Eisbrecher – Hauptstadt-Brief #458

Donnerstag, 1. Mai 2025 – die Themen: Reitschul-Gelateria; Berner Mode; Tram-Achse; Vintage-Gitarren; Brot-Bistrot; Gemüse-Abo; Kunsthalle.

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(Bild: Marc Brunner, Buro Destruct)

Über die vorübergehende Schliessung der Reitschule sprach Anfang Januar die halbe Schweiz. Der Grund: Im wohl bekanntesten Kulturort Berns eskalierte die Gewalt –Reitschüler*innen sprachen von einer «unhaltbaren Situation» und zogen die Reissleine. Als die Reitschule 14 Tage später wieder aufging, geschah dies mit viel Optimismus. Kein Drogenhandel mehr vor oder in der Reitschule, hiess es damals. Ausserdem solle der Aussenraum aufgewertet werden durch mehr Sitzgelegenheiten und mehr Farbe.

Heute, rund drei Monate nach der Ankündigung, wird konkreter, wie dies aussehen könnte. Die Reitschule will auf dem Vorplatz einen Eisbrecher errichten. Und damit ist nicht etwa ein tonnenschweres Schiff aus dem Polarmeer gemeint, sondern eine Gelateria gleichen Namens. Sie soll laut dem Kollektiv der Reitschule dabei helfen, das Eis zu brechen. Und zwar beim gemeinsamen Glacéschlecken, damit der Vorplatz wieder zum Verweilen einlädt.

Seit gestern Abend sucht das Kollektiv 40’000 Franken per Crowdfunding, um die Eisdiele eröffnen zu können. Warum ausgerechnet eine Gelateria? «Wir hatten Lust darauf», sagt David Böhner. Er sitzt für die Alternative Linke im Stadtrat und ist Teil des Reitschul-Kollektivs, das hinter dem Projekt steht. Ausserdem gebe es ein solches Angebot schlichtweg noch nicht in der Reitschule. Eine weitere Bar hätte dagegen für interne Konkurrenz gesorgt. Die erste Glacé soll bereits Ende Mai über die Theke wandern – und damit noch vor dem offiziellen Ende des Crowdfundings. Das sei auch deshalb möglich, weil man für die Gelateria ein Darlehen von einer Privatperson bekommen habe, das einen Teil der Ausgaben decke, so Böhner.

Dementsprechend weit fortgeschritten ist das Projekt: Die Gelateria soll jeweils von Mittwoch bis Samstag öffnen. Auch Soli-Glacén für einkommensschwache Menschen sind geplant – angelehnt an den Café Surprise. Der Glacé-Lieferant steht bereits fest: Die kollektiv betriebene Manufaktur Acero aus Basel. Etabliere sich der Glacé-Stand auf dem Vorplatz, wolle man eine eigene Produktion aufbauen, so Böhner. Das Kollektiv gibt sich dafür bis Herbst Zeit – «es ist ein Versuch», sagt Böhner.

Einen Vorgeschmack auf das Projekt liefert das Kollektiv bereits heute Nachmittag beim Maifest auf dem Bundesplatz: Ab 17 Uhr lädt es dort zum Glacé-Degustieren ein.

Hilfikerstrasse gespiegelt
Bilderserie von Thomas Kaspar (2/12): Hilfikerstrasse gespiegelt. (Bild: Thomas Kaspar)

Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:

  • Mode: In Bern ein Modelabel zu betreiben, ist kein Selbstläufer. Es bedeutet, in einem sehr kleinen Markt aktiv zu sein. Die beiden Bernerinnen Susanne Pfeffer und Nicole Verbeek können ein Lied davon singen. Und doch haben sie mit dem Label «Pfeffer/Verbeek» in den letzten Jahren eine Stammkundschaft aufgebaut. Zu dieser zählen auch Politikerinnen, darunter die GLP-Gemeinderätin Melanie Mettler. Welche Rolle die Einführung eines jährlichen Fixbetrags für den Erfolg spielte, zeigt der Artikel meiner Kollegin Marina Bolzli.  
  • Verkehr: Die Stadt Bern hat ein grosses Kapazitätsproblem mit dem öffentlichen Nahverkehr. Eine zweite Tramachse durch die Berner Innenstadt entlang der Bundesgasse hätte Abhilfe schaffen sollen. Seit gestern ist klar, dass diese Vision, an der Stadtplaner*innen jahrelang gearbeitet haben, nicht Realität wird. Ein Grund dafür ist der beharrliche Widerstand der Bundesverwaltung. Warum der Wegfall der Tram-Option durch die Bundesgasse ein Debakel für die Stadtregierung darstellt, zeigt mein Kollege Jürg Steiner in dieser Analyse auf.  
  • Fotoporträt: Gitarre ist cooler als Blockflöte – das haben wohl die meisten von uns im Schulalter gedacht. Bei Michael Marti hat sich daraus allerdings eine lebenslange Leidenschaft entwickelt. Er habe mittlerweile schon mehrere tausend Gitarren gespielt, sagt der Musiker im Gespräch mit meiner Kollegin Victoria Habermacher, die ihn zusammen mit der Fotografin Danielle Liniger für ein Porträt besucht hat. Einige der Instrumente stehen heute in seinem Laden für Vintage-Gitarren in der Lorraine.
  • Bistro: Vom Eigerplatz aus hat sich die Sauerteig-Bäckerei «Le Bread» in den letzten Jahren eine Fangemeinde aufgebaut. Verkaufte sie ihre Brote und Patisserie bislang direkt aus der Backstube, wagt sie nun den nächsten Schritt. An der Belpstrasse 28 hat das Team um Bojana Antovic Paillard gestern ein Bistro und Café mit 35 Plätzen eröffnet. Neben dem gewohnten Backwerk gibt es neu auch Kaffee und verschiedene Getränke sowie ein Frühstücks- und Mittagsangebot.  
  • Gemüseabo: Mehrere Berner Initiativen solidarischer Landwirtschaft bündeln ihre Kräfte. Die sieben Projekte betreiben neu die Plattform Solawi Bern. Mit dem Zusammenschluss reagiere man auf die Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu finden, schreibt Solawi in einem Communiqué. Die Homepage biete eine Übersicht über Produkte, Mitsprache, Arbeitseinsätze und Organisationsform der jeweiligen Höfe.
  • Kunst: Passant*innen am Helvetiaplatz werden es in den vergangenen Tagen schon gesehen haben: Die gesamte Kunsthalle ist in Jutesäcke gehüllt. Es handelt sich dabei um eine «öffentliche Skulptur» des ghanaischen Künstlers Ibrahim Mahama, die den Namen «Chrysalis» trägt – zu Deutsch «Verpuppung». Die Verhüllung hat zwei Bedeutungsebenen: Das ist einerseits die einjährige Schliessung der Kunsthalle, welche die neue Direktorin Iliana Fokianaki ihr verordnet hatte. Bevor diese endgültig beendet ist, werde sich die Kunsthalle während eines Monats in einen Zustand der Verpuppung begeben, teilte die Institution auf ihrer Homepage mit. Das heisst, sie wird keine Kunst in ihrem Inneren ausstellen, sondern selbst zum Werk. Mit seinem Verhüllungsprojekt, das unter anderem den globalen Handel thematisiert, spielt Ibrahim Mahama auf berühmte Vorläufer*innen an: 1968 hüllten Christo und Jeanne-Claude die Kunsthalle in weisses Tuch. Es war eine der ersten grossen Gebäudeverhüllungen dieser Art, mit der die beiden international Bekanntheit erlangten.

PS: Die Berner Jazz-Musikerin Nicole Johänntgen stellt morgen Freitag ihr neues Album «Labyrinth II» in der Villa Stucki vor. Los geht es um 20 Uhr. Es wird um eine Kollekte in Höhe von 20 Franken gebeten.

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Diskussion

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Christoph Grottolo
04. Mai 2025 um 18:30

Ich bin etwas spät - aber ein Link auf das Crowdfounding der Reitschule fehlt:

https://www.crowdify.net/de/projekt/eisbrecher/