Mehr Mut für die Berner Gastro-Szene
Populärer Ort der Begegnung und Gaumenfreude sein, aber auch attraktiver Arbeitgeber – für die Gastrobranche ein grosser Spagat. Die Gäst*innen des Hauptsachen-Talks im Progr sprachen sich auch Mut zu.
Eve Angst, seit einem Jahr Betreiberin der Turnhalle und Mitglied der Geschäftsleitung des Progr, brach eine Lanze für ihre Branche: «Die Gastronomie hat einen Zauber, versprüht Flair und Lebendigkeit.» Sie liess für einen Moment vergessen, wie schwer die Herausforderungen drücken: Fachkräftemangel, sinkender Alkoholkonsum und ein schwer berechenbares Gästeverhalten.
Was macht der Berner Gastroszene zu schaffen? Und was sind ihre Hoffnungen? Um diese Fragen kreiste die von den «Hauptstadt»-Journalistinnen Marina Bolzli und Andrea von Däniken geleitete Podiumsdiskussion. Etwa 70 Personen verfolgten die Debatte in der Turnhalle des Progr am Donnerstagabend live. Für alle, die nicht dabei sein konnten – zum Beispiel das Gastropersonal, welches um diese Zeit arbeitete – stellt die «Hauptstadt» den Talk hier als Podcast (Produktion: Jonas Fasching) zur Verfügung.
Turnhallen-Wirtin Eve Angst brachte auf dem Podium Lösungsvorschläge ein: «Wir müssen durchlässiger werden in der Gastronomieszene», sagte sie. Das fange beim Austausch und der Vermittlung von Personal an und höre in der gemeinsamen Kommunikation und Werbung auf.
Dieser Vorschlag ging auch an die Adresse von Tobias Burkhalter. Er ist Präsident von Gastrobern und kennt als Inhaber mehrerer Restaurants die Szene bestens.
Zwar helfe man sich heute schon mehr untereinander als zu seinen Anfangszeiten in der Branche. Doch dabei dürfe es nicht bleiben: «Wir brauchen mehr Mut», stellte Burkhalter fest: «Gastrobetriebe sollen heute hinstehen und genau sagen, was sie bieten.»
Einer, der diesem Credo schon zu folgen scheint, ist Julian Sonderegger, der seit sieben Jahren das Popup Trybhouz beim Altenbergsteg betreibt. Grundsätzlich eher ein Freund der leisen Töne, erklärte er überzeugend, wie er seine Nische gefunden hat: Mit regionalen Speisen in Bio-Qualität und Getränken von lokalen Produzenten. Doch dies habe seinen Preis: «Ein Halloumi-Burger mit Brot vom lokalen Bäcker und selbstgemachter Sauce kostet bei uns rund 15 Franken», so Sonderegger.
Er wisse, dass sich dies nicht jeder leisten könne. Gleichzeitig kenne das Pop-Up keinen Konsumzwang. Es komme auch immer wieder vor, dass Menschen mit mitgebrachten Speisen und Getränken anwesend seien.
Das Trybhouz öffnet nur jeweils während drei Monaten im Jahr, wenn die Temperaturen hoch und die Aare warm sind. In dieser Zeit muss das Aussenlokal genügend Umsatz erzielen, um Kosten zu decken, die ganzjährig anfallen. So zum Beispiel für das Lager oder die Miete an die Stadt.
Sinkender Konsum mit Folgen
Deutlich breiter aufgestellt als Sonderegger ist Stefan Ruprecht, Mitinhaber des Gastrounternehmens Taberna, zu dem unter anderem Dampfzentrale, Ringgi und Pyri gehören. Gerade in Letzterem werde immer noch viel getrunken, so Ruprecht. Er sprach damit den Elefanten im Raum an: den sinkenden Alkoholkonsum von Restaurantgästen.
Spätestens seit der Corona-Pandemie tränken die Leute weniger Alkohol, so Ruprecht. Das spüre man in den meisten Betrieben. Eve Angst relativiert: Im Kulturort Progr gebe es Abende, an denen viel getrunken wird, an anderen dagegen weniger. Doch auch sie stellt einen Unterschied zu ihrer Jugend fest: «Früher haben wir uns am Wochenende abgeschossen – da sind wir Donnerstag abgetaucht und Sonntag irgendwo wieder aufgetaucht.» Tempi passati, nicht nur bei ihr. Dabei sorgen die Einnahmen aus dem Alkoholverkauf dafür, dass ein Betrieb wirtschaftlich betrieben werden kann. Gerade für den Progr, der mit den Gastroeinnahmen die Kultur quersubventioniert, ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Laut Tobias Burkhalter von Gastrobern ist der Alkoholkonsum in den Städten grundsätzlich höher als auf dem Land. Aber er kennt auch städtische Betriebe, die Umsatzeinbussen von 30 bis 40 Prozent hinnehmen mussten, weil sie weniger Alkohol verkauften. Er gibt sich selbstkritisch: «Die Gesellschaft hat sich verändert. Und wir Wirte müssen unsere Hausaufgaben machen». Und doch gebe es immer noch viele Gastronom*innen, die einfach an ihrem Konzept festhielten.
«Was Jahre lang gut gelaufen ist, muss nicht unbedingt gut weiterlaufen», merkt auch Stefan Ruprecht an. Wobei ein volles Restaurant nicht zwangsläufig ein rentables sein müsse.
Wie viele Beizen braucht es?
Ruprecht kommt damit auf eine andere grosse Frage zu sprechen: Gibt es zu viele Restaurants in der Stadt, so dass gar nicht alle wirtschaftlich betrieben werden können?
Es gebe tatsächlich eher zu viele Beizen in Bern, findet Ruprecht. Er erklärt dies über die Einnahmenseite: Im Vergleich zu anderen europäischen Städten sei man bei der mittleren und gehobenen Gastronomie in Bern relativ günstig, so Ruprecht. Auch Burkhalter von Gastrobern sieht die Stadt «eher am unteren Rand» der Schweizer Preisskala.
Die Gastronomie biete hierzulande rund 250’000 Menschen ein Auskommen – im Branchenvergleich steht sie bei den Löhnen häufig nicht gut da.
«Es gibt Unternehmen, die Menschen ausbeuten», sagte Eve Angst. Andere Betriebe aber könnten wirklich nicht mehr Löhne zahlen. Dort bezögen auch die Geschäftsleiter*innen nur ein schmales Salär.
«Wir haben ganz sicher ein Problem mit dem Lohn», bestätigte Stefan Ruprecht. Während das Salär am Anfang der Laufbahn noch anständig zum Leben reiche, wachse es nach fünf bis sechs Jahren im Beruf nicht mehr. Ruprecht versucht gegenzusteuern, indem er Angestellten mit Kindern eine Zulage zahlt, wenn diese mehr als 18 Monate im Betrieb sind.
Tupperware statt Tradition
Vergleichsweise schmale Einnahmen und Druck beim Lohn: Tobias Burkhalter prognostiziert, dass sich in Bern weitere Restaurant-Gruppen bilden werden. So könne man günstiger bei Grosshändlern einkaufen und müsse weniger administrative Kosten schultern als kleinere Mitbewerber.
Was ansonsten noch helfen könnte: Gäste sollen den Restaurants wie früher auch am Mittag die Treue halten. «Ich beobachte, wie es selbst für Beamte salonfähig geworden ist, mit der Tupperware das Essen zu holen, um es dann irgendwo in der Stadt an der Sonne zu konsumieren». Das dürfe sich gerne wieder ändern.