Talsohle – Hauptstadt-Brief #488
Samstag, 12. Juli – die Themen: Krise bei der Inselgruppe; Tscharni-Gärten; Steuererklärung; Gedenkort; Hitze in Bern; Mutterschutz bei YB; Generalsekretärin der Universität; Orientierungslauf.
Die Inselgruppe hat turbulente Zeiten hinter sich. Nach Jahren mit grossen finanziellen Verlusten und internen Streitigkeiten schien das Spitalunternehmen zuletzt aber die Talsohle durchschritten zu haben. Finanziell zeigte der Trend im Jahr 2024 trotz Verlust leicht aufwärts, grosse Teile des Verwaltungsrats wurden ausgetauscht und der umstrittene Direktor Uwe E. Jocham musste seinen Posten räumen. Für ihn übernimmt Jennifer Diedler. Obwohl sie ihre Stelle erst Ende Jahr antritt, wurde die Neurologin bereits zu einer Art Symbolfigur für die Aufbruchstimmung am Inselspital.
Und jetzt das: Am 2. Juli berichtete das Branchenportal Medinside, dass gegen einen Klinikdirektor ein Strafverfahren wegen Verstössen gegen die sexuelle Integrität einer Mitarbeiterin läuft. Eine Woche später konfrontierte SRF die Inselgruppe mit den Vorwürfen. Diese reagierte und stellte den Klinikdirektor noch am selben Tag frei. Zuvor hatte sie über Monate eine Untersuchung durchgeführt.
Das mutmassliche Opfer ist eine Oberärztin aus dem Team des Klinikdirektors. Die beiden sollen ein intimes Verhältnis miteinander gehabt haben. Wie einvernehmlich dieses zunächst war, ist laut Blick-Recherchen unklar. Aus Sicht der Spitalleitung hat der Klinikdirektor dabei jedoch seine «Treue- und Sorgfaltspflichten in schwerwiegender Weise verletzt». Da der Anwalt der Ärztin, Rolf P. Steinegger, eine Strafanzeige eingereicht hat, beschäftigt sich nun auch die Staatsanwaltschaft mit dem Fall.
Der Beschuldigte weist den Vorwurf eines Sexualdelikts zurück. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Mehr noch: Wie sein Anwalt gegenüber den Tamedia-Zeitungen verlauten lässt, prüft der freigestellte Klinikdirektor selbst Klagen wegen falscher Anschuldigungen, Verleumdung und eventuell übler Nachrede.
Der Fall ist hochbrisant und könnte in einen langen Rechtsstreit ausarten. Wie weit das gehen kann, zeigt der Fall der Ärztin Natalie Urwyler, die ebenfalls von Rolf P. Steinegger vertreten wird: Nachdem das Spital ihr 2014 – nachweislich zu Unrecht – gekündigt hat, ist der Fall bis heute am Obergericht hängig.
Das sind keine schönen Aussichten für die neue Klinikdirektorin und ein arger Dämpfer für die Aufbruchstimmung am Inselspital.
Die weiteren Themen des Tages:
- Gartenarbeit: Zwischen den Hochhäusern im Tscharnergut gibt es viel freien Raum. Raum, der besser genutzt werden könnte, als nur mit Rasen bepflanzt zu werden. Simon Oberholzer hat deshalb ein Projekt für einen Gemeinschaftsgarten initiiert. Und so spriessen seit diesem Jahr in Berns Westen zwischen Häuserblocks Karotten, Peperoni, Zucchetti, Salat und mehr. Eine Idee, die auch andernorts funktionieren könnte? Meine Kollegin Victoria Habermacher war vor Ort und hat das Potenzial dieser Idee untersucht.
- Fristverlängerung: Hast du deine Steuererklärung bereits eingereicht? Falls nicht, hast du etwas mehr Zeit dafür als ursprünglich gedacht. Der Kanton Bern hat am Donnerstag die Frist für das Einreichen der Steuererklärung um einen Monat verlängert. Grund dafür sind Informatikprobleme, die das digitale Ausfüllen der Steuererklärung erschweren. Neu gilt als Frist automatisch der 15. August 2025, ohne dass eine Mahnung erfolgt.
- Gedenken: Auf der Berner Casinoterrasse soll künftig an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden. Das hat gestern das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mitgeteilt. Der Bundesrat hatte 2023 einen Betrag von 2,5 Millionen Franken für die Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Gedenkortes gesprochen. Dieser soll auch die Verbindungen zwischen den Opfern und der Schweiz sowie die Frage der historischen Verantwortung thematisieren. In einem Wettbewerb wird nun über die Ausgestaltung des Ortes entschieden. Die Realisierung ist für dann für 2027/28 geplant.
- Hitze: Noch nie war es in einem Juni in Bern so warm wie in diesem Jahr. Als Spitzenwert wurde in Stettlen am 30. Juni 36,3 Grad Celsius gemessen. Das zeigen die Daten des Online-Messnetzes «Smart Urban Heat Map». 51 Sensoren in der Region übermitteln laufend die aktuellen Temperaturen. Die «Hauptstadt» schenkt der lokalen Klimaentwicklung erhöhte Aufmerksamkeit. Deshalb publiziert sie in den Sommermonaten die monatlichen Auswertungen des Online-Messnetzes. Lies hier den Rückblick auf den Juni.
- Auszeichnung: Der Berner Chatbot «Sophia» wurde entwickelt, um Betroffene von häuslicher Gewalt zu unterstützen. Konkret helfe der Bot betroffenen Personen, «Anzeichen von Gewalt zu erkennen, ihre Rechte zu verstehen und anonym Hilfe zu suchen», wie die Entwickler*innen schreiben. Nun hat die UNO das Projekt mit dem «AI for Good Impact Award 2025» ausgezeichnet. Mit dem Preis werden Ideen ausgezeichnet, die künstliche Intelligenz (KI) zum Dienste der Menschheit einsetzen.
- Fussball: Die Berner Young Boys lancieren einen freiwilligen Mutterschutz für Spielerinnen und Trainerinnen. Wer im letzten Vertragsjahr schwanger wird, erhält künftig automatisch eine Vertragsverlängerung um ein Jahr. Der Verein wolle damit, gemäss Franziska Schild, General Managerin bei den YB-Frauen, «einen Impuls setzen für mehr Vereinbarkeit von Profisport und Familienplanung im Frauenfussball». YB-Trainerin Imke Wübbenhorst wurde vergangenes Jahr während der Saison Mutter.
- Universität: Andrea Hungerbühler wird neue Generalsekretärin der Universität Bern. Die 53-jährige promovierte Soziologin studierte in Bern sowie an der Columbia University in New York, wie die Universität schreibt. Seit 2017 ist Hungerbühler Geschäftsführerin der Kammer Pädagogische Hochschulen bei Swissuniversities. An der Universität Bern ersetzt sie per 1. April 2026 Christoph Pappa, der seit 2005 als Generalsekretär tätig ist und per Ende März pensioniert wird.
- Orientierungslauf: Simona Aebersold hat an der OL-WM im finnischen Kuopio erfolgreich ihren Weltmeisterinnen-Titel über die Langdistanz verteidigt. Die Bernerin lag während dem Rennen lange Zeit hinter ihrer schärfsten Konkurrentin aus Schweden, erreichte das Ziel aber nach 13 Kilometern und 23 Posten mit einem knappen Vorsprung von neun Sekunden.
PS: Die «Hauptstadt» entschleunigt in den kommenden drei Wochen ihren Betrieb. Statt das «Sommerloch» zu stopfen, nutzen wir seit unserer Gründung vor drei Jahren die newsarme Ferienzeit, um Energie zu tanken. Als kleine Redaktion mit fünf Vollzeitstellen ist es wichtig, vorübergehend herunterzufahren, um unsere Ressourcen für die Zeiten zu bündeln, in denen viel passiert in Bern. Ganz von der Bildfläche verschwinden wir aber nicht: Einmal wöchentlich versorgt dich der «Hauptstadt»-Brief mit allem Wissenswerten. Und bis zum Finale erscheint auch weiterhin unser EM-Brief in Zusammenarbeit mit dem legendären Fussballblog Zum Runden Leder.
Ohne Dich geht es nicht
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Das unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Das geht nur dank den Hauptstädter*innen. Sie wissen, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht und ermöglichen so leser*innenfinanzierten und werbefreien Berner Journalismus. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 3’000 Menschen dabei. Damit wir auch in Zukunft noch professionellen Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3’500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die «Hauptstadt» und für die Zukunft des Berner Journalismus. Mit nur 10 Franken pro Monat bist du dabei!