Im Wasser ein Herz

Unsere Literatur-Kolumnistin geht an der Aare und spürt, dass der Herbst näher kommt: ein Liebesgedicht an den Fluss.

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(Bild: Silja Elsener)

Wind teilt sich mit, indem er berührt. Er durchschreitet jeden Körper ungeachtet seiner Form.

Am Ufer werden die Blätter von Sonnenlicht durchquert. Sie schlucken das Licht, wo sie einander berühren, bilden dunkelgrüne Ovale. Eines hebt sich, hinterlässt in der Krone ein Loch.

Dort am Himmel ein genau bemessenes Spiel. Drei Uferschwalben ziehen halbe Kreise. Sie lassen sich fallen, als könnte der Weg zum Wasser nicht enden, bleiben stehen, kurz bevor er es tut. 

Der Fluss ist grün wie die Weide, die sich über das Ufer beugt, um der Strömung nachzuspüren. Braun wie die Erde, die vom Grund durch das aufgewühlte Wasser zieht. Er ist farblos, weil das Bild der Steine am Grund meine Augen vom Ufer aus erreicht.

Ich lasse meine Hand ins Wasser gleiten und finde es kalt. Der Fluss und die Blätter werfen einander Sonnenlicht zu. 

Die Steine am Grund werden von Adern durchzogen, wo es sie auseinanderriss und sie verheilten. 

Je länger meine Augen den Weg zwischen den Ufern wiederholen, desto weniger begrenzen sie den Fluss. Sie treffen auf die Wasseroberfläche, ohne sich an ihr zu bedienen.

Der Wind befüllt das Ufer mit Gräsern, die schon weich waren, bevor er sie berührte. Er erdet mich, weil er alles verbindet. Die Gräser mit den beunruhigten Blättern. Das Wasser mit der ausgebleichten Stadt.

Als zwei Luftmassen aufeinandertreffen. Donner aufbricht, sich über dem Himmel entleert.  Die mit Regen angefüllten Wolken unter ihrem Gewicht zerbersten. 

Als Regen die aus den Zwischenräumen bewaldeten Pflastersteine füllt. Der Fluss sein Fassungsvermögen dehnt.

Liegt am Ufer ein Knoten Schwemmholz, mein von Wasser umspültes Herz. 

Als das Licht das Wasser härtet. Den Blättern die Farben auszieht. Die Grashalme voneinander scheidet.

Selma Imhof
Aarekolumne
hauptstadt.be
Zur Autorin

Selma Imhof (27) lebt und schreibt in Bern. Aktuell arbeitet sie an ihrem literarischen Debut «Wasser, Taube», das von Stadt und Kanton Bern gefördert wird. Für die «Hauptstadt» schreibt sie einmal im Monat eine literarische Kolumne zur Aare.

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