Schlafen – «Hauptstadt»-Brief #128
Samstag, 28. Januar 2023 – die Themen: Schlafen; Betteln; Cannabis; Fifa-Geld; Sabine Gresch; Innere Enge; Pro-Ana-Chats; Berner Kopf der Woche: Ursula Nold.
Bist du ausgeschlafen? Wenn ja, gönne ich es dir von Herzen. Erst recht, seit ich diese Woche von neuen Forschungsergebnissen gelesen habe, die der Neurologe Mattia Aime von der Universität Bern vorgelegt hat. Aime hat im Tierversuch nachgewiesen, wie das Gehirn im Schlaf Emotionen verarbeitet, um zu verhindern, dass sich traumatische Gefühle – Angstzustände etwa – verfestigen. Schlussfolgerung: Schlafen kann psychischen Erkrankungen vorbeugen.
Die Schlafforschung ist zur Boomdisziplin geworden, weil im überreizten Digitalzeitalter Schlafstörungen grassieren. Die Uni Bern hat das Schlafen früh zu einem Schwerpunkt erklärt und forscht nun lukrativ an der Weltspitze mit.
Ich bin zwar Laie. Aber die Wissenschaft des Schlafes zieht mich an. Allerdings nicht, weil ich der hippen Leistungssteigerungslogik folge und meinen Schlaf optimieren möchte, um am nächsten Tag im Job noch besser zu performen. Sondern: Mir gefällt, dass der Schlaf seine Geheimnisse nicht preisgibt. Selbst Schlafexperten wie Mattia Aime bestätigen: «Wir wissen noch immer nicht genau, warum wir eigentlich schlafen.»
Mir persönlich hat es folgende wissenschaftliche These angetan: Wir schlafen auch, damit unser Gehirn die tagsüber heissgelaufenen Synapsen herunterkühlt. Man kann es mit einer Festplattenreinigung am Computer vergleichen: Während wir schlafen, werden wichtige Informationen abgespeichert und im Bewusstsein verankert, unwichtigere Downloads hingegen aus unseren Hirnwindungen entsorgt. Nur so bleibt unser Denkorgan aufnahmefähig.
Morgenmüde, weil Festplattensäuberung in der Oberstube noch nicht abgeschlossen: Gibt es eine bessere Begründung, um länger liegen zu bleiben?
Und das möchte ich dir ins Wochenende mitgeben:
Betteln: Vor Weihnachten warnte die Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie der Stadt Bern die Bevölkerung per Medienmitteilung vor vermehrt anwesenden Bettler*innen aus Osteuropa, die meist Angehörige oder Opfer organisierter Banden seien. Osteuropäische Bettler*innen mit Bandenzugehörigkeit gleichzusetzen, stiess bei linken Politiker*innen auf Kritik. Das sei rassistisch. Die Kontroverse wird nun zum Politikum. Stadträtin Lea Bill (Grünes Bündnis) verlangt zusammen mit Sofia Fisch (Juso) in einer Motion, dass die Lebensumstände von Bettler*innen in Bern untersucht werden. Meine Kollegin Flavia von Gunten liefert jetzt bereits eine nüchterne Auslegeordnung. Alexander Ott, Leiter Fremdenpolizei, Melina Wälti von der Gassenarbeit und der Sozialforscher Zsolt Temesvary legen ihre Sichtweisen dar.
Cannabis: Der bürgerlich dominierte Regierungsrat bleibt in der Cannabis-Frage auf Konfrontationskurs zu den beiden grössten Städten Bern und Biel. Die Kantonsregierung lehnt das wissenschaftlich begleitete Pilotprojekt für den Verkauf von Cannabis in Apotheken ab, wie er schreibt. Die Städte Bern und Biel hingegen wollen am Projekt teilnehmen, für das ein Gesuch beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) hängig ist. Der Kanton hat dem Bund seine ablehnende Haltung mitgeteilt, er kann das Projekt aber nicht stoppen. In wenigen Tagen startet übrigens in Basel der erste Versuch für legalen Cannabis-Verkauf, wie die Nachrichtenagentur sda schreibt.
Magersucht: Pro-Ana-Chats gehören zu den verstörenden Subkulturen im Internet. Magersucht wird zum Ideal verklärt, oft unter Beihilfe dubioser Coaches. Die Redaktion «Das Netz» leuchtet die Szene in ihrer letzten Podcast-Staffel aus.
Fifa-Gelder: Rund 1,8 Milliarden Franken an inzwischen wieder zurückgezahlten Krediten hat die Stadt Bern seit 2017 beim Internationalen Fussballverband Fifa aufgenommen, um sich kurzfristig Liquidität zu sichern. Als dies vor zwei Wochen bekannt wurde, schlugen die Empörungswellen hoch. Der kritisierte Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) kündigte an, ethische Kriterien für die Vermögens- und Schuldenbewirtschaftung prüfen zu wollen. Mit einer dringlichen Motion springt ihm die SP/Juso-Fraktion nun zur Seite und verlangt «verbindliche Ethik- und Nachhaltigkeitsrichtlinien für alle Finanzflüsse». Im Ton der Juso: «Die Stadt Bern darf kein Blutgeld beziehen!»
Stadtbaumeisterin: Die frühere Stadtberner Grossrätin Sabine Gresch (Grüne) war bis 2019 stellvertretende Stadtplanerin in Bern, ehe sie Stadtbaumeisterin in Langenthal wurde. Nun steigt sie abrupt aus. Wie die Stadt Langenthal mitteilt, beenden sie und die Stadt die Zusammenarbeit «wegen unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen zum Führungsverständnis» bereits Mitte Februar.
Innere Enge: Im Berner Jazzhotel Innere Enge brodelt es, wie BZ/Bund schreiben. Der 78-jährige Patron Hans Zurbrügg, der den Gast- und Kulturort eigentlich dem Investor Marc Ledermann übergeben wollte, beharrt nun darauf zu bleiben – obschon der Betrieb laut BZ/Bund in finanzieller Schieflage steckt. Ledermann möchte das Hotel gegen den Willen von Zurbrügg sanft renovieren. Die Auseinandersetzung um die «Innere Enge» führt nun vor die Schlichtungsstelle und allenfalls vor Gericht.
PS: Ich bin ja bekennender Italien-Fan, deshalb weckt die Italo-Disco, die heute Samstag Abend ab 22 Uhr im «Les Amis» abgeht, meine Aufmerksamkeit. Angesagt sind Hits im kosmischen Soundkleid der 80er-Jahre, und da müsste zum Beispiel der italienische Sänger Gazebo mit seinem Hit «Chopin» mitgemeint sein. Er singt auf Englisch, aber so zuckersüss, dass man es nur erträgt, wenn man sich einen italienischen Meeresstrand vorstellt dabei.
Berner Kopf der Woche: Ursula Nold
«Danke für diese grosse Ehre», schrieb die Berner Spitzenmanagerin Ursula Nold (53) diese Woche stolz in ihr Linkedin-Profil. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes hat die Präsidentin des Migros-Genossenschaftsbunds auf ihre Liste «50 over 50» der führenden, über 50-jährigen Frauen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus dem Raum Europa, Naher Osten und Afrika gesetzt. Nold sei de facto Verwaltungsratspräsidentin des mit knapp 100’000 Angestellten grössten privaten Arbeitgebers der Schweiz, begründet das Magazin die Wahl.
Die Mutter von vier heute erwachsenen Kindern legte einen steilen Aufstieg an die Migros-Spitze hin. Ursprünglich arbeitete die einst ambitionierte Tennisspielerin als Lehrerin, später leitete sie das Schulheim Schlössli in Kehrsatz, ein kantonales Zentrum für Sozial- und Heilpädagogik. An der Universität St. Gallen erwarb sie einen Master-Abschluss in Unternehmensführung. Mit 39 Jahren präsidierte sie bereits die Migros-Delegiertenversammlung (quasi das Parlament des Migros-Konstrukts), 2019 gelang ihr der grosse Coup: Sie wurde als erste Frau Präsidentin des Genossenschaftsbunds.
In Bern sitzt Ursula Nold auch im Stiftungsrat von Bühnen Bern. Im Oktober 2022 spitzten sich die Ereignisse in Nolds Einflussbereichen spektakulär zu. Zuerst entliessen Bühnen Bern wegen vorgeworfener sexueller Übergriffe den Probenleiter des Ballett-Ensembles, wenige Tage später wurde bekannt, dass Migros-Konzernchef Fabrice Zumbrunnen abtreten muss. Nold blieb schweigsam. Sie tritt wenig in Medien auf, am ehesten noch im konzerneigenen Magazin, wo sie sich auch schon beim Einräumen von Migros-Regalen fotografieren liess. Die Suche nach dem neuen Konzernchef (oder der -chefin), aber auch die Auseinandersetzung mit den traditionell starken Regionalgenossenschaften der Migros sind nun Nolds Belastungstest.