Grüne Erfolge, rote Zahlen

Laut dem neusten Controllingbericht ist die Berner Stadtregierung klimapolitisch plötzlich auf Kurs. Nun soll es so weitergehen. Doch das kostet.

Reto Nause an der Pressekonferenz zur Einführung Citysoftnet in der Stadt Bern – erste Bilanz und Massnahmen 2023 fotografiert am Donnerstag, 21. September 2023 in Bern. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Die Stadt sei auf Kurs Richtung Klimaneutralität: Gemeinderat Reto Nause. (Bild: Simon Boschi)

Kurz vor den Wahlen gibt die abtretende Regierung kommunikativ nochmal Gas: Die Stadt Bern sei in der Klimapolitik gut unterwegs. Ja sogar sehr gut. Das verkündete der in corpore vor die Medien getretene Gemeinderat am Mittwoch. Bern befinde sich voll auf dem anvisierten Absenkpfad. Der CO2-Austoss soll pro Einwohner*in und Jahr bis 2035 von heute knapp vier auf nur noch eine Tonne sinken. Spätestens 2045 soll die Stadt dann die Klimaneutralität (Netto Null) erreichen.

Das ist eine kleine Sensation. Denn bisher tönte es ganz anders.

2022 war der letzte Controllingbericht erschienen, der die Klimaziele der Stadt mit der Realität abglich. Das Fazit damals: beunruhigend. Der CO2-Ausstoss konnte nicht merklich gesenkt werden. Die meisten der über 50 Klimaziele wurden nicht oder höchstens knapp erreicht. Noch vor wenigen Monaten trafen sich Stadträt*innen der Regierungsparteien Grünes Bündnis (GB), SP und Grüner Freier Liste (GFL) auf Einladung der «Hauptstadt» zum Klimagipfelgespräch. Das Hauptthema: Warum gelingt es trotz starker rot-grüner Mehrheit in Regierung und Parlament nicht, die städtische Klimapolitik auf Kurs mit den eigenen Ambitionen zu bringen?

Nun hat der in der im Klimadossier federführende Gemeinderat Reto Nause (die Mitte) erstmals Zahlen aus dem noch nicht veröffentlichten Controllingbericht 2023 präsentiert. Und dieser zeigt ein neues Bild: Die Stadt befindet sich derzeit auf Kurs. Seit 2022 sinken die CO2-Emissionen trotz wachsender Bevölkerung, und zwar so stark, dass die Kurve sogar den strengen Kriterien des Klimareglements entspricht. «Wir sind meisterlich unterwegs», sagte Nause, der nicht müde wird, die städtische Klimapolitik als die verbindlichste und ambitionierteste der Schweiz zu preisen.

Je länger, desto teurer

Die Statistik zeigt, dass die Jahre 2020 und 2021 Ausreisser nach oben waren. Die Emissionen nahmen eher zu als ab. Seither sinken sie. Wobei sich die Frage stellt: Geht die Kurve auch langfristig so steil hinunter, wie sie es seit 2022 tut? «Wir müssen dranbleiben und die Massnahmen konsequent umsetzen», sagt Nause. Aber eines sei klar: Je weiter man komme, desto anspruchsvoller und aufwendiger werde es, mit weiteren Massnahmen Wirkung zu erzielen.

Kommunikativ hatte die Regierung schon vor Jahren gewarnt: Im Mai 2019 stieg der Gesamtgemeinderat in den Münsterturm und schlug dort theatralisch den 5-vor-12-Alarm für die Umsetzung der Klimaziele. Lange schien bedenklich wenig zu passieren. Doch nun zeigen sowohl der neue Controllingbericht wie die zeitgleich präsentierte aktualisierte  Klima- und Energiestrategie 2035, dass der amtierende Gemeinderat zum Abschluss der Legislatur ein wertvolles Vermächtnis hinterlässt.

Es schliesst einige Lücken. So wird etwa erstmals so etwas wie ein Ziel für den Ausstieg aus dem fossilen Gas formuliert: «Bis spätestens 2045 wird das bestehende Gasnetz in grossen Teilen etappenweise stillgelegt», sagt Nause. In der unteren Altstadt jedoch sind der Stadt die Hände gebunden, weil die klimaneutrale Energieversorgung oft im Konflikt mit dem Denkmalschutz steht. Immerhin soll dort dereinst nur noch Biogas durch die Leitungen strömen.

«Finanzieller Kraftakt»

Die Umsetzung des klimapolitischen Vermächtnisses wird aber für die Nachfolgeregierung ab 2025 die grosse Herausforderung sein. Es braucht zwei Dinge, die es in Bern nicht in rauen Mengen gibt: Durchsetzungswille und Geld.

Der Verkehr ist nach den Heizungen der grösste CO2-Verursacher. Ein längst definiertes Instrument für mehr Klimaverträglichkeit wäre die Reduktion von Parkplätzen. Die Stadt hat das Ziel, die Zahl der rund 17’000 öffentlichen Parkfelder zu halbieren. Abgebaut wurde von der rot-grünen Regierung bisher erst ein Bruchteil davon.

Klimawirksame Massnahmen kosten. «Die Energiewende ist ein finanzieller Kraftakt», sagte Finanzdirektor Michael Aebersold am Mittwoch. Die Stadt investiere bereits heute jährlich Rekordsummen, die sie bei weitem nicht aus den eigenen Reserven stemmen könne. Was Aebersold damit sagte: Eine ambitionierte Klimapolitik bedeutet auch, «dass sich die Stadt weiter verschulden wird».

Salopp gesagt: Grüne Erfolge führen zu roten Zahlen.

Grünes Geld

Allerdings hat die Stadt Bern auf dem Finanzmarkt als Schuldnerin geradezu Starpotenzial bei den Investor*innen. Kürzlich beschaffte sie sich erstmals Geld mit sogenannten grünen Anleihen. Diese sprechen Anleger*innen an, die mit ihrem Investment eine positive Wirkung auf die Umwelt erzielen wollen. Die Stadt nahm auf diesem Weg 140 Millionen Franken auf, die hauptsächlich für den Ausbau des Fernwärmenetzes eingesetzt werden.

Der «Hauptstadt» liegt der Bericht der Zürcher Kantonalbank (ZKB) vor, die diesen Deal abwickelte. Die Stadt Bern habe «eindrücklich ihr Renommée am Markt» unter Beweis gestellt, schreibt die ZKB. Das Resultat: Es gelang ihr, das Geld zu «hervorragenden Zinskonditionen» zu beschaffen, wie sich Finanzdirektor Aebersold ausdrückte. Zugespitzt formuliert: Der Finanzmarkt wartet geradezu darauf, in die grünen Ambitionen der Stadt Bern zu investieren.

Und es wird Gelegenheit geben dazu.

Konsequenterweise fordert das Grüne Bündnis mit einer Volksinitiative einen Klimafonds, der mit  jährlich 20 Millionen Franken für Klimamassnahmen alimentiert werden soll. Einen anderen Weg sieht die Mitte-Partei. Sie stellt der rot-grünen Klimapolitik ein erstaunlich gutes Zeugnis aus – obschon sie gerade Wahlkampf betreibt gegen die Übermacht von SP, GB und GFL. «In der Energie- und Klimapolitik wird in der Stadt Bern vieles richtig gemacht», sagt Parteipräsidentin Laura Curau: «Wir müssen diesen Weg konsequent weitergehen und dabei nicht auf unrealistische Beschleunigungsforderungen der Linken eingehen, sondern die Investitionen im geplanten Umfang realisieren.»

Im Prinzip, präzisiert Curau auf Anfrage, zeige die Energie- und Klimastrategie mustergültig, warum in der städtischen Finanzpolitik die Ausgabedisziplin, der Rot-Grün nicht nachlebe, so wichtig wäre: «Wenn wir Klimamassnahmen so umsetzen wollen, dass wir die Ziele erreichen, werden wir langfristig eher mehr als weniger investieren müssen. Das ist die Realität. Und dafür brauchen wir den finanziellen Spielraum».

Den finanziellen Spazierstock für den steilen CO2-Absenkpfad muss die neue Regierung finden. Der abtretende Gemeinderat kann sich noch ein paar Wochen in den schönen Zahlen des Controllingberichts sonnen.

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