Probenleiter fristlos entlassen
Seit fast zwei Wochen arbeitet der Ballett-Probenleiter nicht mehr bei Bühnen Bern. Doch die Verantwortlichen halten sich bedeckt.
Der Probenleiter, der Tänzer*innen zumindest verbal missbraucht haben soll, arbeitet nicht mehr bei Bühnen Bern. Am 6. Oktober hat er die fristlose Kündigung erhalten. Der «Hauptstadt» liegen diesbezüglich schriftliche Informationen vor, die der Redaktion von einer anonymen Quelle zugespielt worden sind. Auf Anfrage bestätigt der Betroffene die Kündigung:
«Mein Schreiben an Bühnen Bern mit der Bitte um eine Begründung der fristlosen Kündigung hat Bühnen Bern bisher leider nicht beantwortet.»
Bühnen Bern haben die Öffentlichkeit bis heute nicht über die fristlose Kündigung orientiert. Seit dem Termin der Kündigung am 6. Oktober ist die «Hauptstadt» mehrmals mit Bühnen Bern in Kontakt getreten, doch sowohl Ballettdirektorin Isabelle Bischof als auch Intendant Florian Scholz erwähnten die Entlassung nicht.
Auf eine erste konkrete Anfrage der «Hauptstadt» am Wochenende bezüglich der fristlosen Entlassung verwiesen Bühnen Bern auf eine laufende, «allumfassende Untersuchung», über deren Ergebnisse sie «vor Ende des Monats» informieren würden. Zusätzliche Fragen, die die «Hauptstadt» am Montag geschickt hat, bleiben innerhalb der gesetzten Frist unbeantwortet. Erst am Dienstagvormittag publizierten Bühnen Bern schliesslich eine Stellungnahme (siehe unten), in der sie «eine personalrechtliche Massnahme» bestätigen: «Ein Mitarbeiter des Balletts arbeitet heute nicht mehr bei uns.»
Die Mitteilung von Bühnen Bern vom Dienstagvormittag im Wortlaut, gezeichnet von Intendat Florian Scholz und Balletdirektorin Isabelle Bischof:
«Wegen des grossen Medieninteresses möchten Bühnen Bern einen Zwischenstand zu den laufenden Untersuchungen bei Bern Ballett geben: Aufgrund der bisherigen Ergebnisse dieser Abklärungen hat die Leitung von Bühnen Bern bereits jetzt eine personalrechtliche Massnahme getroffen; ein Mitarbeiter des Balletts arbeitet heute nicht mehr bei uns.
Wir werden uns nach Abschluss aller Abklärungen und weiterer Gespräche ausführlich und öffentlich zum Fall äussern, bitten aber um Verständnis, dass es aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes sämtlicher Beteiligter derzeit beim Vermelden dieses Zwischenstandes bleiben muss.
Die Leitung von Bühnen Bern und von Bern Ballett arbeiten intensiv an der Aufarbeitung der Ereignisse. Wir befinden uns in einem intensiven Prozess der Klärung, bei welchem wir auch externe Unterstützung miteinbeziehen. Wir begreifen uns als lernende Institution und sind uns unserer Verantwortung bewusst. Im Zentrum steht ein sicheres und gewaltfreies Arbeitsklima für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.»
Am 29. September wurden die Vorwürfe sexueller Belästigungen gegen den Probenleiter von Bern Ballett durch einen Artikel in der «Zeit» öffentlich gemacht. Tänzer*innen der Compagnie gelangten im Frühling 2021 mit den Vorwürfen an die Leitung von Bühnen Bern, woraufhin das Haus eine Zürcher Anwaltskanzlei mit der Untersuchung beauftragt hat.
Am Tag der Publikation des Artikels luden Bühnen Bern zur Medienkonferenz. Dort erklärte Intendant Florian Scholz, dass der Probenleiter nach einer temporären Suspendierung und einer «tadellos» absolvierten Probezeit wieder regulär in seiner Funktion arbeitet. Auch die Compagnie habe sich nach den erneuten Vorwürfen für eine weitere Zusammenarbeit mit ihm ausgesprochen.
Neue Vorwürfe nach Rückkehr
Gegen aussen hatte also nichts auf die Kündigung hingedeutet, die gerade mal eine Woche nach der Medienkonferenz ausgesprochen wurde. Intern dürfte der Sturm getobt haben.
Zum einen wird im «Zeit»-Artikel erwähnt, dass der Probenleiter bereits kurz nach der Rückkehr auf seinen Posten Tänzerinnen «innig umarmt» und die Nähe zu einer jungen Tänzerin gesucht habe. An der Medienkonferenz zeigte sich Florian Scholz «bestürzt» über die neuen Vorwürfe und versicherte, von diesen gerade erst erfahren zu haben und sie «intensiv» zu verfolgen.
Druck gemacht haben auch Vertreter*innen der Szene. Der Verein BETA Berner Tanzschaffende hält es für «untragbar, dass der angeschuldigte Probenleiter nach den erwiesenen verbalen Übergriffen weiterhin am Haus beschäftigt wird.» Das Schlachthaus Theater Bern «verurteilt Machtmissbrauch in jeglicher Form», heisst es in der Stellungnahme auf der Website. Und das Tojo Theater hat auf seinem Instagram-Account ein Statement publiziert: «Wir solidarisieren uns mit sämtlichen betroffenen Tänzer*innen und kritisieren das Vorgehen der Bühnen Bern, auf verbale Gewalt keine ersichtlichen Konsequenzen folgen zu lassen.»
Ausserdem schaltete sich nach der Medienkonferenz Ende September die Stadt Bern ein. Sie hat aus den Medien von den Missbrauchsfällen erfahren – obwohl Bühnen Bern gemäss dem Leistungsvertrag verpflichtet gewesen wären, aus eigener Initiative die Stadt über die Vorfälle und die daraufhin eingeleitete Untersuchung zu informieren. Ein erster Kontakt habe bereits am Tag des Bekanntwerdens der Vorfälle stattgefunden, teilte die städtische Kulturbeauftragte Franziska Burkhardt der «Hauptstadt» mit.
Das intransparente Verhalten von Bühnen Bern könnte sich rächen. Aktuell befasst sich der Gemeinderat mit der städtischen Kulturbotschaft für die Periode von 2024 bis 2028, in der die Leistungsvereinbarung mit Bühnen Bern integriert ist. Bis Ende Jahr soll sie verabschiedet werden. Theoretisch ist es möglich, dass die grösste Subventionsgeberin (18 Millionen Franken pro Jahr; Kanton: 15 Millionen) die Gelder für Bühnen Bern kürzt.
Dieser Text wurde am Dienstagvormittag aktualisiert und um die Stellungnahme von Bühnen Bern ergänzt.