Einfach nur zuhören

Als würde man gemeinsam in der Küche sitzen und sich gegenseitig Lieblingsmusik vorspielen: In Berns Clublandschaft sind Listening-Anlässe angekommen. Zu Besuch bei den Veranstalter*innen der Dampfzentrale und der Prozess Bar.

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(Bild: Pia Zibulski)

Einmal im Monat am Donnerstagabend findet sich in der Prozess Bar nahe dem Europaplatz eine Gruppe Menschen ein, um gemeinsam Musik zu hören. «Um mehr als das geht es eigentlich nicht», sagt Eglė Šalkauskyte, die diese Abende zusammen mit Till Hillbrecht nun seit einem guten Jahr veranstaltet.

«Painless Listening» nennt sich das Format. Jeweils zwei Personen geben während 45 Minuten Einblick in Musik, die ihnen wichtig ist: Kindheitsmusik, Lieblingspopmusik, aktuelle Hörgewohnheiten, alte Lieben, Ruhiges oder Lautes oder alles zusammen. Die Auswahl steht den Spielenden frei, auch DJ-Skills müssen sie keine vorweisen – eine Spotify-Playlist tuts ebenso.

Das Publikum fläzt sich auf die herumliegenden Kissen, setzt sich auf Sofas oder oben in der Galerie an ein Tischchen – und hört zu. «Die meisten von uns kennen das, man sitzt gemeinsam in der Küche und fängt irgendwann an, sich gegenseitig Musik zu zeigen. Daran orientiert sich auch ‹Painless Listening›», sagt Šalkauskyte.

Wie vor fast hundert Jahren in Japan

Sie erzählt aber auch von Listening Bars beziehungsweise Hi-Fi-Bars, im Japanischen Jazu Kissa genannt, die sich in den späten 1920er Jahren in Japans Städten zum ersten Mal etablierten. Man traf sich dort, um auf hochwertigen Musikanlagen gemeinsam Jazz zu hören.

Bis in die 1970er Jahre wuchs ihre Anzahl stetig und auch über Japan hinaus, danach gerieten sie in Vergessenheit. Seit einigen Jahren ist man in vielen Städten weltweit auf diese besondere Art des Zusammenseins zurückgekommen: in Grossstädten wie Tokio, London, Amsterdam oder Berlin, aber auch anderswo. Zum Beispiel in Bern.

Neben dem Prozess bietet auch der Progr ein Listening-Format an, bei dem unter dem Namen «Hausmusik» im Kulturzentrum ansässige und/oder aktive Künstler*innen Musik ab Konserve spielen. «Keine klassische Party soll das werden, vielmehr so, als würden sich gute Freund*innen zu Hause im Wohnzimmer gegenseitig Lieblingsmusik vorspielen», heisst es dazu auf der Website des Progrs.

Die Dampfzentrale veranstaltet derweil seit gut einem Jahr jeden dritten Sonntagnachmittag im Monat den «Lazy Club». «Es scheint schon in der Luft gelegen zu haben», sagt Noah Krummenacher, der das Format zusammen mit Dampfzentrale-Booker*innen Dominika Jarotta und Roger Ziegler kuratiert: Genau zur gleichen Zeit wie die Prozess Bar hätten sie damit angefangen und gegenseitig nichts vom jeweils anderen gewusst, «obwohl wir in ziemlich ähnlichen Kreisen unterwegs sind.»

Alternative im Alltag

Es sind keine einfachen Zeiten für die Berner Clubs: Schon länger und verstärkt seit Corona schlagen sie sich mit sinkenden oder zumindest unsteten Besucher*innenzahlen herum; Clubbetreiber*innen berichten von schwierigen Rahmenbedingungen, vom schmaleren Budget der Leute, die an der Bar weniger ausgeben oder vom veränderten Ausgehverhalten insbesondere der jüngeren Generation.

Sind Listening-Formate eine Möglichkeit, wieder mehr Leute in den Club zu kriegen, oder zumindest andere – solche zum Beispiel, die sich aus unterschiedlichsten Gründen die Nächte nicht um die Ohren schlagen wollen?

«Ein Ersatz für eine Clubnacht ist ein Listening-Anlass sicher nicht», meint Šalkauskyte. Sie persönlich möge an Festivals sehr, wenn es tagsüber irgendwo einen Floor gebe, wo man zum Musikhören einfach rumhängen könne. Das Format in der Prozess Bar sei auch ein wenig ein Versuch, im Alltag, jenseits des Festivalausnahmezustands, einen solchen Ort zu etablieren.

Auch Jarotta und Krummenacher wollen im «Lazy Club» keinen Ersatz, sondern eher eine Ergänzung zum Clubleben sehen, die etwas andere Bedürfnisse und damit vielleicht auch andere Leute anspricht als eine klassische Clubnacht. Solche werden sowohl im Prozess als auch in der Dampfzentrale aktuell ohnehin wenig veranstaltet.

Kein Druck, fit zu sein

«Es geht hier ganz grundsätzlich auch um Gemeinschaft, die durch das gemeinsame Hören von aktueller Musik entsteht», sagt Krummenacher. Und stellt sich dabei viele Fragen: Wer gehört zu dieser Gemeinschaft, wer nicht, und warum? Wie kann ein Raum angenehm gestaltet werden, wie lädt er möglichst unterschiedliche Menschen zum Verweilen ein, ohne dabei an inhaltlicher Tiefe zu verlieren? Wie kann er schützen, aber nicht (zu) exklusiv sein?

Mit solchen Fragen würden sie sich als Veranstalter*innen immer wieder auseinandersetzen, so Krummenacher. Und Jarotta ergänzt: «Der ‹Lazy Club› ist in der Regel ein Ort, der etwas niedrigschwelliger funktioniert als andere Veranstaltungen in der Dampfzentrale.» Etwa, weil der Eintritt auf Kollekte basiert.

Und auch der Zeitpunkt trägt dazu bei: Sonntagnachmittag, viel Licht scheint durch die hohen Fenster des Foyers, die Türen nach draussen sind offen. Da komme es etwa ab und zu vor, dass von den vielen Sonntagsspaziergänger*innen an der Aare mal jemand reinschaut, sich an der Bar einen Kaffee bestellt und eine Weile hängen bleibt. «Allgemein haben wir beim ‹Lazy Club› auch Publikum, das sonst weniger in der Dampfzentrale ein und ausgeht. So findet an diesen Anlässen auch eine Durchmischung statt», sagt Jarotta.

Wie sieht das im Prozess aus? Je nach dem könne «Painless Listening» schon ein bisschen eine «bubblige Veranstaltung» sein, sagt Šalkauskyte: Viele der Gäst*innen würden zu einer gemeinsamen Szene gehören, für die das Format eine Art Fixpunkt geworden sei. «Das finde ich auch nicht falsch, schliesslich sind solche Treffpunkte wichtig.» Sie könne sich allerdings schon vorstellen, dass es nicht ganz einfach sei, hier zum ersten Mal dazuzukommen: Unter Leute, die sich offensichtlich kennen, im Prozessraum auf Kissen sitzen, zum Teil aneinander gekuschelt.

Umso mehr freut sich Šalkauskyte über neue Gesichter, von denen es jedes Mal wieder ein paar gebe. «Dafür ist der Anlass eben auch geeignet. Im Gegensatz zu einer klassischen Clubveranstaltung habe ich zum Beispiel keinen Druck zu tanzen oder allgemein fit zu sein. Wer niemanden kennt oder einfach so gerade mit niemandem reden mag, kann sich einfach hinsetzen oder hinlegen. Vielleicht etwas lesen. Oder einfach nur zuhören.»

Nächste Veranstaltungen:

Painless Listening mit Rana Bassil und Dîlan Kiliç, Prozess Bar, 17. April, 20 Uhr.

Lazy Club (Extended Version) mit Henry Love, 221Rn, Donya Speaks, Maxi Ehrenzeller, CRTTR, Tapiwa Svosve, KUMARI, aya, Tamriko Kordzaia, royalbrut, Rolf Laureijs, Rainy Miller, Apinti & Thy, twoorchids. Dampfzentrale, 20. April, ab 15 Uhr.

Hausmusik mit Bartli & Zaubermann, Turnhalle Progr, 29. April, 19 Uhr.

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