«Ich bekomme fast jeden Tag eine Anfrage für ein Investment»

Als Investor, TV-Juror oder Strippenzieher – in der Berner Start-up-Szene geht an Jürg Schwarzenbach kaum ein Weg vorbei. Wer ist der Berner Selfmade-Millionär?

Jürg Schwarzenbach. fotografiert im Impact Hub Bern. Er ist Unternehmer, Start-up-Investor und Juror in der Gründershow «Die Höhle der Löwen».
Foto: Susanne Keller
Jürg Schwarzenbach im Berner Impact Hub, den er mitgegründet hat. (Bild: Susanne Keller)

Jürg Schwarzenbach – so manchem Berner Start-up hat er als Geldgeber und Mentor zum Fliegen verholfen. Zum Beispiel dem Auto-Abo Anbieter Carvolution aus Bannwil, das zuletzt eine Finanzierungsrunde über 200 Millionen Franken abschliessen konnte. Schwarzenbach hat auch den Berner Impact Hub mitgegründet und be-advanced, die Berner Förderagentur für KMU und Start-ups, präsidiert. Und dann ist da noch das TV-Engagement: Bei der Sendung «Die Höhle der Löwen» auf dem Spartenkanal Oneplus entscheidet er als Juror mit, welches Start-up Geld bekommen soll. In gewisser Weise spielt Schwarzenbach dort sich selbst, ohne Drama und doppelten Boden. Nüchtern, analytisch, manchmal ein wenig spröde kommt er daher. «Ich bin kein grosser Visionär – wenn eine Idee mich packt, mache ich es», sagt Schwarzenbach über sich selbst.

Leute mit ziemlich grossen Visionen sind dagegen an diesem Dienstagabend in der  Eventfabrik auf dem Berner VonRoll-Areal zusammengekommen. Die Start-up-Gründer*innen sparen nicht mit Superlativen. Sie wollen neue Märkte erschliessen, neue Bedürfnisse wecken und «schnell skalieren». Damit solch schnelle Wachstumskurven gelingen, brauchen sie Geld. Und darum buhlen die Anbieter*innen von nachhaltiger Mode, Kontrolldrohnen und KI-Generatoren am Aareventures-Anlass. Die Ausgangslage ist denkbar einfach: Gründer*innen werben für ihre Ideen und Produkte und wollen so Menschen mit tiefen Taschen zu einem Investment bewegen. «Pitch» wird ein solcher Vortrag in der Start-up-Welt genannt.

Einer, der diese Situation des «Pitchens» bestimmt schon tausendfach durchgespielt hat, ist Jürg Schwarzenbach. «Ein bisschen wie eine Datingplattform» sei das hier, erklärt der 67-Jährige. Bei Aareventures, dessen Präsident Schwarzenbach ist, sind seit 2019 Berner Banken, Versicherungen, Treuhänder*innen und Unternehmer*innen versammelt. Sie haben eines im Sinn: Bern als Start-up-Standort auf die Sprünge helfen – und wenn es gut läuft, Gewinne für ihre Beteiligungen einstreichen. Seit Gründung sind laut Aareventures über 35 Millionen Franken an Investments über die Plattform durchgeführt worden. 

Ein Strauss an Beteiligungen

Schwarzenbach ist aktuell an rund 35 Start-ups und KMU beteiligt und hat in den vergangenen 20 Jahren so einigen Start-ups bei der Verkündigung ihrer Business-Idee zugehört. «Ich bekomme fast jeden Tag eine Anfrage für ein Investment», sagt Schwarzenbach. Doch nur bei einem Bruchteil der Jungunternehmen steigt er auch wirklich ein. Und von diesen wiederum verschwinden viele so schnell wieder in der Versenkung, wie sie aufgetaucht sind – das ungeschriebene Gesetz der Start-up-Welt. Neun von zehn gegründeten Start-ups überleben nicht, heisst es immer wieder.

Jürg Schwarzenbach. fotografiert im Impact Hub Bern. Er ist Unternehmer, Start-up-Investor und Juror in der Gründershow «Die Höhle der Löwen».
Foto: Susanne Keller
«Ich bin kein grosser Visionär – wenn eine Idee mich packt, mache ich es.» (Bild: Susanne Keller)

Wie Schwarzenbach in Anbetracht dieser schwierigen Ausgangslage seine Investments auswählt? Obwohl das Produkt beziehungsweise die Idee am Anfang wichtig seien, entschieden letztendlich die Köpfe: «Ein sehr gutes Team macht aus einem Seich etwas gutes», so Schwarzenbach. «Ich suche Gruppen, die sich untereinander gut ergänzen – nie Einzelgründer», so Schwarzenbach. «Einer allein kann sich nicht aus dem Sumpf ziehen». 

«2024 war kein gutes Jahr für mich», sagt Schwarzenbach. Ein paar der Unternehmen, in die er noch vor sechs Jahren recht intensiv investiert habe, seien unterdessen Pleite gegangen. So zum Beispiel der Anbieter von intelligenten Thermostatventilen Cleveron aus Stettlen. Schwarzenbach ist schon lang genug dabei, um zu wissen, dass auf jedes «Tal der Tränen» auch wieder eine Boomphase folgt und das Glück und Pech verdammt nah beieinander liegen können.

Mit Computer-Unternehmen zu Vermögen gekommen

Dass Schwarzenbach über Gedeih und Verderb anderer Business-Ideen mitentscheiden kann, war nicht immer so. Der gelernte Elektromonteur hat ab den 1980er Jahren das IT-Unternehmen Delec in Gümligen mit aufgebaut, das zu Hochzeiten die halbe Schweiz mit Computern belieferte. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt Schwarzenbach als Verwaltungsratspräsidenten inmitten von grossen beigen Kisten. Ebenso wie die PCs aus dieser Zeit, hatte auch sein Geschäft beträchtliche Ausmasse erreicht. Als er die Firma an einen deutschen Mitbewerber verkaufte, erzielte Delec über 100 Millionen Franken Umsatz. «Die Kasse war voll, und das Herz war leer», sagte Schwarzenbach, als er mit BZ/Bund (Abo) über die Zeit nach dem Verkauf sprach

Mit 47 Jahren wurde er zum mehrfachen Millionär. Seitdem hat er sein Geld immer wieder in Start-ups und KMUs gesteckt. «Leute, die eine Firma gewinnbringend verkauft haben, sollen auch wieder in Jungunternehmen investieren», findet der 67-Jährige. Das sei sehr befriedigend, denn man könne mitbestimmen und jungen Leute beim Wachsen zusehen, so Schwarzenbach, der zweifacher Vater und mittlerweile auch Grossvater ist.

Schwarzenbach investiert auch schlicht aus Neugier in Start-ups. Egal ob Kryptowährungen, künstliche Intelligenz oder Robotik – der Investor will verstehen, wie Dinge funktionieren, und ob ein Trend auch nachhaltig ist. «Wenn ich mich mit Unternehmer*innen unterhalte, kann ich viel lernen», so Schwarzenbach.

Und dann ist da auch noch eine Spur Lokalpatriotismus: Er will, dass in Bern, welches ohne eine ETH und ohne grosse Banken und Versicherungen auskommt, trotzdem neue Geschäftsideen entstehen können. Gerade im Bereich der Medizintechnik sei Bern mit der Anbindung an das Inselspital stark. In anderen Bereichen brauche es schlicht Zeit, um den Rückstand gegenüber Zürich oder der Genferseeregion aufzuholen. «Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht», sagt Schwarzenbach.

Prägende Figur

Sich selbst bezeichnet er als «Berater, Coach und Investor». Denn neben finanziellen Mitteln stelle er den Jungunternehmen auch ein Netzwerk zur Verfügung. Das fängt beim technischen Know-How an, das er bei anderen Unternehmen abholt, und hört bei juristischer Expertise auf. In der hiesigen Start-up-Szene ist er extrem gut vernetzt. 

Jürg Schwarzenbach. fotografiert im Impact Hub Bern. Er ist Unternehmer, Start-up-Investor und Juror in der Gründershow «Die Höhle der Löwen».
Foto: Susanne Keller
Schwarzenbach war bereits Präsident von be-advanced, der Berner Förderagentur für KMU und Start-ups. (Bild: Susanne Keller)

«In Bern ist er wahrscheinlich der bekannteste Investor», sagt Benjamin Domenig. Der Anwalt und Investor sitzt mit Schwarzenbach im Vorstand von Aareventures. Dieser sei eine Art Botschafter für den Berner Standort und ein Magnet für Investor*innen: «Wo Jürg investiert, investieren andere häufig auch», so Domenig.

Schwarzenbach attestiert er einen langen Atem mit den Teams, in die er investiert. Doch diese Geduld werde vielleicht manchmal ausgenutzt – zum Beispiel, wenn es um eine weitere kurzfristige Finanzspritze gehe. «Dann probiert man es nochmals bei Jürg», so Domenig zum Verhalten einiger Gründer*innen. Grundsätzlich würden Start-ups an ihm schätzen, dass man mit ihm auch über Dinge sprechen könne, die aktuell im Unternehmen nicht gut liefen. Oder wie Schwarzenbach es selbst ausdrückt: «Wenn es brennt, bin ich da». Das sei bei Private-Equity-Geldgeber*innen, für die schnelle Erfolge entscheidend sind, häufig anders, sagt Domenig. 

Als Berner allein auf weiter Flur

Wer Schwarzenbach an diesem Dienstagabend auf der Bühne beobachtet, sieht nicht das Klischee eines Massanzug tragenden Investors.

Schwarzenbach entspricht eher dem Bild des gemütlichen Berners: Mit seiner  schmucklosen Brille und der Trachtenjacke würde er auch an einem Volksmusikanlass kaum auffallen.

Dieses Image pflegt er auch in der TV-Sendung «Die Höhle der Löwen»: «Als Berner bin ich dort Exot. Ich gelte zwar als umgänglich, stelle aber kernige Fragen», sagt Schwarzenbach über seine Auftritte als Juror. Auch auf Sendung verhalte er sich im Grunde «wie daheim» – das hätten ihm schon Bekannte zurückgemeldet. Zwar lebt die Sendung von Übertreibung und Show, doch am Ende des Tages investiert die Jury echtes und zwar ihr eigenes Geld. «In der letzten Staffel habe ich bei zwei Start-ups ‘Ja’ gesagt», so Schwarzenbach. Am Bildschirm geschieht das durch einen Handschlag, später unterzeichnen beide Parteien einen Vertrag über die Beteiligung.

Whiskey-Investments, Mittel gegen Erektionsstörungen, Velo-Design – die Ideen der Gründer*innen sind gerade in ihrer Ausgefallenheit TV-tauglich. Und weichen damit vom weniger glamourösen Alltagsgeschäft ab. «Das macht mir einfach Spass», sagt Schwarzenbach über «Die Höhle der Löwen». Was ihn darüber hinwegsehen lässt, dass schon zwei seiner «Höhle der Löwen»-Investments inzwischen Konkurs gegangen sind. 

Kuvert für Gründer*innen

Der Aareventures-Anlass neigt sich dem Ende zu. Ob ein Unternehmen von Investor*innen Geld erhält, wird sich erst im Nachgang in vertraulichen Gesprächen zeigen. Bevor diese beginnen, stimmen die Anwesenden per Smartphone für den interessantesten Pitch des Abends ab. Zu gewinnen gibt es für die Gründer*innen unter anderem ein Team-Event auf einer Berghütte.

Eine technische Panne verzögert die Verkündigung des Siegers. Wie zu Beginn betritt Schwarzenbach die Bühne. Doch dieses Mal wirkt er aufgetaut, verfällt fast in den Plauderton. Er ist mehr erheitert denn beunruhigt ob der technischen Probleme. Einen langen Atem zeigt er nicht nur mit seinen Investments, sondern auch bei der weiteren Abendplanung: «Wir ziehen das hier durch, auch wenn es Mitternacht wird», sagt er. Als es dann doch noch gelingt, den Sieger zu ermitteln, überreicht Schwarzenbach ein Kuvert an die Chefs des Bündner Modelabels Muntagnard. Ausgerechnet die Bergler schickt man auf die Berghütte. So spielt das Leben.

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