Chäsi – «Hauptstadt»-Brief #327
Donnerstag, 6. Juni 2024 – die Themen: Talk; Asylwesen; Kehrsatzer Gastro; Bundesplatz; Gönner-Abo; Klimaurteil; Medienzugang.
An der vielbefahrenen Bernstrasse, die sich durch Kehrsatz schlängelt, befindet sich ein Haus mit blau-weissen Storen. Vorndran stehen drei grosse Milchkannen und ein Lieferwagen mit dem Namen «Rufener – Milchprodukte, Käse-Spezialitäten, Früchte, Gemüse, Weine, Mineralwasser». Neben der Ladentüre hängt ein Schild: «Wir gehen in Pension.»
Wieder ein Dorfladen, der den Grossverteilern und Discountern nicht standhalten mag, denke ich. Doch bei Rufeners ist es anders, als es auf den ersten Blick scheint.
Als ich den geschlossenen Laden besuche, schneidet Elisabeth Rufener gerade gut gelaunt 24 Kilo Käse. Eine Grossbestellung. Die Anfragen gehen ihnen nicht aus, sagt sie. Sie habe immer noch alle Hände voll zu tun.
Die Ladentüre ist offen. Immer wieder strecken Passant*innen ihre Köpfe rein. «Mir hei gschlosse», muss Elisabeth Rufener immer wieder rufen.
Elisabeth und Kurt Rufener haben über 30 Jahre lang in Kehrsatz ihren Milchladen betrieben, wie sie ihn nennen. Seit dem 18. Mai beliefern sie nur noch Gastrobetriebe – hauptsächlich in und um Bern.
Zugemacht haben die beiden den Laden nicht, weil er nicht rentiert hätte. Sondern: Sie sind (bald) im Pensionsalter und fanden keine Nachfolger*innen. Die einzige mögliche Nachfolgerin zog es vor, nach 20 Jahren im Verkauf, davon 13 Jahre bei Rufeners, ihre letzten Arbeitsjahre vor der Pension als Tramfahrerin zu verbringen.
Die Rufeners sind aber nicht frustriert, sondern sogar ein bisschen froh. «Meine Beine sind dankbar, wenn sie nicht mehr hinter der Theke stehen müssen», sagt Elisabeth Rufener. Den Laden zu schmeissen sei auch immer wieder ein Krampf gewesen.
Gleichzeitig sei es schade für die Kundschaft. Der Laden sei für die Dorfbewohner*innen ein Treffpunkt gewesen, wo man zusammen schwatzen und bestimmte Lebensmittel bestellen konnte. «Wenn wir etwas nicht hatten, haben wir es zu 90 Prozent der Fälle besorgt», sagt Kurt Rufener. Er kommt bei meinem Besuch extra aus dem Büro. Zum Beispiel hätten sie extra Mehl aus dem Emmental beschafft und aus dem Emmental bestellt und behielten es im Sortiment, als sie merkten, dass die Nachfrage vorhanden war.
«Kurt hat noch zwei Jahre bis zur Pension, solange machen wir noch die Lieferungen», sagt Elisabeth Rufener. Dass sie den Laden nicht von heute auf morgen komplett aufgeben, sei für die beiden aber auch gut. So könnten sie etwas herunterfahren und sich an das neue Leben gewöhnen.
- «Hauptsachen»-Talk: Heute Abend geht es um die Ernährung in Zeiten des Klimawandels und die Verantwortung der Konsument*innen. Um 19.30 in der Aula im Progr (Eintritt frei) diskutieren Grünen-Politikerin Christine Badertscher, Wissenschaftlerin Magdalena Schindler, Bäuerin Kathy Hänni und Sarah Elser, Geschäftsleiterin des Ernährungsforums Zürich über den Graben zwischen den Konsumierenden in der Stadt und den Produzent*innen auf dem Land und versuchen eine Brücke zu schlagen.
- Asylwesen: Vor fast genau einem Jahr hat die «Hauptstadt» über Zoya Mahallati berichtet. Mahallati ist 2015 vom Iran in die Schweiz geflohen und hat mehrmals ein Asylgesuch gestellt. Letztes Jahr war noch nicht klar, ob sie abgeschoben wird. Nun gibt es Good News: Sie hat einen Ausweis F erhalten. Das bedeutet, sie ist vorläufig als Flüchtling aufgenommen. Ich habe Zoya Mahallati erneut getroffen und mit ihr über ihre aktuelle Situation gesprochen.
- Gastro: Wie du vielleicht weisst, arbeitet die «Hauptstadt» diese Woche in Kehrsatz. Wie jedes Mal in einer Aussenwoche probieren wir uns auch durch das Gastro-Angebot. Bisher können wir erstaunlich viel Gutes berichten. Sowohl das Bistro der Tennishalle wie auch das Japanische Restaurant Tanaka empfehlen meine Kollegen wärmstens.
- Bundesplatz: Seit 2022 darf man auf dem Bundesplatz während der Parlamentssessionen unter bestimmten Bedingungen demonstrieren. Das hat das Berner Stadtparlament 2021 beschlossen. Nun will der Nationalrat, dass die Eidgenossenschaft mehr mit bestimmen kann. Das hat er gestern in der Session beschlossen. Der Bundesrat, die Stadt und der Kanton Bern sollen gemeinsam die Nutzung des öffentlichen Raums auf dem Bundesplatz und den Strassen zwischen dem Hotel Bellevue und dem Bundeshaus West regeln.
- Gönner-Abo: Viele «Hauptstadt»-Abonnent*innnen zeigten sich kürzlich in unserer Leser*innen-Befragung grundsätzlich bereit, für unser Angebot mehr zu zahlen. Vielleicht auch du? Deshalb lancieren wir ein Gönner-Abo für 360 Franken im Jahr. Beim Kauf des neuen Abos erhältst du jährlich als Dankeschön einen exklusiven Print oder ein Plakat, in diesem Jahr von Illustrator Martin Oesch. Hier kannst du dein Abo upgraden. Wer bisher noch gar kein Abo hatte, kann hier eins lösen.
- Klimaurteil: Der Ständerat will keine zusätzlichen Klima-Massnahmen aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Anfang April. Was das Gericht verlange, sei bereits erfüllt, argumentiert die Mehrheit der kleinen Kammer. Das kann man auch anders sehen: «Stadt und Kanton Bern sollten sich vom Urteil angesprochen fühlen», sagte Evelyne Schmid im Gespräch mit meiner Kollegin Flavia von Gunten. Sie hat recherchiert, was das Klima-Urteil für Bern bedeutet.
- Medienzugang: Zum 18. Geburtstag vom Kanton ein Jahresabo für ein Berner Medium geschenkt bekommen? Ich finde das eine tolle Idee. Der Grundgedanke dahinter: Den 18-Jährigen für ein Jahr den Zugang zu «etablierten» Medien ermöglichen und eine alternative Informationsquelle zu Social Media aufzeigen. Zusammen mit Unterzeichnenden aus allen Fraktionen hat der grüne Grossrat Manuel C. Widmer diesen Vorstoss eingereicht.
PS: Die Feuerwehr Viktoria ist schon seit längerem im Wandel – und hat auch noch viel vor. Diesen Sommer zum Beispiel bauen sie im Restaurant Löscher eine neue Küche. Später soll ein Bauprojekt für gemeinnütziges Wohnen folgen. Willst du mal hinter die Kulissen schauen? Ein Rundgang durch die Feuerwehr verspricht spannende Geschichten und Aussichten – auch aufs Bauprojekt. Heute Abend, von 18 bis 19 Uhr. Unkostenbeitrag: 5 Franken.