Erben – «Hauptstadt»-Brief #352
Samstag, 17. August – die Themen: Erben; Nahost-Institut; Stadtratsitzung; unterirdische Asylunterkunft; psychische Gesundheit; Kunsthalle-Direktorin; Schifferstechen.
Schon lange freue ich mich auf den neuen Film des Berner Regisseurs Simon Baumann. Weil mir seine persönliche Annäherung an das heutige Dorfleben in «Zum Beispiel Suberg» (2013) so gut gefallen hat. Natürlich spricht mich das an, bin ich doch von der Stadt aufs Land gezügelt, und erst noch in Baumanns Nachbardorf. Dort lebe ich in einem charmanten 300-jährigen Haus, zu dem wir nur kamen, weil mein Mann es von seinen Eltern erben konnte.
Und schon sind wir mitten im Thema. Baumanns neuer Film heisst «Wir Erben» und dreht sich – erneut auf sehr persönliche Art – um genau jene Frage: Wie geht man mit diesen Privilegien um, die einem doch zufällig zufallen?
Letzten Sonntag feierte das Werk am Filmfestival Locarno Premiere. Und laut dem Medienportal Infosperber darf man sich auf den Kinostart im Herbst freuen: Was den Film so herausragend mache, sei «diese stupende Mischung aus Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit», heisst es dort.
Überhaupt ist Erben das Thema der Stunde: Noch ist nicht einmal bekannt, wann die Abstimmung stattfindet, und doch empörten sich in den letzten Wochen bürgerliche Exponent*innen bereits öffentlich über die Erbschaftssteuer-Initiative der Juso. Einige drohen gar wegzuziehen. Die Initiative möchte auf Erbschaften von über 50 Millionen Franken eine Steuer von 50 Prozent einführen.
Mir ist dieses Gebrüll zu laut. Ich finde es wichtig, die Initiative als Chance zu nutzen, Erben tiefer und breiter zu diskutieren. Sorgfältig und differenziert. Einen Mehrwert erhoffe ich mir daher von den Beiträgen aus der Kultur: Zum einen Baumanns Film, aber auch die neue Ausstellung im Berner Generationenhaus, die ab November das Thema beleuchten will. Und schliesslich kommt im nächsten März ein Stück des Theater Club 111 um Meret Matter auf die Bühne des Schlachthaus-Theaters: Die Komödie «Jeeps» fragt, ob Erben auch gerecht vonstatten gehen könne.
Die Antwort kenne ich nicht. Aber ich will gern darüber nachdenken.
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- Uni: Nach der Auflösung des Nahost-Instituts legt die Universität Bern die Islamwissenschaft mit Sozialanthropologie und Religionswissenschaft zusammen. Rein thematisch ergebe das Sinn, schreibt mein Kollege Jürg Steiner, der die Medienkonferenz am Donnerstag besucht hat. Eine andere Frage sei, ob die Neuorganisation die Defizite beseitigt, die dem islamwissenschaftlichen Forschungsbereich in der externen Untersuchung vom Februar vorgeworfen wurden. Denn das forschende Personal bleibt das gleiche.
- Stadtrat: Das Berner Parlament ist zurück aus der Sommerpause. Und die erste Sitzung sei erstaunlich ruhig und harmonisch verlaufen, findet meine Kollegin Flavia von Gunten im Stadtrat-Brief. So habe es überschwängliches Lob von allen Seiten gegeben für das neue Beachvolleyballcenter, das neben dem Weyermannshausbad gebaut werden soll. Ohne Gegenstimme beschloss der Rat, das Grundstück im Baurecht an die Home of Beach AG abzutreten. Ebenso klar stimmte der Rat der Videoüberwachung der Becken in der Schwimmhalle Neufeld zu. Alle Personen und Daten sollen dabei anonym bleiben.
- Asylunterkunft: Ab September wird die Notunterkunft Niederscherli temporär als Asylunterkunft genutzt, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) mitteilt. Bis zu 150 Plätze sollen so für ukrainische Schutzsuchende zur Verfügung gestellt werden. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der unterirdischen Unterkunft soll drei bis sieben Tage betragen, schreibt das SEM. Der Grund für die Nutzung der Notunterkunft in der Gemeinde Köniz sei die weiterhin überdurchschnittlich hohe Zahl neuer Asyl- und Schutzgesuche. Nach früherer Nutzung der Notunterkunft entstand in Niederscherli die Solidaritätsgruppe «Offenes Scherli», die nach wie vor aktiv ist.
- Psychische Gesundheit: Seit gestern ist das neue Programm des Recovery College online. Für die 29 Kurse, die sich mit psychischer Gesundheit beschäftigen, kann man sich ab sofort anmelden. Sie starten Anfang September. Das Recovery College war bisher von den Universitären Psychiatrischen Diensten (UPD) mitfinanziert, wird aber aufgrund der finanziellen Krise nun nicht mehr unterstützt. Aus Kostengründen kommuniziere man deshalb nur noch online und man habe ein neues Bezahlportal mit Vorauszahlung eingerichtet, heisst es in einem Newsletter.
- Kunsthalle: Seit April ist die Griechin Iliana Fokianaki Direktorin der Kunsthalle. Was sie mit der Berner Institution vorhat, hat sie meiner Kollegin Mara Hofer erzählt. Das Gespräch wurde aber schnell intensiv. Warum im Jahr 2024 die Frage gestellt werde, ob Kunst politisch sein kann oder sein sollte, verstehe sie nicht, sagt Fokianaki. Kunst sei nie neutral. Hier geht es zum lesenswerten Text, der aus dieser Begegnung entstanden ist.
- Schifferstechen: Heute gibt es in der Matte ein Turnier der besonderen Art. Auf der Aare findet das Schifferstechen statt, eine Art Ritterturnier auf dem Wasser. Mit stumpfen Speeren versuchen sich die Teilnehmenden dabei von Booten zu stossen. Start ist bereits um 8.30 Uhr mit einem Schnuppertraining, um 9.30 Uhr gehen die Wettkämpfe los. Am Montag, wenn es auf der Aare wieder ruhiger ist, verlegen wir von der «Hauptstadt» dann unsere Redaktion ins flussnahe Quartier. Wir gastieren eine Woche bei der Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen Xenia am Langmauerweg und werden uns schwergewichtig mit unsichtbarer Arbeit beschäftigen.
PS: Wenn du bei den unsicheren Wetterprognosen ein Programm am Trockenen bevorzugst, kann ich dir einen Besuch im Museum empfehlen. Der ist heute (wie auch an allen anderen Samstagen im August) in Bern gratis.