Neustart – Hauptstadt-Brief #417
Donnerstag, 23. Januar 2025 – die Themen: Reitschule; YB-Niederlage; Erbe; Dry January; Citysoftnet; Steuern und Lohnverhandlungen beim Inselspital.
Ich bin nicht in Bern aufgewachsen. Die autonomen Zentren meiner Jugend hiessen Alhambra (Oldenburg), AZ Conni (Dresden) oder später Ex Macello (Lugano). Sie waren bunt, prekär und an den Rand gedrängt. Häufig mehr geduldet als geliebt. Als ich in Bern ankam, habe ich schnell begriffen: Die Reitschule spielt in einer ganz anderen Liga. Sie steht unverrückbar im Zentrum, ist seit mittlerweile über einer Generation prägender Begegnungsort und beheimatet einen der wichtigsten Konzertsäle der Stadt. Anfeindungen aus dem rechten Lager sind allenfalls Störfeuer, die Reitschule hat einen Platz in der Mitte der Gesellschaft gefunden.
Die Ereignisse der letzten zwei Wochen haben mir das deutlich vor Augen geführt. Wenn es bei der Reitschule brodelt, kommt nicht nur die Stadt in Wallung, nein, die ganze Schweiz interessiert sich auf einmal für dieses vordergründig absonderliche Amalgam aus Jahrhundertwende-Backstein-Romantik und Anarcho-Graffitis.
Die Reitschule mobilisiert. So auch gestern Abend. Nach zwei Wochen Schliessung aufgrund der eskalierenden Gewalt auf dem Vorplatz und sinkender Besucher*innenzahlen, schaltet das Kollektiv von Krisen-Modus auf Optimismus. «Wir haben eine grosse Energie aus der Stadt gespürt», sagt Lou von der Mediengruppe der Reitschule bei einem Medientermin: «Und mit dieser neuen Energie wollen wir jetzt wieder die Tore öffnen».
Stellvertretend für den Neustart steht im Eingangsbereich ein bunter Elefant: «Wir sind elefantisch: Ein stabiles Wesen, stark und sozial…», heisst es im Flyer, den das Kollektiv am Eingang verteilt. Statt Repression wolle man partizipative und soziale Aktivitäten leben. Damit das möglich ist, wollen die Reitschüler*innen ihren Freiraum besser schützen. Das heisst unter anderem: Kein Drogenhandel vor oder in der Reitschule. Auch der Aussenraum soll aufgewertet werden durch mehr Sitzgelegenheiten und mehr Farbe, wie es von Seiten der Mediengruppe heisst.
Flankiert durch den Dialog mit der Stadt sollen die Massnahmen dazu führen, dass wieder mehr Gäst*innen die Orte der Reitschule besuchen – und der bestehende Teufelskreis durchbrochen wird.
Solidarität, Zuspruch, Herzlichkeit – einige der Zutaten des gut besuchten Eröffnungsabends, an dem Reitschüler*innen leuchtende Plastik-Herzen trugen und unerwartet Blümchens 90er-Eurodance-Hymne «Herz an Herz» aus den Boxen schallte. Doch schon am Freitag stehen die Zeichen wieder auf Normalbetrieb: In der Grossen Halle geht das Blaue Pferd Punkfestival über die Bühne.
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- Film: Hast du in deinem Leben geerbt oder bereits jemandem etwas vererbt? 95 Milliarden Franken fliessen in der Schweiz jedes Jahr als Erbe. Das ist mehr als der Jahreshaushalt des Bundes. Der Berner Regisseur Simon Baumann geht in seinem neuen Film «Wir Erben» den grossen Fragen des Erbens nach: Welche Verantwortung tragen wir dabei, wird die Gesellschaft dadurch zusehends ungleicher und kann man durch ein Erbe auch verarmen? Meine Kollegin Marina Bolzli hat Baumann für ein sehr lesenswertes Interview zu seinem sehr persönlichen Film getroffen.
- Kolumne: Marketingstrategie oder Prinzipientreue? Unser Haus-Philosoph Christian Budnik setzt sich in seiner neuen Kolumne mit der alkoholfreien Migros auseinander. Er erkennt dabei kleinere Lücken im System und fragt sich, was die Gesellschaft zum Schutz von Suchtkranken unternehmen kann.
- Beschaffung: Die Stadt Bern soll ihre Fallführungssoftware Citysoftnet spätestens Ende 2030 stilllegen und auf das neue kantonale System NFFS wechseln. Dies berichtet die Nachrichtenagentur sda unter Berufung auf den Kanton. Die Stadtregierung ging bisher nicht davon aus, dass sie Citysoftnet nach wenigen Betriebsjahren schon wieder abschalten muss. Im vergangenen Frühsommer zeigte sie sich noch überzeugt, dass Citysoftnet an das kantonale System gekoppelt werden kann. Doch der Kanton hat andere Pläne. NFFS solle ab 1. Januar 2029 flächendeckend im Einsatz stehen, heisst es in den Unterlagen zur Vernehmlassung. Städtische Steuerzahler*innen zahlten bisher gut 20 Millionen Franken für Citysoftnet – die Einführung geriet zu einem Debakel. Weil sie über den Lastenausgleich auch das neue System NFFS tragen muss, droht der Stadt eine finanzielle Doppelbelastung.
- Steuern: Derzeit versendet der Kanton die Formulare für die Steuererklärung 2024. Das ändert sich im Vergleich zum Vorjahr: Eltern können 16’000 statt bisher 12‘000 Franken pro Kind abziehen, wenn dieses zum Beispiel in einer Kita betreut wird. Zudem profitieren Besitzer*innen von Photovoltaik- und Solarthermieanlangen durch verschiedene Abzüge. Neu ist auch das Login-Verfahren, das für die Steuerklärung nötig ist. In einer Übergangsphase können aber noch alte Logins, wie zum Beispiel das BE-Login, verwendet werden.
- Inselspital: Drei Berner Personalverbände haben am Mittwoch die Lohnverhandlungen für 2025 mit der Insel-Gruppe für gescheitert erklärt. Er verstehe, dass die Verbände nicht zufrieden seien, sagte Bernhard Pulver, Verwaltungsratspräsident der Insel-Gruppe, am Mittwoch auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Teil der im letzten Sommer eingeleiteten Sanierungsmassnahmen der Gruppe sei, dass es 2025 nicht höhere Löhne gebe. Für das Jahr 2024 hatte die Insel zusammen mit den Personalverbänden noch Lohnerhöhungen von insgesamt zwei Prozent beschlossen.
- Fussball: YB bleibt in der Champions-League-Partie auch gegen Celtic Glasgow ohne Punkte. Dabei hatte es lange nach einem ersten Punktgewinn ausgesehen: Erst ein Eigentor von Captain Loris Benito besiegelte in der 86. Minute die die 0:1-Niederlage gegen die Schotten. Neben der fussballerischen Darbietung gab auch die Gesangskunst der Fans zu reden: Sie gaben im ausverkauften Haus die Hymne «You’ll never walk alone» zum Besten. Für YB geht es in der Liga am Samstag auswärts weiter gegen GC.
PS: Das Jugendorchester Köniz bietet einen musikalischen Streifzug durch die Galaxien. Im Konzertprogramm darf John Williams’ Throne Room & End Title aus Star Wars natürlich nicht fehlen. Los geht es morgen Freitag, 24. Januar 2025 um 19 Uhr in der Thomaskirche im Liebefeld.