Stimme erheben – Hauptstadt-Brief #479

Samstag, 21. Juni – die Themen: Flüchtlingssession; Demo; Literatur; Stadtfinanzen; Wahlen; Crowdfunding; Konzert-Absage; Kino.

Illustration zum Hauptstadt Brief
(Bild: Marc Brunner, Büro Destruct)

Firoozeh Miyandar hat seit vier Tagen nichts von ihrer Familie im Iran gehört. Seit in ihrem Herkunftsland israelische Bomben niedergehen, gebe es kaum Internet, erzählt mir Miyandar am Telefon. «Ich checke andauernd auf dem Handy, ob meine Nachrichten bei ihnen angekommen sind». 

Die 38-Jährige ist mit ihrem Sohn und ihrem Ehemann im Rückkehrzentrum Aarwangen untergebracht. Weil ihr Asylgesuch abgewiesen wurde, lebt die Familie dort seit einem knappen Jahr von der Nothilfe. Ich traf Miyandar letzten Herbst, als ich über die besorgniserregende Situation von Kindern in der Asyl-Nothilfe berichtete.

Trotz der Sorge um ihre Verwandten, erzählt Miyandar, freue sie sich auf den heutigen Samstag. Im Berner Rathaus findet zum fünften Mal die nationale Flüchtlingssession des Schweizer Flüchtlingsparlaments statt. Firoozeh Miyandar leitet dort die Kommission für Kinderrechte. Auf einem Podium werden die Flüchtlings-Parlamentarier*innen gewählten Schweizer Politiker*innen Fragen stellen und Vorschläge präsentieren. 

«Unsere erste Priorität sind die Rechte von Kindern in der Nothilfe», sagt Miyandar. Ihre Kommission will vor allem die Kantone auffordern, ihren Spielraum zu nutzen und die Lebensbedingungen dieser Kinder zu verbessern. «Wir Geflüchteten kennen die Lebensrealität», sagt Miyandar. «Deshalb können wir helfen, gute und effiziente Lösungen zu finden.»

Bevor sie ins Rathaus geht, wird Miyandar heute Morgen um 10 Uhr auch noch eine Rede auf dem Bahnhofplatz halten – neben Stadtpräsidentin Marieke Kruit. Verschiedene Organisationen lancieren dort die Veranstaltungsreihe «Tour de Suisse der Menschlichkeit», die zu einem respektvollen Austausch von Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte einlädt.

Miyandar, die in der Schweiz weder abstimmen noch arbeiten, Sozialhilfe beziehen oder sich eine eigene Wohnung suchen darf, weil ihr Asylgesuch rechtskräftig abgewiesen ist, sagt: «Ich möchte dranbleiben und versuchen, mitzuwirken.» 

Geflüchtete seien oft gut ausgebildete Personen mit konstruktiven Ideen. Das sollte in der Politik sichtbar werden, erhofft sich die ausgebildete Physiotherapeutin. «So können beide Seiten profitieren: Wir und das System. Deshalb freue ich mich über jede Gelegenheit, meine Stimme zu erheben.»

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Bilderserie von Regine Strub (11/12): Trottinett. (Bild: Regine Strub)

Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:

  • Demo: Heute Nachmittag findet in Bern eine nationale Kundgebung in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung in Gaza statt. Die Grossdemo wird von einer breiten Allianz aus Organisationen sowie den Parteien SP und Grüne organisiert und ist bewilligt. Die Organisator*innen wollen den Bundesrat auffordern, sich aktiv für einen Waffenstillstand im Gazastreifen einzusetzen und sich klarer gegen die vom israelischen Militär begangenen Kriegsverbrechen zu positionieren. Sie rufen zu einer friedlichen Kundgebung auf.
  • Stadtfinanzen: Der neue Gemeinderat mit Finanzdirektorin Melanie Mettler (GLP) setzt sich schwarze Zahlen zum Ziel. Er hat am Donnerstag den Finanzplan für die kommenden Jahre präsentiert. Für 2026 legt die Stadtregierung ein Budget vor, das einen kleinen Gewinn von 2,6 Millionen Franken vorsieht. 2027 bis 2029 plant sie Überschüsse zwischen 0,2 und 11,9 Millionen Franken. Mein Kollege Joël Widmer ordnet den finanzpolitischen Kurs des neuen Gemeinderates ein.
  • Regierungsratswahlen: Die Grüne Thuner Gemeinderätin und Grossrätin Andrea de Meuron verzichtet auf eine Kandidatur für die Regierungsratswahlen, wie sie gestern bekanntgegeben hat. Ende August werden SP und Grüne bestimmen, welche Kandidat*innen auf ihr gemeinsames Ticket für die kantonalen Wahlen im Frühjahr 2026 kommen. Gestern hat die Juso ausserdem verkündet, dass sie von den beiden möglichen SP-Kandidaten Adrian Wüthrich und Reto Müller nicht überzeugt ist. Nach einem Hearing mit den Politikern sieht die Jungpartei «unüberwindbare Differenzen in Kernpositionen» und verzichtet auf eine Nominations-Empfehlung. 
  • Könizer Wahlen I: SVP, FDP und Mitte wollen für die Gemeindewahlen in Köniz von kommenden Herbst eine Listenverbindung eingehen, wie sie in einer gemeinsamen Mitteilung schreiben. Sie fordern auch die Parteien GLP und EVP auf, sich ihnen anzuschliessen. Eine solche Fünfer-Allianz wäre eine Neuheit: Bei den letzten Wahlen gab es wie immer eine Listenverbindung von FDP und SVP, dazu eine von GLP, EVP und Mitte. Die Listenverbindungen müssen in der zweiten Juli-Hälfte eingegeben werden.
  • Könizer Wahlen II: An ihrer Mitgliederversammlung von Donnerstag hat die Könizer Mitte-Partei zudem ihre Kandidat*innen nominiert. Für den Gemeinderat kandidieren die beiden bisherigen Gemeinde-Parlamentarier Toni Eder und Sladjan Petrovic sowie Nicole Ruffieux, Nadja Hoppe und Parteipräsident Valentin Lagger. 
  • Konzert-Absage: Gestern Abend hätte die US-Rockband Linkin Park auf dem Bernexpo-Areal gespielt. Doch das Konzert wurde am Nachmittag wegen eines medizinischen Problems in der Band kurzfristig abgesagt. Es soll im Rahmen der Europatournee im nächsten Jahr nachgeholt werden, so die Band. Die Tickets behalten laut Veranstalter ihre Gültigkeit. Das berichteten die Tamedia-Zeitungen.
  • Crowdfunding: Die «Hauptstadt» will einen Gastro-Brief lancieren. Möchtest du von Kulinarik-Journalistin Claudia Salzmann zweimal im Monat die besten News aus der Berner Beizen-Welt und die neuesten kulinarischen Trends der Stadt erfahren? Dann brauchen wir dich für den Endspurt – noch rund 3’000 Franken fehlen uns, damit wir loslegen können. Wenn du 100 Franken oder mehr spendest, bist du am Montag zu «Bier & Brezel»eingeladen: Wir tauschen uns über die Berner Gastroszene aus und bringen ein erstes Mal Gäst*innen und Wirt*innen zusammen. Montag, 23. Juni von 17:30 bis 20 Uhr im Tramdepot.

PS: Dieses Wochenende findet das «True Story Festival» in Bern statt, organisiert vom Magazin Reportagen. An verschiedenen Standorten in der Stadt erzählen Reporter*innen aus der ganzen Welt von ihren Recherchen.

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