meiner Kollegin Jana Schmid.
- Hauptsachen-Talk: Stimuluskontrolle? Noch nie gehört? Dann geht es dir wie mir. Ich habe erst beim Hauptsachen-Talk in dieser Woche davon erfahren. Psychotherapeutin Dorothee Schmid erläuterte es auf der Bühne des Progr so: Man entscheidet sich bewusst, womit man sich jetzt gerade auseinandersetzt und womit nicht. Man weicht also Reizen aus, die problematische Empfindungen befeuern. Dabei kann es ihr passieren, dass sie bei der TV-Sendung «Der Bergdoktor» hängenbleibt. Welche Strategien im Umgang mit Zukunftsängsten auf dem Podium sonst zur Sprache kamen, kannst du hier im Podcast nachhören.
- Frauen-EM: Ab Ende Mai gestalten Künstlerinnen, unter anderem der Hochschule der Künste Bern, gemeinsam mit Fussballerinnen und interessierten jungen Frauen verschiedene Fuss- und Velowege mit bunten Malereien. Die sogenannten Street Murals entstehen laut der Stadt auf dem Rad-Wahn beim Zentrum Paul Klee, auf dem Viktoriaplatz sowie der Lorrainebrücke, der Enge-/Neubrückstrasse, der Waldmannstrasse und der Aarstrasse.
- Asyl: Die Unterstützer*innen der iranischen Familie Momeni aus Mittelhäusern, die für deren Bleiberecht in der Schweiz kämpfen, sind schwer enttäuscht vom Kanton Bern, wie sie schreiben. Die Familie, deren Asylgesuch rechtsgültig abgewiesen worden war, ist Anfang Mai ins kantonale Rückkehrzentrum Aarwangen umquartiert worden. Die Unterkunft sei «trist und schimmelbefallen», der Gesundheitszustand der Familie verschlechtere sich, schreiben die Unterstützer*innen. Private waren bereit, in Mittelhäusern Wohnraum und Lebensunterhalt für Momenis zur Verfügung zu stellen. Trotzdem lehnte der Kanton nun ein Gesuch für Privatunterbringung – auf diese Möglichkeit hatte Regierungsrat Philippe Müller im Artikel der «Hauptstadt» selber aufmerksam gemacht – «aus formalen Gründen» ab. Am Freitag übergaben die Unterstützer*innen der Gemeinde Köniz und dem kantonalen Migrationsamt eine Petition mit 5000 Unterschriften zu Gunsten der Momenis.
- Fotokolumne: Auch wenn Wankdorf City nicht zu meinen Berner Lieblingsorten zählt, kann ich der Fotoserie Thomas Kaspars sehr viel abgewinnen. Der Fotograf hat sich dort von Licht und Schatten und den strengen Formen der Neubauten inspirieren lassen. Herausgekommen ist ein Stadtporträt, das seinesgleichen sucht: Ästhetisch viel näher an Manhattan als am Monbijou. Hier kannst du dir einen Eindruck verschaffen.
- Handball: Der BSV Bern reist morgen zum dritten Spiel der Playoff-Finalserie nach Schaffhausen. Die Berner müssen siegen, sonst ist ihr Gegner Schweizer Meister.
PS: Im Januar sind die Pächter*innen des Elfenauhofs gestartet, nun laden sie erstmals zum Tag der offenen Tür. Los geht es heute am Elfenauweg 110 um 12 Uhr. Hofführungen finden zur vollen Stunde statt. Um eine Anreise mit dem ÖV wird gebeten.