Spaghettiteller – Hauptstadt-Brief #460
Dienstag, 6. Mai 2025 – die Themen: Autobahnknoten Wankdorf; Allmend; Schule; Stadtpolitik; Häusliche Gewalt; Kantonale Wahlen; Fussball; BEA.
Der Bund will den Autobahnanschluss im Wankdorf ausbauen. Doch der lokale Widerstand gegen das Vorhaben wächst.
Schon lange stellen sich Quartierbewohner*innen gegen das Projekt. Sie befürchten Mehrverkehr auf dem Autobahnzubringer, der wegen seiner vielen Zufahrten auch Spaghettiteller genannt wird. Der Verein Spurwechsel hat eine Volksinitiative gegen den Ausbau lanciert. Die «Verkehrsmonster-Initiative» will die Stadtregierung verpflichten, sich gegen das nationale Projekt zu wehren.
Vor drei Jahren stellte sich der Gemeinderat noch hinter den Spaghettiteller. Doch inzwischen hat das Schweizer Stimmvolk den nationalen Autobahnausbau versenkt – die Stadt Bern mit 75 Prozent der Stimmen. Und die Stadtregierung ist neu zusammengesetzt: Melanie Mettler (GLP), Ursina Anderegg (GB) und Matthias Aebischer (SP) hatten sich vor der Abstimmung öffentlich gegen den Autobahnausbau ausgesprochen.
Nun wird klar, dass der neue Gemeinderat eine Kehrtwende vollzieht. Gestern drückte er seinen Unmut aus gegenüber dem Departement von Bundesrat Albert Rösti (SVP). Denn dieses hat das Projekt für den Zubringer Wankdorf nun bewilligt – unbeeindruckt vom wuchtigen Volks-Nein zum Autobahnausbau.
«Nach dem Nein der Schweizer Stimmbevölkerung zum Autobahnausbau sind Infrastrukturprojekte zugunsten des motorisierten Individualverkehrs zwingend stärker auf die Interessen von Klima- und Umweltschutz sowie Siedlungsverträglichkeit auszurichten», schreibt der Gemeinderat in einer Mitteilung. Er kündigt an, eine Beschwerde gegen den Entscheid des Bundes zu prüfen. Die Stadtregierung fordert ausserdem vom Bund, «sich gemeinsam mit der Stadt, der Region und dem Kanton Bern sowie den Nachbargemeinden an einen Tisch zu setzen und das weitere Vorgehen zu erörtern».
Der Verein Spurwechsel zeigte sich gestern in einer Mitteilung erfreut über den Kurswechsel des Gemeinderates. Bis Ende Juli muss sich der Gemeinderat auch zur Verkehrsmonster-Initiative positionieren. Stimmt er ihr zu, wird es keine Volksabstimmung geben. Lehnt er die Initiative ab, kommt sie vors Stimmvolk.
Die städtische Initiative kann das Projekt zwar nicht per se verhindern. Der Gemeinderat auch nicht. Doch es zeichnet sich beim Spaghettiteller immer mehr ein ähnliches Szenario ab wie vor fünf Jahren in Biel: Dort scheiterte die vom Bund seit 2014 geplante Autobahnumfahrung 2020 letztlich daran, dass Tausende Menschen mehrmals vor Ort dagegen protestierten.
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- Allmend: Die öffentlich zugängliche Freifläche der Allmend gehört zu den umstrittensten und emotionalsten Arealen der Stadt Bern. Im Rahmen der Hauptstadt-Aussenwoche im Breitsch hat mein Kollege Jürg Steiner einen Mittwochnachmittag auf der Grossen Allmend verbracht und die Menschen dort gefragt, was ihnen der Ort bedeutet.
- Schule: Die Stadt Bern stoppt ihr Projekt der zweisprachigen Schulklassen auf Ende des nächsten Schuljahres im Sommer 2026. Dies geht aus einer Elterninformation hervor, die der «Hauptstadt» vorliegt. Der Schulversuch im Marzili, der Deutsch und Französisch im Unterricht als gleichwertige Erstsprachen behandelt, läuft seit Sommer 2019. Nun kommt die Stadt nach einer Evaluation zum Schluss, dass sie das Pilotprojekt nicht verlängern wird. Im Sommer 2026 müssen alle Schüler*innen – vom Kindergarten bis zur 6. Klasse – in die Schulen ihres Quartiers wechseln. Gemäss der Elterninformation der Stadt sprechen folgende Gründe gegen die Weiterführung zweisprachiger Klassen: Der Fachkräftemangel, der begrenzte Schulraum und die Finanzlage der Stadt. Zudem seien der Lehrplan 21 und der Plan d’études romand zu wenig kompatibel.
- Stadtpolitik: Mit der Partizipationsmotion können Personen ohne Stimmrecht in der Stadt Bern ein Anliegen direkt im Parlament einbringen. Eine solche Motion wurde gestern eingereicht: Über 200 Personen fordern die Einführung eines städtischen Stipendienwesens für Personen in Ausbildung. Mitkonzipiert hat den Vorstoss die frisch gewählte SP-Stadträtin Shasime Osmani. Die 26-Jährige ist selbst auf Stipendien angewiesen, um ihr Studium zu finanzieren. Meine Kollegin Mara Hofer hat Osmani im Kunstatelier «kidswest» in Bümpliz getroffen. Die Politikerin besuchte den Ort selbst oft als Kind, wurde dort politisiert – und ist heute Präsidentin des Vereins.
- Häusliche Gewalt: Im Jahr 2024 rückte die Kantonspolizei Bern im Schnitt viermal pro Tag wegen häuslicher Gewalt aus. Sie registrierte 1975 Straftaten im häuslichen Bereich. Das sind 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit nimmt die häusliche Gewalt im Kanton Bern weiterhin zu – eine Entwicklung, die sich seit mehreren Jahren abzeichnet. Das geht aus dem Jahresbericht der Berner Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt hervor. Betroffene waren zu 71 Prozent weiblich, die Täterschaft bestand zu 75 Prozent aus Männern. In der Hälfte der Fälle richtete sich die Gewalt gegen Partner*innen. Und in 60 Prozent waren Kinder involviert.
- Kantonale Wahlen: SP und Grüne stellen an den Regierungsratswahlen 2026 eine gemeinsame Kandidatur für den Berner Jura, wie die Parteien gestern verkündeten. Damit wollen sie eine rot-grüne Mehrheit in der Regierung erreichen. Zurzeit hat Pierre Alain Schnegg (SVP) den Jura-Sitz inne. Das rot-grüne Ticket für die Regierungsratswahlen wird mit Evi Allemann als Bisheriger, je einer neuen Kandidatur von SP und Grünen sowie der Jura-Kandidatur vier Personen umfassen. Wer für den Jura-Sitz aufgestellt wird, wollen die Parteien Ende August entscheiden.
- Fussball: Die YB Frauen stehen im Playoff-Final. Sie schossen am Samstag gegen den FC Zürich in der Nachspielzeit das Tor zum 1:1 und sicherten sich damit den Finaleinzug. Das Hinspiel gegen GC wird am Wochenende stattfinden. Das alles entscheidende Rückspiel folgt eine Woche später im Wankdorf
- BEA: Am Sonntag endete die BEA. 334’000 Personen besuchten laut den Veranstaltenden die zehntägige Gewerbemesse, rund 900 Aussteller*innen zeigten ihre Produkte. Es war der erste Grossanlass in der neu eröffneten Festhalle.
PS: «Frau Müller» soll ein neues Schweizer Magazin für Frauenfussball heissen. Es soll auf die Fussball-EM hin erscheinen, die im Sommer in der Schweiz stattfindet. Hier geht's zum Crowdfunding.