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«Der Ausbau widerspricht Klimaschutz-Zielen»

Der Autobahnabschnitt im Berner Grauholz soll von sechs auf acht Spuren ausgebaut werden. Was spricht dafür, was dagegen? Das war der dritte «Hauptsachen»-Talk – auch zum Nachhören.

Talk Autobahn
Der dritte «Hauptstadtsachen»-Talk im Progr stiess auf reges Interesse. (Bild: Manuel Lopez)

Christoph Neuhaus, SVP-Regierungsrat, fuhr jüngst auf der Autobahn durch das Grauholz und es hatte keinen Stau. Das ist nicht immer so. Zu Stosszeiten, morgens und abends, ist der Autobahnabschnitt im Nordosten Berns nämlich regelmässig verstopft. Darum soll der Abschnitt ausgebaut werden, von heute sechs auf acht Spuren. So wollen es Bundesrat und Parlament. Das Vorhaben missfällt: Beim Bundesamt für Strassen (Astra) gingen 64 Einsprachen ein – von Verbänden, Landwirt*innen, Anwohner*innen und Gemeinden.

Beim geplanten Ausbau stellen sich Grundsatzfragen: Braucht es immer mehr Strassen? Gibt es Alternativen? Und letztlich: Was wird höher gewichtet, der volkswirtschaftliche Nutzen oder der Klimaschutz? Um Fragen wie diese ging es am 1. Dezember anlässlich des dritten «Hauptsachen»-Talks, der Politgesellschaftliche-Diskussionsreihe der «Hauptstadt» in Zusammenarbeit mit dem Progr.

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Was im Grauholz geplant ist

Die Autobahn A1 soll zwischen Schönbühl und Wankdorf von heute sechs auf neu acht Spuren ausgebaut werden. Im Norden Berns würde so der breiteste Autobahnabschnitt der Schweiz entstehen. Für die 5,4 Kilometer lange Verbreiterung der Autobahn würden 13 Hektaren Land verbraucht, davon 3,7 Hektaren landwirtschaftlich wertvolle Fruchtfolgeflächen. Der Bau kostet voraussichtlich rund 275 Millionen Franken. Geplanter Baubeginn ist 2027, eröffnet werden soll der neue Abschnitt 2033.

Für Christoph Neuhaus war dabei klar, dass mit dem Ausbau Möglichkeiten geschaffen werden sollen. «Jede Person soll die freie Wahl haben, welches Verkehrsmittel sie verwendet, um an ihr Ziel zu gelangen», so der bernische Bau- und Verkehrsdirektor.

«Autofahren darf nicht noch attraktiver werden.»

Franziska Grossenbacher, VCS

Dem hielt Franziska Grossenbacher entgegen: «Der geplante Autobahnausbau steht im Widerspruch zum Ziel eines ausgebauten Klimaschutzes», sagte die Präsidentin der VCS Regionalgruppe Bern. Wolle man die Umweltbelastung reduzieren, wie das die kantonalen Klimaziele verlangen, brauche es andere Massnahmen. «Ganz sicher dürfen wir das Autofahren nicht noch attraktiver machen», so Grossenbacher, die für die Grünen im Muriger Gemeindeparlament sitzt.

Entlastung für Zollikofen?

Gemäss dem Astra würden vom Ausbau insbesondere Anrainergemeinden profitieren. Sie würden vom heutigen Durchgangsverkehr entlastet. Eine dieser Gemeinden ist Zollikofen mit seiner vielbefahrenen Bernstrasse. Bereits vor 60 Jahren, als der Autobahnabschnitt Grauholz erbaut wurde, sollte damit die Bernstrasse entlastet werden. Nun aber reichte Zollikofen ebenfalls Einsprache gegen das Ausbauvorhaben ein. Der Grund: Der Klima-Aspekt werde nicht berücksichtigt und eigentlich brauche Zollikofen gar nicht so dringend Entlastung, sagte der Zollikofer Gemeinderat Edi Westphale (GFL) in der Diskussion: «Der Verkehr auf der Bernstrasse nahm in den letzten zehn Jahren nicht zu, er nahm sogar ab.»

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Edi Westphales Gemeinde Zollikofen hat Einsprache gegen den Ausbau eingelegt. (Bild: Manuel Lopez)

Als Befürworter des Autobahnausbaus sass der Regierungsrat Christoph Neuhaus auf dem Podium in der Progr-Aula. «Die Bevölkerung im Kanton Bern wächst stetig und mit ihr das Verkehrsaufkommen, deshalb braucht es eine breitere Autobahn», sagte Neuhaus.

Dass der Kanton Bern wächst, belegt die Statistik. Anderen Zahlen traut VCS-Vertreterin Grossenbacher jedoch weniger: «Das Astra geht in seinen Berechnungen von falschen Wachstumsprognosen beim Verkehr aus.» Konkret sei es falsch, die Wachstumsraten aus der Vergangenheit in die Zukunft zu projizieren. «Mobilität verändert sich, der Fuss- und Veloverkehr wird künftig wichtiger werden.»

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Für Franziska Grossenbacher braucht es eine Verlagerung hin zu mehr Velo- und Fussverkehr. (Bild: Manuel Lopez)

Grossenbacher wünscht sich dabei auch eine Lenkung durch die Regierung: «Wir sollten nicht nur zuschauen, wie das Verkehrsaufkommen mit steigender Bevölkerungszahl wächst, sondern dieses Verkehrswachstum auch steuern.»

Eine solche Lenkungsmöglichkeit wäre gemäss Edi Westphale Road Pricing – auch wenn damit die individuelle Mobilität teurer würde. «Verkehr ist heute zu günstig», so Westphale. Weitere Lenkungsmöglichkeiten, die im Rahmen der «Hauptsachen»-Diskussionsrunde erwähnt wurden, sind tiefere Tempolimiten, Änderungen hinsichtlich der Ladenöffnungs- und Schulzeiten sowie das bereits existierende Verkehrsmanagement-Projekt Bern Nord. Mit Letzterem versucht der Kanton Bern aktuell den Verkehr in bestimmten Gemeinden datenbasiert zu steuern.

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Christoph Neuhaus verteidigte am «Hauptsachen»-Talk den geplanten Ausbau. (Bild: Manuel Lopez)

Regierungsrat Christoph Neuhaus zeigte sich grundsätzlich offen gegenüber den Lenkungsmöglichkeiten im Verkehrswesen. Die aufgebrachte Road-Pricing-Idee lehnte er jedoch klar ab: «Damit würde eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen, in der sich nur noch Wohlhabende frei bewegen könnten», so Neuhaus.

Was sind die Kosten, was der Nutzen?

In einer Kosten-Nutzen-Analyse rechnete das Astra jüngst den Nutzen des geplanten Ausbaus vor. Das Bundesamt kam zum Schluss, dass die volkswirtschaftlichen Vorteile der 8-Spuren-Autobahn überwiegen. Insbesondere, weil es durch den Ausbau weniger Staus geben und sich so die durchschnittliche Reisezeit verkürzen würde.

Doch braucht es all diese Fahrten mit dem Auto überhaupt? «Nein», sagte Franziska Grossenbacher. Ein grosser Teil des Verkehrsaufkommens entstünde nämlich durch Freizeitverkehr. «40 Prozent des Verkehrs hat seinen Quell- und Zielort in einem Radius von weniger als vier Kilometern», so Grossenbacher. Für derart kurze Strecken sei es heute angebracht, das Velo oder E-Bike zu verwenden.

In der abschliessenden Fragerunde hatte Regierungsrat Christoph Neuhaus einen schweren Stand. Wiederholt musste er sich kritischen Fragen (Zukunft der schützenswerten Felsenau-Brücke?, Gründe für die Nichtberücksichtigung von Klimazielen?) stellen. Neuhaus verteidigte sich wacker und konnte den einen oder anderen Einwand entkräften. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich: Der Widerstand gegen den Ausbau der Grauholz-Autobahn wird nicht so schnell zum Erliegen kommen.

Hier gibt es den ganzen «Hauptsachen»-Talk zum nachhören:

Der nächste «Hauptsachen»-Talk findet am 26. Januar im Progr statt. Dabei wird es um das Thema der kulturellen Aneignung gehen.

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Diskussion

Unsere Etikette
Thomas Schneeberger
12. Dezember 2022 um 23:55

Jöö, immer wenn es um Road-Pricing oder andere monetäre Lenkungsmassnahmen geht, gaukeln die SVPler eine soziale Ader vor und befürchten eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Dabei könnten sie die absolut soziale und erst noch marktwirtschaftliche Gratis-Lenkungsmassnahme haben: nämlich den Stau behalten. Wer Stau als Problem sieht, hat nichts begriffen.

Christoph Staub
03. Dezember 2022 um 22:07

Menschen, die finden, die freie Wahl des Verkehrsmittels sei wichtiger als die Zukunft unseres Planeten, sind als Politiker ungeeignet.

Matthias Zingg
02. Dezember 2022 um 15:49

Der Anlass war für mich im Ganzen enttäuschend. Regierungsrat Neuhaus erhielt eine Plattform, wo er seine populistischen Sprüche, Polarisierungen und Provokationen geschickt platzierte. Eine seriöse Debatte kam nicht in Gang, auch wenn sich Franziska Grossenbacher und Edi Westphale u.a. mit wissenschaftlichen Fakten, oder massgeblichen Studien immer wieder einbrachten. Christoph Neuhaus wischte solche Argumente salopp vom Tisch und nahm es sich zudem heraus, die Mitdiskutanten beiläufig zu diskreditieren. Man könne ja wissenschaftliche Studien so oder so interpretieren. Inhaltlich spielte Neuhaus in bekannter SVP-Manier auf die Zuwanderung als Ursache für die Staus auf Autobahnen an. Dass die Klimakrise als zentraler Aspekt für eine nachhaltige Planung des Verkehrs einzubeziehen wäre, reduzierte er darauf, jeder sei frei in der Wahl des Verkehrsmittels. Leider hat der Moderator es verpasst, diese populistische Show zugunsten einer wirklichen Diskussion zu unterbinden.