«Fürs Tanzen bin ich auf die Welt gekommen»

Fotoporträt #22: Moe Rohr (34) aus dem Rossfeld führt in Bern ein queerfeministisches Tanzstudio. Sie tanzt, weil sie das am Leben erhält.

Moe von Tanzheit
Porträtkolumne
hauptstadt.be
@ Danielle Liniger
Tanzen auf Augenhöhe, ohne Machtgefälle: Die Vision von Moe Rohr. (Bild: Danielle Liniger)

«Als ich zum ersten Mal in diesem Raum in der Zwischennutzung Dazwischen an der Mattenhofstrasse stand, fühlte sich meine Vision plötzlich real an. Ich wusste, dass ich eine queerfeministische Paartanz-Community aufbauen möchte. Darunter verstehe ich unter anderem das Tanzen als Kommunikation auf Augenhöhe, ohne die komischen Machtgefälle zwischen den Tanzpartner*innen. Hier konnte und wollte ich das realisieren.

Ich bin eine Person, die von etwas die Hände lassen muss, wenn ich nicht richtig dahinter stehen kann. Deshalb hatte ich im Tanzstudio, in dem ich zuvor unterrichtete, ins Blaue hinaus gekündigt. Klar, ich musste dann alibimässig schon noch eine Nacht darüber schlafen, ehe ich es mit meinem Studio wirklich wagte. Inzwischen läuft es schon fast zwei Jahre.

Moe von Tanzheit
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Wenn Moe Rohr tanzt, wird es ruhig in ihrem Kopf. (Bild: Danielle Liniger)

Ich habe ganz klein angefangen. Für Tanzkurse haben die Leute ja eher am Abend Zeit. Und da ich ein kleines Kind habe, unterrichte ich an drei Abenden pro Woche eine bis drei Lektionen. Ich gebe einerseits Bodymovement, ein niederschwelliges  Körpertraining, und andererseits Salsa Role-Swapping, bei dem man von Beginn weg beide Rolle lernt.

Normalerweise führt man im Paartanz oder man folgt, und das macht man dann ein Leben lang. Daraus entsteht erstens häufig ein Machtgefälle. Und zweitens gewinnt das Tanzen an Tiefe und Durchlässigkeit, wenn man sich als Follower*in auch mal die Leadposition begibt und umgekehrt.

Fürs Tanzen bin ich auf die Welt gekommen. In meinem Kopf ist es normalerweise extrem laut. Wenn ich tanze, wird es ruhig. Tanzen ist eine Bedingung, dass ich leben kann. Ernsthaft mit Tanzen angefangen habe ich im Gymer. Ich habe gemerkt, dass ich im Paartanz mit Menschen in Kontakt kommen kann, ohne reden zu müssen. Denn Reden war schon immer ein grosser Stress für mich.

Moe von Tanzheit
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In ihrem Tanzstudio kann Moe Rohr sein, wie sie ist. Endlich! (Bild: Danielle Liniger)

Ich habe beim Tanzen meinen Partner kennengelernt, wir haben gemeinsam unterrichtet, choreographiert und sind aufgetreten, er hat mich stets unterstützt und ermutigt – auch in meinem Studio. Das klassische Tanzschul-Setting ist sehr stark auf dem binären Geschlechtsdenken aufgebaut. Als konventionelle Tanzlehrerin würde ich dieses System unterstützen, in dem sich nicht alle wohl und sicher fühlen können. Mich eingeschlossen.

Die Community gibt mir wahnsinnig viel, seit ich mein queerfeministisches Studio habe. Viele Menschen haben ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich. Ich bekam immer wieder zu spüren, dass es für mich und meine Bedürfnisse keinen Platz hat. Hier aber kann ich sein und werde gesehen, wie ich bin. Und ich kann eine Kultur etablieren, in der ein sensibler, respektvoller und bedürfnisorientierter Umgang die Norm ist.»

Das Tanzstudio von Moe Rohr heisst Tanzheit und befindet sich an der Mattenhofstrasse 5. 

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