«Um Hoffnung geht es nicht»
Eva Maria Leuenberger erhielt an den Solothurner Literaturtagen für den Lyrikband «die spinne» einen Schweizer Literaturpreis. Begegnung mit einer leisen und widerständigen Person.
An diesem heissen Tag treffen wir uns in einem vergleichsweise kühlen Hinterhof. Die Solothurner Literaturtage, in deren Rahmen auch die Schweizer Literaturpreise verliehen werden, sind in vollem Gange. Einen dieser Preise erhält Lyriker*in Eva Maria Leuenberger für das Langgedicht «die spinne», das sich mit Auswirkungen der Klimakrise auf die Gefühlswelt auseinandersetzt.
«Ich werde immer wieder nach Hoffnung gefragt», sagt Eva Maria Leuenberger, «oder nach Lösungsvorschlägen.» Doch darum gehe der Text nicht.
Flügchen und die Spinne
Die Figur Flügchen liegt auf einer Matratze im Zimmer und beobachtet sich selbst und eine Spinne an der Decke. Draussen brennt die Welt, oder vielleicht auch nur im Smartphone, dem «faksimile einer welt», durch dessen Glas alles Unschöne der Welt in dieses Zimmer dringt. Flügchen ist ausgesetzt und geschützt zugleich, ohnmächtig und schamerfüllt. Bis es zu einer Vereinigung mit der Spinne kommt, der Text ins traumartige kippt, Flügchen der Natur begegnet und sich darin auflöst.
Eva Maria Leuenberger scheint irritiert von der Rezeption, die sich so stark auf die einfache Hoffnung fokussiert. Dabei ist für Leuenberger das Potential der Lyrik gerade die Ambivalenz und Offenheit, die ermöglichen «Sachen genau zu benennen, die durch andere Sprache nicht benennbar sind».
Eva Maria Leuenberger will nicht die Person sein, die für einfache Antworten sorgt. Leuenberger hadert mit den Worten, zeigt Widersprüche auf und entschuldigt sich, keine klaren Antworten zu geben. «Die Auflösung in der Natur ist auch ein Wunschbild, keine Lösung», sagt Leuenberger.
Deshalb endet der Text auch nicht dort, in der Auflösung, sondern in der Gegenwart, in einem Zimmer. Draussen ist kein Inferno, denn Flügchen wird das Ende nicht miterleben. Die Klimakatastrophe ist eben keine bildstarke Dystopie. Und auch keine romantische Naturverschmelzungs-Utopie wird sie aufhalten.
Misstrauen gegenüber Rezepten
Eva Maria Leuenberger, 1991 in Bern geboren, studierte an der Universität Bern und an der Hochschule der Künste Bern. Das Lyrikdebüt «dekarnation» aus dem Jahr 2020, das sich auch bereits mit dem Verhältnis von Körpern und der Natur auseinandersetzt, wurde mit dem Basler Lyrikerpreis ausgezeichnet. In vier Zyklen werden viele Zitate zu einem neuen Text verwebt, fortgeschrieben, variiert.
Das zweite Buch, «kyung», ist ganz direkt mit einem Referenzwerk verbunden, Leuenberger spürt darin der Autorin Theresa Hak Kyung Cha nach, welche die Veröffentlichung ihres lyrischen Werkes «dictées» nicht mehr miterlebte, weil sie in einem Parkhaus vergewaltigt und ermordet wurde.
Eva Maria Leuenbergers Misstrauen nach zu einfachen Rezepten zeigt sich auch im eigenen Schreiben: «Wenn etwas automatisch wird, dann muss ich aufpassen.» So nahm sich Leuenberger vor, beim dritten Werk «die spinne» auf Zitate zu verzichten. Das einzige direkte Zitat, «man gewöhnt sich an alles», stammt vom befreundeten Lyriker Levin Westermann und ist aus Versehen hineingerutscht.
Keine Dankesrede
Für «die spinne» erhält Leuenberger an diesem Abend an den Solothurner Literaturtagen einen Schweizer Literaturpreis vom Bundesamt für Kultur. Die Preisverleihung ist gut besucht, Moderatorin Flurina Badel wechselt fliessend und mitten in den Sätzen zwischen allen Landessprachen, der Präsident der Jury, Thierry Raboud, spricht in seiner Eröffnungsrede in französischen Versen vom Verbundensein mit den Menschen von Blatten.
Alles klappt wie am Schnürchen, alles entspricht ganz der feierlichen Veranstaltung, welche die Augen vor der Welt nicht verschliesst, aber doch von ihr getrennt ist. Nur zwei kleine Momente deuten auf diese ungelöste Spannung hin.
Der erste ist die Dankesrede von Laura Leupi, ausgezeichnet für den Roman «Das Alphabet der Sexualisierten Gewalt». «Ich sehe das als Statement», sagt Leupi in Bezug auf die Auswahl der Texte, die von verschiedenen Formen von Gewalt erzählen: Von Gewalt an FINTA-Personen, von vergangenen Kriegen, die sich in Familiengeschichten auswirken, von der Zerstörung an der Natur. Leupi spricht an, dass die offizielle Schweiz zwar Preise verteilt, sich aber nicht ausreichend zur realen Gewalt im Hier und Jetzt verhält. Die reale Politik in den Raum zu bringen, ist eine Überschreitung der Regeln des Literaturbetriebs, das ist im angespannten Raum sofort zu spüren.
Der zweite Moment ist, als Eva Maria Leuenberger auf die Bühne tritt, den Preis entgegennimmt, und wieder von der Bühne abgeht. Ohne Dankesrede. «Ich bin sehr dankbar für den Preis und ich fühle mich geehrt, dass der Text gesehen wird», sagt Leuenberger später. Aber es bleibe ein Unwohlsein, dass solche Texte gefeiert und ausgezeichnet werden, und damit das Thema erledigt sei. «Es scheint, als ob die Bücher ein Symbol werden, als könnte man damit sagen: Wir thematisieren das, wir reden ja darüber. Aber es dann dabei belässt. Ich habe deswegen nichts gesagt. Weil ich merkte, entweder macht man es so wie Laura, oder man sagt einfach nichts.»
Anschreiben gegen die Verdrängung
Das Langgedicht «die spinne» ist entstanden aus dem Versuch, die automatische Verdrängung zu umgehen. Leuenberger hat eine Zeit lang alles angeschaut, alles gelesen, was mit der Klimakatastrophe zu tun hat, und der Trauer, der Scham, der Ohnmacht Platz gegeben, das Leid zugelassen.
Dieser Widerspruch, als schreibender Mensch nichts ausrichten zu können, und sich trotzdem mit den realen Problemen auseinandersetzen zu wollen, findet sich im Text ganz explizit.
dass kein regen mehr trinkbar ist, nirgendwo,
an keinem ort. dass kein gedicht das wasser
reinigt, kein wort den durst noch löscht.
und trotzdem kratzt du deine zeichen ins papier,
egal, wie viele bäume darin verenden.
«Ich hatte auch schon Gespräche mit Leuten, die viel schneller in die Wut kommen, während ich zuerst einen ganzen Prozess von Scham durchmachen muss», sagt Leuenberger. «Menschen schreiben immer aus ihren Erfahrungen und aus ihren Körpern heraus. Ein weisser cis hetero Mann schreibt einen anderen Text über die Klimakrise, als ich ihn schreibe. Der Verdauungsprozess verläuft anders, weil der Körper ein anderer ist.»
Für Leuenberger war das Schreiben dieses Textes Notwendigkeit, um weiterzumachen. Weil durch die Auseinandersetzung mit der Zukunft der Text nicht bei der Sinnlosigkeit bleibt. Die Auseinandersetzung mit den Zukunftswünschen und Ängsten, mit den Utopien und Dystopien ist ein Überlebensimpuls. «Sich selbst in eine Zukunft zu denken, heisst, man macht weiter.»
Sinn in der Literatur findet Eva Maria Leuenberger nicht an Literaturfestivals, sondern erst wieder in der Ruhe. «Es liegt auch ein Potential darin, dass Lyrik nichts kann», sagt Leuenberger und im nächsten Atemzug: «Ich bin dankbar, dass ich diesen Text für mich geschrieben habe. Und vielleicht gibt es Menschen, die ihn lesen und sich darin verstanden fühlen.»
Eva Maria Leuenberger: «die spinne», Literaturverlag Droschl, 96 Seiten.