Der Strom gehört der Crowd
Die Solarbranche erlebt derzeit stürmische Zeiten – ein Startup aus Bern hält dagegen: Mit gemeinschaftlich finanzierten Photovoltaikanlagen.
Er war auf dem Weg zu einer Karriere in der Diplomatie: Erst ein Studium der Politikwissenschaften und Internationales Recht in Bern und Lyon, anschliessend ein Engagement in der Aussenpolitik beim Bund. Doch als die Folgen des Klimawandels immer virulenter wurden, begann es in Aurel Schmid zu brodeln. Er fragte sich: Mit welchen Fähigkeiten könnte er einen konkreten Unterschied machen in der Emissionsreduktion? 2013 zog es ihn fürs Studium der Umweltwissenschaften ins schwedische Lund. Dort hörte er von einer «crowdfinanzierten» Energieversorgung, die in den USA getestet wurde. Darunter versteht man eine Finanzierungsform, bei der zum Beispiel der Bau eines Solarparks durch viele Menschen statt eines grossen Investors getragen werden.
Zurück in der Schweiz betrieb der Berner Marktforschung und kam zum Schluss, dass sich ein solches Modell auch hierzulande etablieren liesse. Schmid gründete daraufhin im Jahr 2016 das Unternehmen Solarify. Die Firma ermöglicht Privatpersonen und Unternehmen, Solarmodule zu kaufen, die jeweils in grösseren Solaranlagen installiert sind. Sie müssen also keine eigene Dachfläche besitzen, um die Energiewende voranzutreiben. Solarify verkauft im Auftrag der einzelnen Solarmodul-Besitzer*innen den Strom an Gebäudeeigentümer*innen und am Markt. Nach Abzug der Kosten für den eigenen Aufwand zahlt Solarify den Erlös alle drei Monate an die Kund*innen aus. In der Stadt Bern gibt es neben Solarify den gemeinnützigen Verein Sunraising, der ein ähnliches crowdfinanziertes System verfolgt. Statt einer Auszahlung erhalten Kund*innen dort allerdings eine bestimmte Solarstrom-Menge auf ihrer Stromrechnung gutgeschrieben.
Schmid begann zunächst mit 15 Modulen auf dem Hausdach seiner Eltern in Hünibach bei Thun. So startete er die Firma Solarify. Später kamen Aufträge der Stadt Bern hinzu, die bis heute zu den wichtigsten Kunden des Startups zählt. Inzwischen hat Solarify rund 120 Dächer in der gesamten Schweiz mit Solaranlagen ausgerüstet. 1800 Beteiligte haben dafür bislang insgesamt 20 Millionen Franken investiert. Das grösste realisierte Projekt befindet sich im Kanton Jura und umfasst 1800 Panels.
Die Anlagen von Solarify haben eine Leistung von insgesamt zehn Megawatt und produziert damit rund 10’000 Megawattstunden Strom pro Jahr. Damit können rund 2’000 durchschnittliche Schweizer Haushalte ein Jahr mit Strom versorgt werden. Heute arbeiten 27 Angestellte bei Solarify – neben Schmid führt ein vierköpfiges Geschäftsleitungsteam das Unternehmen. Dazu zählt auch Roger Langenegger. Er hat eines der gegenwärtig grössten Projekte des Unternehmens aufgegleist, den Bau einer Photovoltaikanlage auf dem Dach der Frauenklinik des Berner Inselspitals, das neu Marie-Colinet-Haus heisst.
Welche Dächer eignen sich?
Es ist Ende Februar: Roger Langenegger läuft über die Treppen durch die noch komplett entkernten Stockwerke. Sie gleichen einer Betonwüste. Auf dem Dach ist man dagegen schon weiter.
Dort stecken sechs Solarify-Angestellte Solarmodule ineinander. Solarmonteur*innen seien das, sagt Langenegger über die immer noch recht neue Berufsbezeichnung. Der Co-Geschäftsführer von Solarify blickt auf die bereits installierten rahmenlosen Module. Das Projekt auf dem Spitalgebäude sei «mit Abstand am schnellsten ausverkauft» gewesen, so Langenegger. Er führt das auf die Reputation des Spitals zurück. Ausserdem könne der gesamte produzierte Strom direkt im Spital genutzt werden.
Die insgesamt 583 Panels sind nun im Besitz von 83 Menschen.Die Gesamtkosten des Projekts belaufen sich auf rund 400’000 Franken. Zwar könnten mit der erwarteten Stromproduktion rund 60 Haushalte versorgt werden. In den Dimensionen des Inselspitals stellt die Installation aber keinen grossen Wurf dar: Das Inselspital verbraucht so viel Strom, dass die Solarstromproduktion nur einen kleinen Teil des Gesamtverbrauchs abdeckt.
Ohnehin seien die grossflächigen Dächer der Insel-Gebäude nicht so gut für die Installation von Solarmodulen geeignet, wie vielleicht angenommen werden könnte, sagt Langenegger: «Bei einigen macht uns die auf dem Dach verbaute Gebäudetechnik einen Strich durch die Rechnung, bei anderen ist es der Helikopter-Landeplatz.»
In Bern und seiner Agglomeration sind bislang nur rund fünf Prozent der potentiellen Solarstromleistung auf den Dächern installiert. Das liegt unter anderem daran, dass aufgrund des Denkmalschutzes keine Solaranlagen auf Altstadt-Dächern errichtet werden können. In den übrigen Stadt-Quartieren wollen verschiedene Akteure den Ausbau allerdings vorantreiben, darunter die Stadt selbst. Sie hat im vergangenen Jahr angekündigt, neben ihrer Kooperation mit Solarify, auf ihren Liegenschaften mehr eigene Anlagen in Betrieb nehmen zu wollen. Bei Neubauten wird die Solarstromerzeugung ohnehin in die Planung aufgenommen. Eine vergleichsweise grosse Photovoltaikanlage im Besitz der Stadt ist zuletzt auf dem Dach des Schwimmbads Neufeld in Betrieb gegangen. Auch die Burgergemeinde beginnt seit kurzem damit, eigene Liegenschaften mit Solarpanels auszustatten.
Nach dem Boom die Ernüchterung
Ein anderes Projekt von Solarify befindet sich auf dem Schosshaldenfriedhof an der Ostermundigenstrasse. Er zählt zu den grössten Friedhöfen der Stadt – neu soll eine Photovoltaikanlage auf dem Dach entstehen. Geht es nach Solarify, können schon bald 120 Panels rund elf Haushalte mit Strom versorgen. Oder E-Ladestationen für Autos alimentieren, die ebenfalls auf dem Areal geplant sind. Die Crowdfinanzierung hat dafür erst vor kurzem begonnen – ein Panel kostet rund 800 Franken. Neben einer solchen laufenden Crowdfinanzierung hat Roger Langenegger auch das Grosse und Ganze im Blick, also den Markt für Solarstrom und -anlagen. Auf diesem schoben sich zuletzt einige Wolken vor die Sonne. Nach den «Boomjahren» 2022 und 2023 sei man aktuell in einer «Konsolidierungsphase», so der Co-Geschäftsführer. Einzelne Installationsfirmen für Solarmodule gingen im vergangenen Jahr Konkurs, während sie sich vorher kaum vor Aufträgen retten konnten. Auch Hersteller von Solarmodulen wie Meyer Burger in Thun strauchelten.
Hinzu kommt: Langenegger hält die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen für «instabil» – gerade im Grossanlagen-Segment, in dem Solarify unterwegs ist, sei die aktuelle Situation «wenig förderlich». Denn noch sind nicht alle Verordnungen zum Stromgesetz ausgearbeitet, welches das Stimmvolk im Juni 2024 annahm. Mit diesem soll die Stromversorgung mit erneuerbaren Energien erleichtert werden – eines der Instrumente ist die Gründung von lokalen Elektrizitätsgemeinschaften. Bis diese richtig starten können, werde es bis 2027 dauern, schätzt Langenegger. Diese sollen unter anderem dabei helfen, ein lange bestehendes Problem zu lösen: Seit die Einspeisevergütung vor einigen Jahren wegfiel, lohnt sich die Produktion von Solarstrom insbesondere, wenn er direkt lokal verbraucht wird.
Ein Generationenprojekt
Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen plant Solarify, im Jahr 2025 weitere 40 Anlagen in Betrieb zu nehmen – der Firma hilft dabei die vergleichsweise tiefe Auslastung von Solarinstallateuren, mit denen das Unternehmen zusammenarbeitet. Solarify nutzt die Flaute in der Branche laut eigener Aussage auch dafür, um eigene Prozesse zu optimieren.
Roger Langenegger arbeitet schon seit acht Jahren für Solarify und gehört zum Kernteam der Gründungsphase. Warum der 30-Jährige immer noch dabei ist: Die Transformation des Energiesystems, um erneuerbare Energien grossflächig zu nutzen, sei ebenso spannend wie herausfordernd: «Es ist vielleicht eines der grössten Projekte der Schweiz: Wir bauen in 20 Jahren ein System um, das sich in 100 Jahren entwickelt hat».
Gründer Aurel Schmid wird ihm auf dieser Reise bald nur noch beratend zur Seite stehen. «Ich werde im Verwaltungsrat bleiben, aber ab dem Sommer nicht mehr operativ tätig sein», sagt der 46-Jährige. Nach rund zehn Jahren in einem Startup, brauche er jetzt mehr Zeit für die Familie, so der Vater zweier Kinder.
Es gehe ausserdem darum, seine Fähigkeiten richtig einzuschätzen: «Ich kann gut eine Idee starten», so Schmid. Aber in der kommenden Phase seiner Firma seien diese Qualitäten weniger gefragt. Viele Startups hätten diesen Wechsel an der Spitze nicht rechtzeitig geschafft – «ich will, dass es bei uns anders ist», so Schmid.