Startup ohne Gründer

Leistungssportler, Vorzeigestudent, Unternehmer: Pascal Buchs brillierte in vielen Disziplinen, bis er im vergangenen Winter bei einem Lawinenunglück ums Leben kam. Gelingt seinem Startup der Neustart?

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Emmanuel Zimmer, Silje Jahren und Lukas Glaus gehören zum Kernteam des Startups. (Bild: Danielle Liniger)

Ein junges Unternehmen muss auf vieles gefasst sein: Zum Beispiel, dass die Geschäftsidee floppt oder dass sich der Markt rasch verändert. Der Tod des Gründers oder der Gründerin gehört in der Regel nicht dazu. Anders beim Berner Medizintechnik-Startup TightValve. 

Mitgründer Pascal Buchs starb in der Altjahreswoche 2024 bei einem Lawinenunglück in den Walliser Bergen. Er wurde nur 27 Jahre alt. Sein Tod löste nicht nur bei Freund*innen und der Familie grosse Trauer aus. Auch in der kleinen Schweizer Szene der Orientierungsläufer*innen hinterliess Buchs eine Lücke. Der Neuenburger gehörte zu den Kaderathleten mit WM-Aspirationen. Wenn er nicht in den Schweizer Wäldern unterwegs war, zog es ihn in die Berge für Skitouren. So wie am 27. Dezember 2024, als er in Begleitung seines Vaters auf einer Tour von einer Lawine mitgerissen wurde. Ein paar Kubikmeter Schnee am falschen Ort, zur falschen Zeit – und ein Kosmos der Möglichkeiten implodiert.

So auch beim Startup, für das Buchs zu diesem Zeitpunkt seit über einem Jahr aktiv war. 

Alles auf Null  

«Wir hatten ein Team, eine Business-Idee und die Anschub-Finanzierung – und dann kommt diese verdammte Lawine», sagt Dominik Obrist rückblickend. Er ist Teil des Startup-Teams, dem Buchs angehörte. Obrist sitzt in seinem Büro im Artorg Center, dem biomedizinischen Forschungszentrum der Universität Bern. 

Es ist Anfang April. Rund drei Monate sind seit dem Unglück vergangen. Der 53-Jährige wirkt gefasst, aber es sind kurze Momente wie dieser, in denen ihn eine Mischung aus Wut und Trauer übermannt. An Pascal Buchs erinnert ein eingerahmtes Foto in seinem Büro.

Obrist ist seit über zehn Jahren Professor für kardiovaskuläres Ingenieurwesen am Artorg Center und kennt sein Forschungsfeld so gut, dass ihn nur wenig aus der Reserve locken kann. Der ETH-Ingenieur untersucht die Funktionsweise unseres Herzens in all seinen Verästelungen – und weiss, wie man dieser überlebenswichtigen Pumpe mithilfe modernster Technik auf die Sprünge helfen kann.

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Im Büro von Dominik Obrist erinnert ein Foto an den verstorbenen Kollegen Pascal Buchs. (Bild: Danielle Liniger)

Der Tod eines so nahen Teammitglieds stellte aber auch für ihn ein Novum dar. Obrist erinnert sich: Anfang Januar war er an der Beerdigung von Buchs oberhalb von Neuenburg. Er zog in der tief verschneiten Landschaft mit der Trauergemeinde zum Grab. «Ich bin im gleichen Alter wie Pascals Eltern – er hatte das Alter meiner Kinder. Der Verlust, den sie erlitten haben, schien mir deshalb noch greifbarer», sagt Obrist. Die Eltern hätten eine grosse Souveränität ausgestrahlt. «Ich habe versucht, diese in meine Trauerbewältigung aufzunehmen».

Vom Hörsaal auf die Startup-Bühne

Viel Zeit bekam er dafür nicht, zumindest was das Startup anging. Kurz nachdem er die Forschungsgruppe benachrichtigen konnte, ging es schon um praktische Fragen: Wo hat Buchs welche Unterlagen abgelegt, wo liegen seine Passwörter für wichtige Zugänge? Und dann kamen immer wieder Anrufe und Mails: «Ich musste den Leuten sagen, dass Pascal in der Zwischenzeit verstorben ist.»

Zu einem der Adressaten gehört auch der Autor dieses Artikels, der Buchs noch am 9. Januar eine Anfrage sendet, ohne zu wissen, dass sie ihn nie erreichen würde.

Der Kontakt zum jungen Neuenburger hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein halbes Jahr lang bestanden. Im Mai 2024 stand der Ingenieur zusammen mit Kolleg*innen auf der Bühne des Stage Up-Preises der Universität Bern: Ein Konfettiregen, ein Handschlag: Buchs bekommt ein Preisgeld von 10’000 Franken, um sein Unternehmen aufbauen zu können. Da hat er gerade erst seinen Master-Abschluss in der Tasche. Das ist aussergewöhnlich – auch für den Standort Bern, der an Neugründungen nicht unbedingt reich gesegnet ist.

Am 1. Oktober 2024 ist Buchs’ erster Arbeitstag bei TightValve. Kein Konfettiregen und Scheinwerferlicht mehr, dafür ein trüber Herbsttag und kleinteilige Sachfragen: Was soll auf der Website des noch zu gründenden Unternehmens stehen und braucht es Änderungen am Logo? Buchs ist zu diesem Zeitpunkt der Einzige, der Vollzeit für TightValve arbeitet. Dementsprechend viele Fäden laufen bei ihm zusammen. Hier könne er von Grund auf sein eigenes Projekt entwickeln, sagt er beim Treffen im Oktober. 

«Hyper motivant», sei das Ganze, so Buchs, dessen Muttersprache Französisch ist und der gut Deutsch spricht. Ihm eröffnen sich neue Welten: Kurz zuvor konnte er zum ersten Mal eine Operation am offenen Herzen miterleben.

Hält die Klappe dicht?

Herzen, genauer gesagt die darin liegenden Aortaklappen, stehen im Mittelpunkt der medizintechnischen Entwicklung des Startups. Buchs erklärt es wie folgt: 

Wenn Ärzt*innen undichte Aortaklappen ihrer Patient*innen reparieren, gibt es heutzutage häufig ein Problem: Die Mediziner*innen können erst am Ende der Operation feststellen, ob die Klappe auch wirklich funktioniert. Im schlimmsten Fall bedeutet das für die Patient*innen, dass die Operation samt vieler Strapazen wiederholt werden muss und die körpereigene Aortaklappe eventuell nicht mehr erhalten werden kann – zu gross ist das Risiko für Komplikationen. 

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Das Modell zeigt die Hauptschlagader des Menschen und die Apparatur, welche misst, ob die Aortaklappe funktioniert. (Bild: Danielle Liniger)

«Chirurg*innen setzen aus Sorge vor diesen Komplikationen häufig mechanische Klappen ein, was für den Menschen lebenslange Einschränkungen zur Folge hat», sagt Herzchirurg Emmanuel Zimmer. So müssten zum Beispiel dauerhaft Blutverdünner genommen werden und sportlich aktive Menschen seien eingeschränkt.

Der Herzchirurg am Inselspital dachte deshalb zusammen mit seinem Kollegen Lukas Glaus über verschiedene Lösungsansätze nach. In Zusammenarbeit mit dem Artorg Center und Pascal Buchs gelang dann der Durchbruch: Zimmer entwickelte den Prototyp einer Spritze, mit der die Aortenklappe noch im OP-Saal unter Druck gesetzt werden kann. Zusammen mit Buchs kümmerte er sich um die Umsetzung der Idee und gehörte fortan zum Kernteam von TightValve.

Mit der Neuentwicklung zeigen Sensoren in Echtzeit, ob alles so funktioniert wie vorgesehen, oder ob direkt nachgebessert werden muss. Das Ganze wird über eine App visualisiert, so dass sich die Mediziner*innen ohne grossen Zeitverlust im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild machen können. Was technisch relativ einfach zu bewerkstelligen ist, erfordert Tests und Zulassungen, die Zeit in Anspruch nehmen. Der Herzklappen-Kontrollapparat wird schliesslich nicht in einem Automotor, sondern im Menschen eingesetzt. 

Am 10. Dezember 2024 schreibt Pascal Buchs per Mail: «Der Prototyp ist so gut wie fertig. Wir warten noch auf eine Autorisierung durch die Ethik-Kommission.» Ein erneutes Treffen verschiebt sich auf das neue Jahr.

Die Idee TightValves scheint so vielversprechend, dass die Innovationsagentur Innosuisse und der Schweizerische Nationalfonds ihre Unterstützung zusichern. Buchs bekommt eine sogenannte Bridge-Förderung in der Höhe von 130’000 Franken. Der Haken: Die Förderung ist an seine Person gebunden. Als Buchs stirbt, muss das Projektteam die verbleibende Summe zurückzahlen. Es fängt zumindest finanziell wieder bei Null an.

Ohne Geld und ohne Leader

Das bekommt Silje Jahren zu spüren. Die Forscherin mit Wurzeln in Norwegen hätte bei TightValve eigentlich keine führende Rolle spielen sollen. Die eigene Forschung und Lehre sind schon herausfordernd genug. Dann kommt alles anders. Sie verbringt die Weihnachtsferien in der Heimat, als sie von Buchs’ Tod erfährt. «Es war absurd», sagt sie rückblickend. 

Mit dem Neuenburger verband sie viel: Sie betreute seine Master-Arbeit, machte mit ihm die ersten Startup-Schritte und teilte die Leidenschaft für den Orientierungslauf. Die Norwegerin brillierte ebenfalls lange Zeit in dieser Sportart. 

Sich zu orientieren, hat für sie auch bei TightValve Anfang 2025 Priorität. Buchs hatte die volle Übersicht über die Finanzen, Experimente und Prototypen. Silje Jahren arbeitet sich Stück für Stück in die Materie ein. Und trifft auf zwei Hauptprobleme: Geld und das richtige Personal. Weil sie den Forschungsgrant zurückzahlen müssen, gilt es jetzt, andere Finanzierungsquellen zu erschliessen. Nur fehlt mit dem Ableben des Gründers auch die geeignete Person, um diese Arbeit zu erledigen.

Jahren sucht gemeinsam mit Dominik Obrist und Emmanuel Zimmer nach eine*r Projektnachfolger*in und wirbt an Grossanlässen wie den Startup Days um die Gunst der Investor*innen. Zu dieser Zeit stösst auch Lukas Glaus zum Team. Der Herzchirurg in Ausbildung und Ingenieur übernimmt beim Startup eine wichtige Brückenfunktionen zwischen der Medizin und den Ingenieurwissenschaften.

Gleichzeitig muss Jahren den Ethikantrag vorantreiben und sich mit Fragen der Patentierung auseinandersetzen. Ein volles Pflichtenheft: «Wir arbeiten ein bisschen mehr als sonst», sagt die Norwegerin, wobei ein wenig skandinavisches Understatement mitschwingt. 

Unterdessen ist der Sommer angebrochen. Im Café unterhalb des Artorg Center am Inselplatz schlecken Menschen Glacé. Silje Jahren brütet derweil ein Stockwerk höher über einer entscheidenden Frage: Wann kann die Methode erstmals am Menschen getestet werden? Ende Juli steht das Ergebnis des Ethik-Antrags noch aus. 

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Suchen noch nach Verstärkung: Glaus, Zimmer und Jahren. (Bild: Danielle Liniger)

Um keine Zeit zu verlieren, bereitet das Team den nächsten Schritt im regulatorischen Prozess vor: Im Rahmen einer Pilotstudie wollen sie testen, ob das Messprinzip auch im Menschen funktioniert – ohne jedoch die gewonnenen Daten direkt an die Chirurgin oder den Chirurgen zu übermitteln und so die Operation zu beeinflussen. Ist auch dieser Schritt gemeistert, stehen kostspielige klinische Studien an. Für diese braucht TightValve laut dem Projektteam Investor*innen. 

Wer wird «das neue Gesicht»?

Spätestens dann will TightValve ein neues Teammitglied gefunden haben, welches die betriebswirtschaftliche Seite im Blick hat. Der oder die Nachfolger*in für Pascal Buchs ist noch nicht rekrutiert, trotz erster Gespräche. Jahren bringt es auf den Punkt: «Wer wird unser neues Gesicht?» Die Krux: Sie können der Person zumindest in der Anfangszeit kein Gehalt zahlen. Dafür aber winke eine verantwortungsvolle Tätigkeit und ein technisch ausgereiftes Produkt, versichert Jahren. 

Und so wird die Wissenschaftlerin Ende August nur in Begleitung ihres Team-Kollegen Lukas Glaus am Venturekick-Anlass teilnehmen, an dem es um die Fördersumme von 150’000 Franken für junge Startups geht. Die Beiden werden ihren «Pitch» präsentieren und um die Gunst der Jury buhlen. Und währenddessen vielleicht einen Moment an Pascal Buchs denken. 

Dieser sei «immer noch irgendwie Teil davon», sagt Jahren. Auch über ein halbes Jahr nach seinem Tod komme es häufig vor, dass Menschen sie auf Buchs ansprechen. In der Wissenschaftsszene, aber auch bei Orientierungslauf-Wettkämpfen: «Wie läuft sein Projekt, fragen sie mich dann. Dass ich ihnen sagen kann, dass wir es trotz seines Tods weiterverfolgen, gibt mir in solchen Momenten neue Zuversicht und Motivation».

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